Mit der Kunst der Komik kennt man sich in Italien aus. Der Götterknabe der opera buffa ist eben doch nicht vom Himmel gefallen – Gioachino Rossini entwuchs einem uralten Humus des Humors. Über Jahrhunderte reifen konnte das Straßen- und Stegreiftheater der Commedia dell’Arte. Die kesse Columbina, der lebenslustige Harlekin oder tuffelige, gern altersgeile Dottore lieferten Rossini gar das komplette Typenpersonal für seine koloraturspritzige Buffokunst. Der Schwan von Pesaro konnte freilich kaum ahnen, welche Inflation des Komischen nach seinem Tode einsetzte.
Das Teatro Comico eines Dario Fo, der mitunter auch als brillanter Rossini-Regisseur wirkte, und der Film einen Fellini brachten die Komik in alle darstellenden Künste. Ein Opernregisseur, der diesen Traditionslinien folgt, hat es also leicht, Rossinis Witz mit launigen Querverweisen auf die verwandten Künste in Szene zu setzen. Denn sind die schlitzohrigen Don Camillo und Peppone nicht die idealen Wiedergänger von all den eifersüchtelnden Gockeln, die Rossini so über die Opernbühne stolzieren ließ?
Herrlich schnurrt die Typenkomödie ab – als Verkleidungsschlacht auf dem Backstage-Filmset
Davide Livermore ist – anders als sein Name vermuten lässt – sehr wohl Italiener und kennt sich bestens aus im gattungsübergreifenden Komik-Repertoire seiner Heimat, zumal jenem des Kinos. In seiner Sicht auf Rossinis Il Turco in Italia bedient sich der Regisseur also durchaus schamlos bei sattsam bekannten Heldenfiguren der laufenden Bilder – was großartig funktioniert. Herrlich schnurrt so die Typenkomödie ab – als Verkleidungsschlacht auf dem Backstage-Filmset, wo noch der Komparse so tun darf, als wäre er wer.
René Barbera mutiert mal eben vom Latin Lover zum kecken Don Camillo-Pfaffen, was der Produktion seiner liebestollen hohen Ds besonderen Witz verleiht und im offiziell immer noch sehr katholisch anständigen Italien ein wohl kalkuliertes Regierisiko darstellt. Olga Peretyatko ist als allseits begehrtes Claudia Cardinale-Imitat alias Fiorilla mit verführerischem Augenaufschlag eine Augenweide im Pünktchenkleidchen, freilich weder sängerisch noch darstellerisch eine echte Buffo-Kanone.
Geniale Komödie, die ihre eigene Entstehung reflektiert: Dichter-Spielmacher Pietro Spagnoli setzt an der Schreibmaschine das Stück in Gang
Nur bei der im aktuellen Sängermarkt denn doch etwas überbewerteten Sopranistin bleiben Wünsche offen. Sonst steht auch in der dritten Produktion des Rossini Opera Festival ein Traumensemble auf der Bühne des schnuckeligen Teatro Rossini von Pesaro. Rossinis genialen Kniff einer Komödie, die selbstreferentiell ihre eigene Entstehung reflektiert, setzt Dichter-Spielmacher Pietro Spagnoli als an der Schreibmaschine das Stück in Gang bringender Prosdocimo, der den Darstellern schon mal eine frisch getippte Dialogseite reicht, mit wunderbarer baritonaler Textpräsenz um. Den Ehemann, den alternden „il Marito“ Geronio der kapriziösen Donna Fiorilla also, mimt Nicola Alaimo mit dem perfektem Parlando eines führenden Bass-Buffo als heimlichen Wiedergänger des Komponisten. Schließlich war auch Rossini kein Kostverächter und in zweiter Ehe mit einer deutlich jüngeren Gattin verheiratet.
Seinen exotischen Rivalen, den feschen „Türken“ Selim gibt Netrebkos Ex Erwin Schrott mit sanguinischer Bass-Pracht und Geläufigkeit. Wie viel wohler fühlt sich der Sänger doch im Auskosten von Rossinis köstlicher Leichtigkeit denn im Stemmen der schweren Partien von Verdi oder Boito. Das Duett der Bässe, die dieselbe Frau wollen, als veritables Parlando-Paradestück, gehört zu Beginn des zweiten Aktes zum Höhepunkt des Abends – furios angetrieben von einer Frau am Pult: Speranza Scappucci dirigiert die Filarmonica Gioachino Rossini.
Rossini Opera Festival
Rossini: Il Turco in Italia
Mitwirkende: Speranza Scappucci Leitung), Davide Livermore (Regie & Bühne), D-WOK (Video), Gianluca Falaschi (Kostüme), Olga Peretyatko, René Barbera, Nicola Alaimo, Erwin Schrott, Pietro Spagnoli, Cecilia Molinari, Pietro Adaini, Filarmonica Gioachino Rossini e Coro del Teatro Fortuna M. Agostini