Ein Anfang mit augenzwinkerdem Blick zurück: Francesco Micheli lässt zum geigenflirrend Afrikahitze evozierenden Vorspiel von Verdis Aida das Bühnenbild der Inszenierung von 1921 einblenden – in hübsch historischer Pseudo-Authentizität baute man in der Arena Sferisterio seinerzeit natürlich einen ägyptischen Tempel in spät-exotistischem Enthusiasmus nach, Obelisken ragten in den freien Himmel von Macerata, die muschelverzierten Kostüme der liebesenttäuscht bösen Amneris spiegelten den Geist des Jugendstil. Das waren noch Zeiten.
Arena-Tradition verlangt Ausstattungsprunk
Zur jubiläumsfrohen 50. Opernsaison des Festivals von Macerata fragt Micheli als regieführender Intendant sein Publikum somit ohne Umschweife: Wollt Ihr das noch? Ausstattungsprunk? Schwarz geschminkte Kinderstatisten? Echte Elefanten gar? Kaum jemand im stimmungsstarken, akustisch grandiosen Arena-Halbrund in den vom Massentourismus noch verschonten mittelitalienischen Marken wird sich bei diesem Blick zurück auch den ästhetischen Regie-Rückschritt ernsthaft wünschen. Italien, das Land der Opern-Erfindern wie der oft musealen Opern-Restauration und Traditions-Starre, wirkt an diesem Abend wie selbstverständlich angekommen in der Gegenwart des europäischen Musiktheaters.
Francesco Michelis Musiktheater der Chiffren und Comic-Strips
Freilich muss sich kein Melomane fürchten vor Neuenfelsschen Bosheiten. Klar: Platte Provokationen goutiert man hier gar nicht. Und bekommt sie dann auch nicht zu sehen. Mit „Moderno, ma bello“ wird dieses „Spettacolo“ in der Pause anerkennend charakterisiert. Und das stimmt auch. Micheli entschlackt und modernisiert den Arena-Klassiker so radikal wie behutsam. Er setzt auf ein Theater der Chiffren als klugen Verweisen. Requisiten benötigt er dafür nicht, die leere Bühne von Eduardo Sanchi ist kaum mehr als eine Projektionsfläche, die einem aufgeklappten Laptop gleicht: Auf der imaginären Tastatur verschiebt der Regisseur die Sänger wie Figuren eines Schachspiels; der wie die Spielfläche weiße Bildschirm dient dazu, die eingeblendeten Zeichen sichtbar zu machen: vom anfänglichen Foto der hiesigen Erstaufführung der Ägyptenoper, über die ikonisch plastische Sprache der Hieroglyphen (Heere von säbelschwingenden Soldaten), im Licht-Design akzentuierte Kernbegriffe der Handlung („Ruhm“, „Krieg“) und Namen der Hauptfiguren bis zu den Comic-Strips und Computer-Game-Sequenzen einer gegenwärtigen Pop-Kultur. Konkretisierende Abstraktion ist das, die es sogar vermag, die Kriegshetze von Text und Partitur mit ironischem Feinsinn zu unterlaufen.
Leichtigkeit, Witz und Pathosreduzierung prägen die Inszenierung
Diese Aida ist konsumabel auch für all jene jüngeren Besucher, die den martialischen Triumphmarsch zwar noch mitträllern könnten, aber eher aus der Werbung kennen, somit nicht mehr zweifelsfrei dem Werk zuordnen können. Für die großteils italienische wie hochkarätige Sängerbesetzung ist es hingegen gar nicht so einfach, sich auf diese assoziationsweite Erzählsweise einzulassen. Statt der Psychologie setzt Micheli auf die Geometrie der Beziehungen, die darin letztlich ungleich plastischer werden, als man das von handelsüblichen Produktionen aus dem Geburtsland der Oper gewohnt ist.
Die grandiose Sonia Ganassi macht Amneris zur heimlichen Hauptfigur
Grandios gelingt es Sonia Ganassi, diesen zurückhaltenden wie fokussierenden Darstellungsstil mit Leben zu füllen. Die bislang primär im Belcanto-Repertoire und französischen Fach exzellierende Sängerin bricht so ganz mit dem Amneris-Klischee der bruststimmig keifenden Mezzo-Hexe. Sie bringt mit ihrer modulationsreich agilen Stimme ungeahnte Farben in die Partie ein, besticht nicht nur durch die lauernd einschmeichelde Raffinesse im Duett mit Aida, sondern wertet die von Radamès abgewiesene, offenbar sehr wohl aufrichtig liebende Frau zur eigentlichen, zumindest jedoch zur weiteren tragischen Hauptfigur der Oper auf: Das Stück könnte in Macerata sehr wohl auch Amneris heißen. Endlich einmal wird deutlich, dass nicht nur die Sklavin Aida ihre individuelle Glücksvision einer Liebe mit dem feindlichen Feldherrn Radamès der politischen Raison opfern muss, sondern dass eben auch ihre Gegenspielerin ein Opfer – und nicht nur intrigante Täterin – des repressiven wie kriegslüsternden Apparats der Ägypter ist.
Die rollenerfahrene Fiorenza Cedolins hingegen bleibt darstellerisch vergleichsweise konventionell, ihr durchdringender Spinto-Sopran klingt für eine Aida zu kalt, zu scharf und scheppernd, zu wenig innig und piano-beseelt – hoffentlich ist das nur eine vorübergehende Neigung, in der Rolle zu sehr ins Veristische abzugleiten. Eine sängerische Entdeckung ist dafür der betörend lyrische, schon in „Celeste Aida“ fantastisch in den letzten Winkel der Arena projizierende Sergio Escobar. Ein Tenorheld, der mit viel jugendlichem Schmelz, mit Geschmeidigkeit und Zwischentönen aufwartet. Nur die letzte, auch darstellerische Sicherheit für den Radamès fehlt ihm noch. Elia Fabbian als bariton-herrischer Amonasro und Giacomo Prestia als bass-imposanter Ramfis komplettieren das enorme Ensemble. Julia Jones am Pult koordiniert Soli, Chor und Orchester klug und mit viel Klangsinn für die Feinheiten, viel Gespür für die luftig frühimpressionistischen Farbspiele Verdis. Und die mutigen Festspiele von Macerata beweisen, dass sie im Sommer weit mehr als einen Umweg von Verona oder Pesaro wert sind.
Sferisterio di Macerata
Verdi: Aida
Ausführende: Julia Jones (Leitung), Francesco Micheli (Inszenierung), Edoardo Sanchi (Bühne), Silvia Aymonino (Kostüme), Francesca Ballarini (Projektionen), Fiorenza Cedolins, Sonia Ganassi, Sergio Escobar, Elia Fabbian, Giacomo Prestia, Cristian Saitta
Termine: 18.7. bis 10.8.2014