Am Ende wankt der fantastische Bariton Bo Skovhus, das Zentrum dieser Aufführung, nach hinten, auf das projizierte weiße Rauschen zu. Er verschwindet darin, löscht sich selbst aus. Ein hartes, starkes Ende, stimmig aus dem Stück entwickelt. Stück? Die Kölner Oper hat für dieses ungewöhnliche Projekt zwei Solitäre des 20. Jahrhunderts verschmolzen. Dallapiccolas Aufschrei gegen Machtmissbrauch und für Freiheit und Zimmermanns, fünf Tage vor seinem Freitod vollendete, nachtschwarze, endgültige Reduktion. Zwei dezidiert katholische Komponisten, deren Musik unendlich verschieden ist. Kombinierbar werden sie durch ihre unerhört klaren Haltungen – und das inhaltliche Motiv des Großinquisitors.
Unendlich verschiedene Komponisten mit unerhört klaren Haltungen
Markus Bothe hat sich von Rainer Schweer eine schwenk- und teilbare Betonmauer bauen lassen, mit einer Aussparung als Gefangenenverließ auf halber Höhe. Mauer und Boden sind über und über mit Buchstaben bedeckt. Weitere werden ständig projiziert. Es beginnt sehr statisch mit dem Monolog der von Dalia Schaechter hochexpressiv gesungenen Mutter. Spannung entwickelt sich erst im Dialog des Gefangenen mit dem Kerkermeister, dem Raymond Very seine Ausstrahlung und seinen subtil modulierten Tenor schenkt. Die dritte Szene, die Flucht zum Licht, ist ein Höhepunkt der Aufführung. Mehrfach begegnet der Gefangene Menschen, wird aber nicht bemerkt. Als ob es ihn nicht mehr gäbe. „Weh dem, der allein ist!“ Bo Skovhus macht das umwerfend, hat eine eigene Körperlichkeit und neue Stimmfarben gefunden für diesen Abend. Das Ende ist grell, plakativ. Skovhus hängt am Kreuz, und die Choristen tragen rot-weiße Prälaten-Outfits.
Fantastischer Bariton Bo Skovhus
Die geteilte Wand fährt zur Seite. Skovhus singt jetzt Zimmermanns Bass-Solo-Partie und ist zwei Sprechern im leeren Bühnenkasten ausgeliefert. Stephan Rehm und Jörg Ratjen arbeiten ihren Text, extrahiert aus Dostojewskijs berühmtem Großinquisitor-Kapitel und dem Buch der Prediger, suggestiv, müssen dazu jedoch allerlei Allotria treiben. So bleiben sie hinter der Musik zurück, erreichen deren Monstrosität nur momentweise, wie etwa Stephan Rehm am Beginn seiner Erzählung. Bis zum grandiosen Schlussbild.
Regisseur Markus Bothe misstraut den schmerzhaften Aussagen der Stücke
Letztlich fügen sich die vielen Buchstaben nicht zu Worten. Markus Bothe und sein Team gestalten und vermitteln die musikalischen und dramaturgischen Strukturen packend, inszenieren aber auch und vor allem ihr Misstrauen an den rückhaltlosen, schmerzhaften Aussagen der Stücke, vielleicht sogar an derartigen, auf Veränderungen zielenden Aussagen überhaupt in der Kunst.
Hoffnungslos hoffende Hoffnungslosigkeit
Rettung bringt, wie so häufig, die Musik. Dallapiccolas oft opulent instrumentierte Zwölftonketten, seine unruhigen Rhythmen, vertragen sich überraschend gut mit Zimmermanns sukzessiver Klangfragmentierung. Gabriel Feltz hat das stark geforderte Gürzenich-Orchester gleichsam poliert und trotzt der schwierigen Akustik der Oper am Dom hochdifferenzierte Klangbilder ab. Deren kristalline Sinnlichkeit macht die Härte, die hoffnungslos hoffende Hoffnungslosigkeit des Stoffes genauso erfahrbar wie Qualität und Ausnahmecharakter der selten bis nie zu hörenden Kompositionen.
Oper Köln
Dallapiccola: Il Prigioniero / Bernd Alois Zimmermann: Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne (Ekklesiastische Aktion)
Gabriel Feltz (Leitung), Markus Bothe (Inszenierung), Robert Schweer (Bühne), Esther Geremus (Kostüme), Fritz Gnad (Video), Marco Medved (Chor), Bo Skovhus, Raymond Very, Dalia Schaechter, Taejun Sun, Wolfgang Schwaiger, Jörg Ratjen, Stephan Rehm, Chor der Oper Köln, Gürzenich-Orchester Köln
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