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Opern-Feuilleton: Detlev Glanert „Die Jüdin von Toledo“

Der konservative Anarchist

Adornos radikaler Fortschrittsglaube war einmal. Der Komponist Detlev Glanert beweist, wie lebendig echte Expressivität und der Glaube an starke Geschichten ist.

vonPeter Krause,

Die großen Opernschlachten werden heute von den Regieteams geschlagen. Man schwärmt oder streitet über den Bayreuther „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer und nicht jenen von Richard Wagner, der das Opus doch einst geschaffen hatte. Das war im 19. Jahrhundert ganz anders. Da fieberte man jeder neuen Schöpfung entgegen – eine Uraufführungskultur bestimmte den Diskurs. Ein heftiger Parteienstreit tobte zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg in den wilden Zeiten der Musiktage von Donaueschingen, die durch den Fortschrittsglauben des Theodor W. Adorno geprägt waren. Da durfte, besser: musste jede Tonfolge tunlichst neuer sein, als jede zuvor gehörte Phrase oder Harmonie. Schönbergs „Emanzipation der Dissonanz“ wirkte weiter, schöne Töne galten als höchst verdächtig, sich in den Dienst reaktionärer Kräfte zu stellen.

Wenn derzeit die Nachschöpfer, ob am Regie- oder Dirigentenpult, und nicht mehr die eigentlichen Schöpfer im Mittelpunkt des Interesses zu stehen scheinen, beweist seit bald vier Jahrzehnten ein Mann in selbstbewusster Ruhe das genaue Gegenteil: Detlev Glanert komponiert eine Oper nach der anderen, bringt sie an bedeutenden Häusern heraus und schert sich nicht um die Ideologien von einst. Er will ausdrücklich „keine Musik für Spezialisten“ schreiben und verweigert sich den oft nur mehr pseudomodernen Mitteln der elektronischen Musik, „denn es gelingt mir nicht, sie wirklich zu fühlen.“ Seine gefühlte Musik ist voller echter Expressivität, seinen Erfolg feiert er im Herzen der Opernszene. Wohl keinem anderen deutschen Komponisten ist es in den vergangenen Jahrzehnten in solcher Frequenz und mit ähnlicher Fortune gelungen, das moderne Musiktheater mit relevanten Inhalten zu versorgen und damit ein breites Publikum zu begeistern. Zuletzt dürfte dies nur einem seiner Lehrmeister geglückt sein: dem 2012 verstorbenen Hans Werner Henze.

Wider die Hardcore-Avantgarde

Das vollendete Werk harrt seiner Dresdner Uraufführung
Das vollendete Werk harrt seiner Dresdner Uraufführung

Glanerts Haltung wider die Hardcore-Avantgarde ist von dialektischer Klarheit: „Ich sehe mich als konservativen Anarchisten, ich möchte unabhängig sein von täglich wechselnden Modernitäten, ich versuche die Musik hinter mir ganz individuell weiterzudenken in eine Musik für die Menschen von heute.“ Das Gespenst des Eklektizismus, mithin von Tönen, die wir vielleicht so ähnlich schon einmal gehört haben könnten, hat für ihn so gar nichts Bedrohliches. Der 1960 in Hamburg geborene Komponist schöpft seine Inspiration aus sich selbst wie aus der Tradition, die er mit frischem Blick beleuchtet. Mit seinem neuesten Bühnenwerk scheut es Glanert wiederum nicht, eine Literaturoper zu schreiben. Sein Librettist Hans-Ulrich Treichel hat für „Die Jüdin von Toledo“ das gleichnamige Drama von Franz Grillparzer zum Opernstoff verdichtet.

Die scheinbar einfache Geschichte: Ein alternder verheirateter Mann begegnet einer jungen schönen Frau und verzehrt sich nach ihr. Und das Mädchen, geschmeichelt von seinem Werben und Begehren, lässt sich auf ein Liebesverhältnis mit ihm ein. Komplexer wird die Geschichte, wenn man weiß, dass es sich bei dem Mann um Alfonso VIII. (1148-1215), den König von Kastilien, und bei dem Mädchen um die junge Jüdin Rahel handelt, die, wie der König, im von den Mauren bedrohten und belagerten Toledo lebt. Aus der operntypischen Story um Ehebruch und religiö­se Grenzen durchlässig machende Leidenschaft wird eine Tragödie, an deren Ende Rahel, die schöne Jüdin, einen grausamen Tod erleiden muss. Die Inszenierung der Weltpremiere verantwortet der kanadische Regiestar Robert Carsen, der mit Detlev Glanert bereits bei der Uraufführung von Oceane zusammenarbeitete.

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