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Opern-Kritik: Glyndebourne – Die Entführung aus dem Serail

Ein Mozart-Wunder

(Glyndebourne, 13.6.2015) Robin Ticciati führt in dem südenglischen Festival ein Traumensemble mit dem famosen Orchestra of the Age of Enlightenment zusammen

vonPeter Krause,

In der Marternarie der Konstanze lässt uns der große Psychologe namens Mozart ganz tief in die gepeinigte Seele dieser großen Leidenden und Liebenden blicken. Nicht nur verlangt er der Sängerin schier Unsingbares ab, die mal eben zwischen der Lyrik des Trauerns zur Dramatik des Aufbegehrens und der Koloraturenagilität ihres wiedererwachenden weiblichen Selbstbewusstseins umschalten und somit über eigentlich gleich drei Stimmfächerverfügen muss. Auch sein sprechendes Orchester weiß und offenbart so viel mehr, als die nette Oberfläche des türkischen Kolorits in Durchschnittseinstudierungen des Singspiels vermuten lässt und meist schlichtweg zudeckt und uns dadurch vorenthält, was in dieser Musik an Ernsthaftigkeit steckt. Wir wollen also hier einmal – der herrlich harmonierenden jungen Sängerbesetzung zum Trotz – das famose Orchestra of the Age of Enlightenment an die erste Stelle der Mozarthelden setzen, die diesem Abend das Prädikat eines kleinen Mozart-Wunders verleihen.

Musikalisches Plädoyer wider die Singspielniedlichkeit

Robin Ticciati hat mit dem Originalklangensemble das Konzept einer so feinnervigen musikalischen Rhetorik in die Tat umgesetzt, dass man jeden Takt der komplett ungestrichenen Partitur und damit jeden Moment des objektiv sehr langen Abends ganz neu zu genießen versteht. Keine Singspielniedlichkeit degradiert Die Entführung aus dem Serail zur billigen Vorübung der großen Da Ponte-Opern. Gleich die Ouvertüre kommt mit so seidig und sehnig elektrisierender und munter plappernden Klangrede daher, dass man darin die besten Momente eines Rossini voraushören kann und zugleich noch an die prallen Affekte der Barockoper gemahnt wird.

Historisch informierte Inspiriertheit

Glyndebournes junger Musikchef durchpulst jede Phrase mit frischem Mozartblut. Da ist eine so unbändige historisch informierte Inspiriertheit, die jedes staatstheatralisch behäbige philharmonische Mozartmusizieren alt aussehen lässt. Dabei tappt Ticciati nie in die Falle eines vorgeblich authentischen Musizierens im Stile der Entstehungszeit. Denn er muss gar nicht durch Ruppigkeit und Rauheit oder durch extra trockene Tongebung beweisen, dass hier Alte Musik-Experten im Graben sitzen. Sein Mozart atmet, er ist stets wohl phrasiert. Bestes Beispiel ist just Konstanzes Marternarie: Die wuchtig brutalen Orchesterschläge nimmt Ticciati hier eben nicht zu kurz und hart, sondern lässt sie bei aller deutlichen Schärfe doch auch klingen: Der Dirigent inszeniert eine aufregende Klang-Rhetorik, die indes nie zulasten des Fließens und Atmens der Musik geht.

Präzise Probenarbeit

Mit seinen Sängern hat Ticciati vorbildlich präzise gearbeitet und sie so zu einem fürwahr festspielwürdigen Mozart-Ensemble geformt, das in seiner Homogenität und Jugendlichkeit jeden Starstadel aussticht. Tobias Kehrer ist der einmal gar nicht altväterlich witzelnde Haremswächter Osmin: Ein Saft-Bass, der kerngesund aus dem vokalen Vollen schöpfen kann und seinen virilen, im erotischen Wollen durchaus glaubwürdigen Mann steht, der selbst als trinkfreudiger Bacchus noch eine Bella Figura macht.

Gleich zwei Ausnahmetenöre

Neben ihm sind gleich zwei Ausnahmetenöre zu bestaunen:  Der blendend aussehende, groß und schlank gewachsene Edgaras Montvidas verleiht dem Belmonte mit seinem betörenden wie aristokratischen Timbre die perfekte Aura des tenoralen Edelmanns, dem er szenisch sehr klug die Facette westlicher Überheblichkeit gegenüber den nur scheinbar moralisch unterlegenen Muselmanen beimischt. Die geschmackvolle Stimmführung und die obertonreiche Höhe des litauischen Sängers haben etwas von alter italienischer Schule. Und die Natürlichkeit wie Unangestrengtheit seines Singens sind die reine Wonne.

Verblüffend ebenbürtig ist ihm Brenden Gunnell als Pedrillo. Was auch daran liegt, dass er kein handelsüblicher Spieltenor ist, sondern ein spielfreudig wendiger Sänger, der gerade zum jugendlichen Heldentenor heranreift und der Dienerfigur so durchaus neue ernste Züge verleiht. Gunnells prononcierte Artikulation gehört zur besten des Abends, der die gesprochenen Dialoge im übrigen nahezu ungekürzt im originalen Deutsch bietet, was dazu führt, dass die Lacher des englischen Publikums sich vornehmlich an der Übersetzung der Übertexte orientieren und nicht am Moment der szenischen und gesprochenen Pointe.

Bassa Selim mit Latin Lover-Deutsch

Pedrillos emanzipiert zickiges englisches Blondchen, das dem liebestollen Osmin mächtig Paroli bietet, ist mit Mari Eriksmoen in besten Händen. Ihre präzise am Wort orientierte Charakterisierung der Rolle lässt sie die Konstanze der Sally Matthews noch überstrahlen. Die singt mit anrührend reinem und pianofeinen Pamina-Ton, jedoch mit zu wässriger Konsonantenschärfe, um die tragische Größe der Figur zu beglaubigen. Die Regie-Idee, den so sehr um ihre Gunst buhlenden Bassa Selim mit einem französischen Schauspieler zu besetzen, ist freilich ein Rohrkrepierer. Franck Saurel punktet zwar mit imposant bestücktem freien Oberkörper, sein Latin Lover-Deutsch ist hingegen nichts als eine Katastrophe. (Warum nur will er Konstanzes „Erz“ erobern, wo er doch ihr Herz meint?)

Im Palast aus Tausendundeiner Nacht

Über die Inszenierung lässt sich das an sich nicht sagen. David McVivar lässt seinen Mozart strickt historisch naturalistisch vor, hinter und in den Palastmauern des Serail spielen, wozu ihm Vicki Mortimer enorm suggestive Räume aus Tausendundeiner Nacht gebaut hat. Darin erzählt David McVivar liebevoll konventionell die Geschichte. Was eigentlich sehr gut funktioniert. Denn wo vorgeblich moderne Inszenierungen zwar gern aktuelle Settings bieten, darin aber doch zu oft nur pure Mottenkisten-Regie ablaufen lassen, nutzt McVivar den vom Libretto vorgegebenen Rahmen für ausgeprägten psychologischen Feinschliff und durchaus deutliche moderne Kommentare zum interkulturellen Miteinander.

Damit kommt er Mozarts Idealen der Aufklärung sehr nah. Denn die schlichte Zuordnung von Moralität und Brutalität auf die guten, weil entführten Christen und die bösen, sie gefangenhaltenden Muslime wird ja schon von Mozart unterlaufen. In poetischen Bildern – so der Andeutung eines sich ins Serail verirrten Streichquartetts als künstlerischer Import aus dem Westen – weist der Regisseur auf den kreativen wie Frieden stiftenden Austausch zwischen den Kulturen hin.

Glyndebourne Festival Opera

Mozart: Die Entführung aus dem Serail

Robin Ticciati (Leitung), David McVivar (Inszenierung), Vicki Mortimer (Ausstattung), Sally Matthews, Mari Eriksmoen, Tobias Kehrer, Edgaras Montvidas, Brenden Gunnell, Franck Saurel, Orchestra of the Age of Enlightenment

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