Karriereverlängerung durch Tieferlegung: Was wurde Plácido Domingo doch gescholten für seinen Abstieg von den Tenorstratosphären in die Baritonerdung! Kritiker beckmesserten: Ihm würden die genuin dunklen Farben, das Mittellagenfundament, letztlich das ureigene Klangbild eines Baritons fehlen. Und man empfahl: Möge er doch jetzt einfach mal in Würde das Sängerdasein beenden.
Der tiefergelegte Tenorissimo löst ein altes Problem
Dabei behauptet der Tenorissimo nach runden 50 Jahren auf dem Olymp des Operngeschäfts ja gar nicht, jetzt zum Bariton mutiert zu sein. Er singt eben nur Verdis herrliche Bariton-Rollen – mit seiner unverwechselbaren bronzenen Tenorstimme, der er gar keine Gewalt antun muss, damit sie ein paar Töne tiefer ihren Fokus findet. Domingo löst im neuen Fach sogar das einzige Problem, mit dem dieser Jahrhundertsänger ja durchaus zu kämpfen hatte: Ein sicher strahlendes, obertonreich klirrendes, Gänsehaut evozierendes hohes C hatte der Spanier nur an richtig guten Tagen. Sein italienischer Kollege Luciano Pavarotti war es, der da ganz oben seine Domäne hatte, Domingo aber musste um die ganz hohen Töne ringen.
Seit ein paar Jahren schon gelingen dem reifen Domingo mit den alternden Dogen Boccanegra und Foscari großartige späte Charakterstudien, da macht er, mit etwas weniger Fortune, aber auch als Graf Luna dem Tenor-Lover Manrico den Sopran Leonora abspenstig – und da gestaltet er jetzt mit dem Macbeth einen Machtmenschen, der den Einflüsterungen seiner Frau erliegt und alsbald eine Blutspur hinter sich herzieht.
Der neugierig gebliebene Mitsiebziger feiert sein mutigstes Debüt
Dieses jüngste Debüt des unglaublich neugierig gebliebenen Mitsiebzigers galt als das mutigste – erfordert der Macbeth doch einen veritablen Heldenbariton, der viel mehr als die edle Kantilene der Traumarie „Pietà, rispetto, amore“ können muss. Da geht es vielmehr um markant zu deklamierende Rezitative, psychologisch dichte Duette mit seiner Lady, große Ensembleszenen und vor allem um die Zeichnung eines persönlichkeitsstarken Profils dieses Mörders, der seinen eignen Machenschaften alsbald zum Opfer fällt.
Domingos dichte Durchdringung der Rolle ist ein sängerdarstellerisches Ereignis
Es ist faszinierend und fesselnd, wie Plácido Domingo den multiplen Anforderungen der Rolle gerecht wird. Immer wieder denkt man dabei an die Rolle seines Lebens – den Otello. Erliegt der venezianische Feldherr den Intrigen Jagos, so ist es hier die Lady Macbeth, die ihrem Mann das Gift ihres Ehrgeizes einträufelt und in ihm vollends zur Wirkung kommen lässt. Der Königsmörder als Getriebener hat in Domingos Rollenanlage etwas Grimmiges, Zerknirschtes, fast schon King Lear-haft von der Welt Angeekeltes. Domingos dichte Durchdringung der Rolle ist ein sängerdarstellerisches Ereignis. Welch eine Intensität, Wahrhaftigkeit und Unbedingtheit, welch musikalische Intelligenz hat dieser singuläre Sänger – auch und gerade dann, wenn seine Stimme in wenigen Momenten mal ein paar Scharten aufweist!
Wenn Singen existenzielle Erschütterung auslöst
Man fragt sich in der Staatsoper Berlin endlich einmal wieder: Worum geht’s beim Singen? Um Schönheit etwa? Klar, das erregende Timbre ist ihm geblieben und begeistert noch immer. Aber es geht eben um viel mehr. Einst darum, uns singend in die Abgründe von Otellos Eifersucht blicken zu lassen, oder hier nun eben um die fatale Ambition des Macbeth. Tödlich sind sie beide. Beide rütteln an der Grundgewissheit unseres Daseins – existenzielle Erschütterung.
Barenboim lässt das Verdi-Feuer lodern
Daniel Barenboim erzählt davon auch aus dem Graben – mit einem scharf zugespitzten, Phrasierung und Artikulation (fantastisch: die sprechenden Holzbläser der Staatskapelle!) rhetorisch vielsagend ausbalancierenden Verdi-Klang, einem wissenden Orchester. Barenboim lässt das Verdi-Feuer lodern und bringt zugleich viel Feinsinn in die Exegese der Partitur ein.
Und neben wie mit Domingo steht ein Spitzenensemble auf der Bühne des Schillertheaters. Allen voran die fulminante Lady der Liudmyla Monastyrska: welch ein dramatisches Vieh mit Bombendurchschlagskraft nebst aufregenden Piani und fahlen Farben des sie plagenden schlechten Gewissens! René Pape als Banco verlässt sich nicht einfach auf seinen Prachtbass, sondern nimmt ihn hintergründig zurück. Nur Rolando Villazón, der nebenan an der Deutschen Oper Berlin gerade Regie in Puccinis La Rondine führt, hat keinen wirklich guten Tag.
Der spätere Staatsopern-Intendant Peter Mussbach hatte in Macbeth im Jahr 2000 Regie geführt. „Nach einer Inszenierung von Peter Mussbach“ steht jetzt zur Wiederaufnahme auf dem Besetzungszettel. Seine aufs Allgemeingültige zielende, allen Schottenkolorit meidende Produktion ist keine Sensation, sondern im besten Sine werkdienlich. Und dient nun auch der aktuellen Traumbesetzung zur vollen Entfaltung. Ein Mittschnitt der drei ersten Vorstellungen der ausverkauften Serie hält das Ereignis für die Nachwelt fest. Das Datum der Veröffentlichung steht noch nicht fest.
Staatsoper im Schillertheater
Verdi: Macbeth
Ausführende: Daniel Barenboim (Leitung), nach Peter Mussbach (Regie), Erich Wonder (Bühne), Andrea Schmidt-Futterer (Kostüme), Plácido Domingo, Liudmyla Monastyrska, René Pape, Rolando Villazón, Staatskapelle Berlin
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