Dieser Don Giovanni witzelt noch bei seiner eigenen Höllenfahrt. Schon in der Unterbühne, seinem Grab, verschwunden, reckt dieser freche Clown seine Hand erneut triumphierend empor – gleich einem unerzogenen-eigensinnigen Kind, das sich treu bleibt, obwohl die Komödie ja jetzt ihr ausnahmsweise böses Ende gefunden hat. Sein bis über die Ohren breites Grinsen vergeht diesem Lustmenschen eigentlich nie, wenn’s brenzlig wird, windet er sich heraus, entzieht sich den Konsequenzen seines Handelns.
In großartiger Wendigkeit spielt Günter Papendell den ewigen Verführer, mit viril imponierendem Kavaliersbariton singt er ihn. Dieser Giovanni trägt die Züge jenes zappelphilippesken, unter jeden Frauenrock kriechenden Amadeus aus dem 80er-Jahre-Streifen von Miloš Forman, der so krass mit der Genie- und Heldenästhetik der Romantikbrach, die unser Bild der klassischen Geistesgrößen bis heute zu prägen scheint. Damals fragten wir uns: Was? Das soll unser Mozart sein? Eine solche Witzfigur?
Tiefe und Ernst sind dem Regisseur suspekt
Herbert Fritsch setzt nun in seinem Blick auf Mozarts unfasslichsten, schillerndsten Opernhelden dort wieder an, treibt dem Dramma giocoso also alle Erhabenheit aus. Tiefe und Ernst sind ihm suspekt. Ebenso die allgegenwärtige Regiehaltung des Ausdeutens, Gegenlesens und Aktualisierens, des Interpretierens überhaupt. Die Devise dieses Regisseurs lautet stattdessen: Bloß keine Psychologisierung, bloß keine Realismus-Behauptung, bloß keine Logik. Hier herrschen Komödien-Anarchie und -Absurdität fast uneingeschränkt.
Zu Recht berufen kann sich Fritsch dabei auf die uralte neapolitanische Stehgreifkomödie des Straßentheaters – die Commedia dell’arte also. Denn der Don Giovanni steht ja sehr wohl in der Tradition der volkstümlichen Opera Buffa, jener Spielart des Komischen, die im Barock der sittenstrengen Opera Seria frech frivol entgegenföhnte. Nach Mozart sollte später ein Rossini die Wiederbelebung der Typenkomödie genialisch fortschreiben.
Sänger als körperliche, slapstickbegabte und hyperbewegliche Wesen
Die Aktivierung der Sänger als körperlichen, slapstickbegabten und hyperbeweglichen Wesen ist nun an der Komischen Oper Berlin uneingeschränkt zu bewundern. Von den Solisten bis zum letzten Chorsänger wurde das Fritsch-Prinzip offenbar begeistert und vollends inhaliert. Mehr Identifikation, mehr Spaß an der Arbeit ist wohl selten auf einer Opernbühne zu erleben. Doch wird der Ansatz dem Stück letztlich gerecht? Bei den genuinen Komödienfiguren funktioniert er großteils prächtig – zumal beim harlekinesken Leporello, dem gewitzten Spiel- und Spaßmacher, den Jens Larsen mit bebender Bass-Buffo-Wucht und dem Körpereinsatz eines in die Höhe geschossenen Chaplin ausstattet. Und es profitiert sogar die oft allein in ihrer Enttäuschung und Eifersucht verhärtete Donna Elvira. Dank Nicole Chevaliers singschauspielerischer Klugheit und Eleganz wird die – auch musikalisch – der barocken Seria-Oper verhaftete Furien-Figur durchaus vielschichtig und letztlich zur spannendsten des Abends: Elvira ist die zickige Ex vom Hormon-Don, die weiblich gewieft mit ihren wahren und vorgetäuschten Gefühlen zu spielen versteht.
Zu ernsten Charakteren fällt Fritzsch nichts ein
Während die Darstellung der sexuellen Herausforderungen des niederen Paares, Zerlina und Masetto, bei Fritsch natürlich in den besten humorigen Händen ist – „Batti, batti“ übersetzt Dramaturgin Sabrina Zwach in ihrer neuen deutschen Textfassung deutlichst mit „Schlag mich, schlag mich“, rettet der Regisseur sich beim hohen Paar, Donna Anna und Don Ottavio, nur in eine billige Opernpersiflage. Zu ernsten Charakteren fällt ihm einfach nichts ein. Also muss Erika Roos als Donna Anna bei jeder tief empfundenen Anrufung des Himmels ihre Arme extra übertrieben zum Allmächtigen emporstrecken. Und nach ihren innig schön gesungenen Arien hat Fritsch ihr jeweils eine doofe Primadonnen-Verbeugung auferlegt. Was Donna Anna da zuvor an Affekten einer großen Leidenden transportiert hat, fällt halt in die Kategorie „Opernpathos“ und interessiert den Regisseur mitnichten.
Das Orchester greift das atemberaubende Tempo der Inszenierung auf
Immerhin müht sich Henrik Nánási am Pult des Orchesters der Komischen Oper nach Kräften, dem atemberaubenden Tempo der Inszenierung musikalisch zu entsprechen. Das klappt mit einem frisch akzentuierten, flotten, schwirrenden Mozartton meist bestens. Die gern mit kuriosen Zitaten – etwa Puccinis Mantelarie aus La Bohème zum Kostümtausch von Diener und Herr – gespickten Rezitative, die Bonnie Wagner am Hammerflügel flugs begleitet, werden freilich bewusst so verhetzt dargeboten, dass hier Opernverballhornung dennoch deutlich vor handlungstreibender Information geht. Während der Fritsch-Stil in der in Bremen erprobten Offenbach-Operette Die Banditen großartig aufging, wirkt sein unbändiger Bewegungsdrang hier allzu selbstreferenziell. Der Regisseur zitiert selbstverliebt sich selbst. Mozarts Don Giovanni dient er damit aber nur partiell.
Mozart: Don Giovanni
Komische Oper Berlin
Ausführende: Henrik Nánási (Leitung), Herbert Fritsch (Inszenierung & Bühne), Victoria Behr (Kostüme), Günter Papendell, Erika Roos, Adrian Strooper, Alexey Antonov, Nicole Chevalier, Jens Larsen, Philipp Meierhöfer, Alma Sadé, Chorsolisten und Orchester der Komischen Oper Berlin