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Opern-Feuilleton: Critical Classics

Oper ohne Opfer

Beleidigen alte Operntexte Teile unserer Gesellschaft? Die Initiative Critical Classics hat für die „Zauberflöte“ eine alternative Textfassung vorgelegt.

vonPeter Krause,

Diversität zu Zeiten von Mozart und seinem Lib­rettisten Schikaneder liest sich so: „Es gibt ja schwarze Vögel in der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen“, so der Vogelfänger und Publikumsliebling Papageno, der sich damit selbst die Antwort auf seine eigene Frage gibt: „Bin ich nicht ein Narr, dass ich mich schrecken ließ?“ Denn gehörige Angst hatte dem Naturfreund der Anblick des Monostatos eingejagt, den wir heute eine „Person of Color“ nennen würden.

Ein Sympathieträger wie Papageno ist diese im Textbuch mit „ein Mohr“ bezeichnete Figur ja nicht wirklich. Zu eindeutig zweideutig sind seine erotischen Begierden, die auf die „spröde Schöne“ Pamina gerichtet sind; Letztere ist dem standesgemäßen Prinzen Tamino versprochen. Allerdings singt sie ihr inniges Liebesduett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ gar nicht mit dem vornehmen Herrn Zukünftigen, sondern mit dem standesmäßig unter ihr stehenden Papageno: Mozart hatte ein feines Sensorium für die Wahrhaftigkeit menschlicher Beziehungen, die sich um gesellschaftliche Grenzen nicht scheren.

Vorschläge für Eingriffe in die Partitur gibt es auch

Derartige Differenziertheit geht nun der Initiative „Critical Classics“ nicht weit genug. Sie diagnostiziert allerhand problematische Inhalte, die in Opernlibretti stecken: Rassismus, Sexismus, Altersdiskriminierung. Letztere sei sogar in der vielgeliebten „Zauberflöte“ zu finden, in der die eigentlich mädchenhaft junge Papagena als „ein altes Weib“ im Personenregister geführt wird. Es sei diskriminierend, Witze über die Vorstellung zu machen, dass eine ältere Frau einen jüngeren Liebhaber haben könnte. Statt heterosexuelle Normen zu festigen, sieht die von „Critical Classics“ vorlegte Alternative des Librettos auch das Besingen entsprechender queerer Konzepte vor: „Mann und Mann und Frau und Frau, reichen an die Gottheit an.“

Gratis stellt „Critical Classics“ das nunmehr diskriminierungsfreie Libretto von Mozarts spätem Meisterwerk über die eigene Homepage zur Verfügung – und zur Diskussion. Vorschläge für Eingriffe in die Partitur gibt es auch: Da dem Team aus Theaterpraxis und Diversitätsforschung der weibliche Charakter der Pamina als zu romantisch und passiv erscheint, schenken sie ihr eine zusätzliche Arie, die zwar auch von Mozart stammt, nun aber mit anderem, passendem Text in die „Zauberflöte“ integriert wird.

Freiheit statt Bilderverbote

Für jede zukünftige Inszenierung der „Zauberflöte“ hat die Vorarbeit von „Critical Classics“ den Vorteil, dass die Sensibilisierung für aus heutiger Sicht heikle Inhalte geleistet wird. Im Interview mit concerti, das online nachzulesen ist, vertreten Berthold Schneider und Änne-Marthe Kühn mit Verve ihre Argumente. Kritik erntet das Projekt freilich auch. Sie zielt auf das Besserwisserisch-Überhebliche einer Woke-Kultur, die mit moralischen Motiven verbrämte Neigung zur Zensur, die Vermutung, ein diverses, aber für dumm verkauftes Publikum der Gegenwart könne mit problematischen Inhalten nicht dank eigener Aufgeklärtheit klarkommen und fühle sich in seinen Minderheiten diskriminiert.

Ist die Praxis am Theater nicht längst mit eigenen sensiblen Lösungen in der Moderne angekommen? Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“, von den Nazis als „entartete Kunst“ von den Spielplänen verbannt, wollte Regisseur Peter Lund vor zwei Jahren am Gärtnerplatztheater, dem Ort der Uraufführung von 1928, rehabilitieren. In der Handlung spannt der gewitzte schwarze Jazzband-Geiger Jonny dem europäischen Komponisten Max die Geliebte aus. Die Neuinszenierung reflektierte die historischen Kontexte klug kritisch, setzte für den weißen Bariton des Jonny bewusst das „Blackfacing“ ein, indem sich der Sänger auf der Bühne die Schminke als zeichenhafte Maske selbst angelegt und später wieder entfernt. Das Publikum verstand das. In den sozialen Medien tobte hernach indes ein Shitstorm, mit dem gar die Absetzung und der Boykott der Inszenierung gefordert wurde. Kunst braucht keine Bilderverbote. Sie benötigt Freiheit.

Im Interview mit Peter Krause erklären Änne-Marthe Kühn und Berthold Schneider, warum sie eine alternative Textfassung von Mozarts „Die Zauberflöte“ vorgelegt haben.

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