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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – La fiamma

Flammendes Fraueninferno

(Berlin, 29.9.2024) Bei Respighis „La fiamma“ gerät Liebe zu Rausch, Erotik zu Ekstase und Sex zur Droge: Das hört man dank der orchestralen Klangüberwältigung, für die Carlo Rizzi mit dirigentischem Drive sorgt. Christof Loy fängt den Überschwang mit seiner präzisen Personenregie auf.

vonRoland H. Dippel,

Jubelekstasen aus dem Zuschauerraum der Deutschen Oper Berlin, narkotisierender Orchesterrausch in Überdosis und auf der Bühne mikroskopische Präzisionsarbeit an einer selten gespielten Oper. Ottorino Respighis 1934 in Rom uraufgeführte Oper „La fiamma“ ist wie eine kreative Bestätigung des „Manifests italienischer Musiker für die Tradition der romantischen Kunst des 19. Jahrhunderts“, das Respighi 1932 mit anderen unterzeichnete. Respighis mehrfacher Librettist Claudio Guastalla hatte das Drama „Anne Pedersdotter“ von Hans Wiers-Jenssen über eine Hexenverfolgung und -verbrennung ausdem Norwegen des 16. Jahrhunderts nach Ravenna im siebten nachchristlichen Jahrhundert verlegt. Vor allem aus kompositorischen Gründen.

Das Kolorit des Schauplatzes griff Respighi in seiner letzten vollendeten Oper auf. Diese ist in erster Linie Klangüberwältigung. Respighi forderte wirkungsvolle Raumeffekte: Oft sind die instrumentalen Arabesken, Reizharmonien und archaisierenden Minieinfälle wichtiger als die menschlichen Stimmen. Fast brutale und vom Chor der Deutschen Oper Berlin unter Leitung von Jeremy Bines prachtvoll ausgesungene Massenszenen wechseln mit raffinierten Ensembles. In diesen sind die Frauenstimmen oft Ornat, aber auch für Männer gibt es kaum dominierende Phrasen. Werk und Wiedergabe von „La fiamma“ gerieten in der Premiere zu einer überwältigenden Leistung. Doch allzu oft möchte man diese vitale Dramatik oft mit Raffinesse zukleisternde Oper Respighis nicht hören, selbst wenn in dieser auch Effektmittel seiner berühmten „Römischen Trilogie“ erkennbar sind.

Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin

Hybridoper

„La fiamma“ ist mindestens so extrem wie Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“, die Christof Loy neben Schrekers „Der Schatzgräber“ und Korngolds „Das Wunder der Heliane“ während der Intendanz von Dietmar Schwarz an der Deutschen Oper Berlin inszenierte. Gemeinsam haben diese Partituren, dass sie sich von Wagners Schatten mit amorphen Melodiespuren, noch exzessiveren Reizmitteln und Orchesteranforderungen freimachen. Der Anlauf zum den dramatischen Höhepunkten schwelgt, nebelt, wütet in „La fiamma“ lange dahin. Doch dann wird geflucht und beschworen ohne Ende, gerät Liebe zu Rausch, Erotik zu Ekstase und Sex zur Droge.

Christof Loy setzt dem hybriden Werkkosmos eine klare, abstrahierende Bild- und Menschenarchitektur entgegen. Er trägt Verständnishürden mit einer dichten Personenregie ab und löst mit dieser Interesse und Empathie aus. Loys Figurenführung, Herbert Murauers schlichter Raum mit den Holzwänden und Ausblick auf eine arkadische wie unerreichbare Landschaft, Barbara Drosihns schwarze Kleider und schwarze Anzüge generieren eine fast sachliche Kühle. So machen sie den Blick auf Respighis üppiges und durchaus wie Puccinis „Turandot“ oder Zandonais „Francesca da Rimini“ in den faschistischen Zeitgeist passendes Klangpanorama erträglich. Jede Persönlichkeit auf der Bühne motivierte Loy zu einem Optimum an Präsenz und Kraft.

Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin

Mitreißende Präsenz

Man(n) macht es sich mit den Frauen ziemlich einfach in Respighis Ravenna. Passt etwas nicht, kommen sie nach kurzem Prozess als Hexe auf den Scheiterhaufen. Männer wie Silvanas Stiefsohn Donello, mit dem sich die in ihrer Ehe vom greisen Basilio benutzte Silvana in eine hemmungslose Affäre stürzt, schieben ihre phallische Verführbarkeit ebenfalls auf widernatürliches Zauberwerk. Aber eines beherrscht Respighi glänzend: Die erotischen Stadien sind in „La fiamma“ geschickt gereiht – auch Donellos Versuch, im Dienst der byzantinischen Kaiserkrone wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und der Herztod seines Vaters Basilios, wenn ihm Silvana die in der Ehe durch ihn empfangenen Seelenwunden aufzählt.

In diesen Szenen erinnerte sich Respighi daran, dass es in der italienischen Oper bis Catalani und Puccini tatsächlich so etwas wie geschlossene Melodien gab und zeigte sogar Mut zu einem etwas transparenteren Orchestersatz. Verständlicherweise stieg da auch die Spannung im Saal – auch dank der mitreißenden Präsenz des Ensembles.

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Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin

Bravourös: Olesya Golovneva

Der Abend wurde zu einem neuerlichen Triumph für Olesya Golovneva als Silvana: Eine schlanke Persönlichkeit mit Kühle nach draußen und Lava im Innern. Verhältnismäßig spät hat die für den Theaterpreis DER FAUST nominierte Russin die Partie von Aušrine Stundyte übernommen. Golovneva hat keine Scheu vor Respighis orchestralem Overflow, modelliert jeden Ton mit durchdringender Klarheit und summiert aus kleinen Gesten ein in Bann schlagendes Frauenporträt – weniger archaisch als heutig. Sensationell. An ihrer Seite sind drei andere wichtige Frauen: Doris Soffel wird immer mehr zur überaus aktiven DOB-Legende.

Nur zu bedauerlich, dass die von ihr verkörperte Agnese di Cervia bereits am Ende des ersten Aktes durch Verbrennung aus dem dramatischen Rennen ist. Martina Serafin gibt mit großer Vokal- und Aktricen-Geste die Drahtzieherin Eudossia, welche den Hexenglauben der Massen für eigene Rankünen ausnützt und Geschlechtsgenossinnen kalt dem kirchlichen Tribunal freigibt. Auch früh fertig ist trotz großer Töne Sua Joe als Monica, welche durch Silvana wegen Kurzaffäre mit dem begehrten Donello aus dem Geschehen gewuchtet wird. Die Herausforderung an das Ensemble sind bravourös bewältigt. Für jede der kleineren Frauenpartien braucht es Forte-Kondition.

Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus „La fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin

„La fiamma“ ist eigentlich kein Männerstück, auch wenn an der DOB die Nebenpartien vom Bischof bis zum jungen Fanatiker allesamt charismatisch und perfekt besetzt sind. Besonders gut kommen bei Respighi weder Vater noch Sohn weg. Ivan Inverardi ist ein eher präziser als autoritärer Basilio und Georgy Vasiliev wird von Loy als Hahn im Korb der frustrierten Frauen derart wirkungsvoll platziert, dass sein jugendlicher Heldentenor gleich noch verführerischer aufblüht.

Orchestraler Langspurt

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin nimmt unter dem Opera-Rara-Chef Carlo Rizzi Respighis Partitur mit einem fulminanten, aber nicht über die Stränge schlagendem Drive. Das klingt wie ein Langstreckenlauf von Sportprofis, welche beginnende Erschöpfung nicht nach außen zu erkennen geben und bei erhöhtem Anforderungsdruck erst recht gute Figur machen. Trotzdem bleibt auch bei dieser energetisch-dichten Gesamtleistung „La fiamma“ ein schwerer Brocken. Nicht zuletzt, weil alltägliche Misogynie hier zwar zur Darstellung kommt, aber dieses Thema von Respighi mit einem Kautschuk-Overall umgeben wurde. Ein packender Opernabend mit einem überaus schwierigen Werk.

Deutsche Oper Berlin
Respighi: La fiamma

Carlo Rizzi (Leitung), Christof Loy (Regie), Herbert Murauer (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme), Fabrice Kebour (Licht), Jeremy Bines (Chöre), Christian Lindhorst (Einstudierung des Kinderchors), Konstantin Parnian (Dramaturgie), Olesya Golovneva, Georgy Vasiliev, Ivan Inverardi, Martina Serafin, Doris Soffel, Sua Jo, Cristina Toledo, Martina Baroni, Karis Tucker, Caren Van Oijen, Patrick Guetti, Manuel Fuentes, Caitlin Gotimer, Chance Jonas-O’Toole, Silvia Pohl, Andrea Spartà, Nicolas Franciscus, Koray Tuna, Chor der Deutschen Oper Berlin, Kinderchor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin





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