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Opern-Feuilleton: Der Trend zum Performativen

Abkehr vom Musealen?

Kühn konzipierte Projekte finden immer öfter Einzug in die Programme der Opernhäuser, die damit wieder zu echten Orten des Experiments werden.

vonPeter Krause,

Ist die Oper ein Museum? In dem wir uns dem gepflegten Wiederhören und Wiedersehen all der liebgewonnenen Werke alter Meister hingeben, die möglichst aus jener Bestenliste stammen, die alphabetisch mit „Aida“ beginnt und mit „Die Zauberflöte“ endet? Oder ist die Oper ein Experimentierfeld? Auf dem die drängenden Fragen der Zeit musiktheatralisch verhandelt werden, also auch die Flüchtlingskrise wie die Klimakatastrophe alsbald befragt werden? Auf dem dann aber auch die bislang unantastbaren Stücke des klassischen Kanons nicht mehr heilig sind, sondern auseinander­gepflückt und neu zusammen­gesetzt werden, damit sie zu den Ideen von Dramaturgen und Regisseuren passen – und damit als Folie zugeschnitten werden für die drängenden Themen der Gegenwart?

Wenn die Oper zum Projekt wird

Wer die Spielpläne der nun startenden Saison durchforstet, findet darin die Antworten der Intendanten: in Form von Programmen, deren Premierenpläne eindeutig uneindeutig zwischen Museum und Experiment schwanken, wobei der Anteil der letzteren gefühlt durchweg zunimmt. Als Gattungsbezeichnung steht dann unter nichts- wie vielsagenden, dabei meist ungewohnten Titeln gern der Begriff „Projekt“, also nicht mehr Opera buffa oder Opera seria, nicht mehr Singspiel oder Musikdrama. „Projekt“ kann wiederum alles oder nichts bedeuten. Dahinter kann sich ein multimediales Spektakel verbergen, bei dem der Gesang nurmehr eine Zutat unter sehr vielen anderen ist, zu denen aber garantiert eine Vielzahl an Videoeinspielungen gehört. Es kann sich um ein nicht-­narratives, frei assoziatives Bildertheater handeln oder aber doch wiederum eine klassisch erzählte Geschichte, die aber gern aus unserer Zeit und eher nicht aus dem mythischen Irgendwann der Götter und Prinzessinnen stammt. Mitunter steht über der Bezeichnung „Projekt“ als Titel aber auch sattsam Bekanntes wie eine Figur der Weltliteratur, wobei diese dann mit den Adjektiven „revisited“ oder „reloaded“ versehen ist, damit bloß nicht der Eindruck entsteht, hier könne es sich um die Wiedergabe einer bekannten Geschichte in erwartbaren Bahnen handeln.

Während Festivals wie die Ruhrtriennale den Trend zum Projekthaften und Performativen mit dem die Fantasie beflügelnden Schlagwort „Kreationen“ versehen, Spartengrenzen durchlässig machen und damit nicht zuletzt ein Publikum anlocken, das mit dem klassischen Kanon von Wagners „Ring des Nibelungen“ und Puccinis „Tosca“ längst nichts mehr anfangen kann, starten nun auch die etablier­ten Tempel der Opernkultur verstärkt mit neuen Formaten – und dies längst nicht mehr nur in den geschickt versteckten Nischen der Studiobühnen. Auch auf den Hauptbühnen halten nun die Projekte Einzug – und erhalten damit im Premierenreigen eine Aufmerksamkeit, die jener einer „Elektra“ oder eines „Lohengrin“ gleichkommt.

Marina Abramović
Marina Abramović

Realer Tod vs. Bühnentod in der Oper

Fraglos das Aufsehen erregendste Vorhaben dieser Art verantworten gleich fünf der größten Operntempel Europas von Athen bis München gemeinsam. Es heißt „7 Deaths of Maria Callas“ und ist im Untertitel beschrieben als „Ein Opernprojekt von Marina Abramović“. Die Pionierin der Performance-Kunst wird darin, wie oft zuvor, auch ihren eigenen Körper zum Gegenstand und Medium der Aufführungen machen, wenn es darum geht, den realen Tod der Maria Callas anno 1977 in Paris darzustellen. Zuvor werden anhand von Signet-Arien der Callas exemplarisch sieben ihrer Bühnentode mit Hilfe der musikalisch wie szenisch prägenden Höhepunkte aus der jeweiligen Oper nachempfunden – und dazu mit wiederum sieben Filmen kontextualisiert. Dahinter steht die bis heute erschütternde Erkenntnis, dass die bedingungslose Hingabe an die Kunst, wie la Callas sie lebte, eine Trennung zwischen Bühnen­erscheinung und Privat­person kaum zuließ.

Kombiniert die Abramović in ihrem Großprojekt Ausschnitte aus sattsam bekannten Opern aus dem Belcanto- und Verismo-Repertoire mit Neuer Musik von Marko Nikodijević, so fällt auf, dass viele der derzeit angesagten Ansätze durchaus auch auf Alte Musik setzen. „Love, you son of a bitch“ an der Staatsoper Berlin amalgamiert ausgewählte Kantaten von Alessandro und Domenico Scarlatti, die um die Abgründe der Liebe kreisen, mit Schöpfungen der italienischen Sound- und Videokünstlerin Letizia Renzini, die Live-Elektronik multimedial zu einer szenisch-installativen Skulptur verbinden will, um damit den Frustrationen des flexiblen Menschen des 21. Jahrhunderts zwischen beruflichem Erfolgsstreben und unter Druck geratener Liebeshoffnung nachzuspüren. Wie könnte es anders sein – der Untertitel lautet schlicht: „A Scarlatti Project“.

Richard van Schoor
Richard van Schoor

Fantasievoller gerät da die Werkbezeichnung der spartenübergreifenden Uraufführung von „Das Tal der Ahnen“ am Staatstheater Mainz mit dem Versprechen auf „Eine imaginäre Prärie mit Werken von Henry Purcell, Franz Kafka, Frank Zappa“. Anhand von Franz Kafkas Erzählung Wunsch, Indianer zu werden wird die Sehnsucht nach dem vorzivilisatorischen Urzustand heraufbeschworen, die aufscheint, wenn die Entfremdung von der Natur und das Drama der verlorenen Unschuld immer stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein treten. Auch am Theater Lübeck wird der Perspektivwechsel in den Zeiten des Postkolonialismus thematisiert, wenn in der Uraufführung „L’Européenne“ die Beziehung eines afrikanischen Migranten und einer europäischen Entwicklungshelferin beleuchtet wird. Die Oper des südafrikanischen Komponisten Richard van Schoor folgt dem Prinzip der Collage und verwendet Elemente aus klassischer Musik, afrikanischer Dodo-Oper, den Geräusch­kulissen eines afrikanischen Townships wie einer europäischen Großstadt.

Der ganz normale Opern-Wahnsinn

Doch nicht alle Projekte muss ein hehrer gesellschaftspolitischer Anspruch leiten. Auch der Humor und die gewitzte Selbstbespiegelung der verrückten Gattung wie der nicht minder seltsamen Institution Oper finden ihren Raum, so beim „Coro fantastico“, der angekündigt ist als „Ein Abend für alte Dekorationen, Kostümteile, Windmaschine, Schneetuch, Kronleuchter … und: Chor und Orchester“. Am Theater Heidelberg wird der Basler Regisseur Tom Ryser dazu das Publikum mithilfe eines gigantischen Chores durch die verschiedenen Stationen einer Opernproduktion führen, vom Casting über die Auswahl der Kostüme und den Aufbau des Bühnenbildes bis zu den großen Gefühlen der Aufführung. Dazu dient ihm ein Medley aus 400 Jahren Operngeschichte, angereichert durch allerhand Hits der Popwelt.

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