Detlev Glanerts elfte Oper basiert auf Stanislaw Lems Roman aus dem Jahr 1961, der besonders in den 70er- und 80er Jahren in Deutschland Kultstatus genoss. Der Titel gebende Planet Solaris wird von einer Art Gallert-Ozean beherrscht, einem Riesengehirn, das Lebewesen entstehen und vergehen lässt. Die intelligente Masse benutzt die Besatzung einer Forschungsstation als Spielmaterial, konfrontiert die Menschen mit ihren Sehnsüchten und Traumata. Glanert hat dafür eine dunkel tastende, oft kammermusikalisch reduzierte Musik mit wenig Tempowechseln geschrieben, die streckenweise eine fast narkotische Sogwirkung entfaltet. Problematisch erscheint das Libretto von Reinhard Palm. Er versucht den ausgewählten Romanszenen theatralische Struktur zu geben, indem er sie einerseits großflächig philosophisch überformt, andererseits kleinteilig analytisch psychologisiert. Die so entstehende Überkomplexität dürfte nahezu jeden Regisseur vor eine unlösbare Aufgabe stellen.
Wenn der Chor in Wellenbewegungen zum Ozean wird
Patrick Kinmonth scheitert auf denkbar hohem Niveau – und mit großer Eleganz. Der Bühnenboden der Oper Köln ist eine glänzende Wasserfläche. Darauf steht, getragen von Metallstützen, eine Art ramponierter Metallschüssel als Raumstation. Die Auftritte regelt Kinmonth durch bühnenhohe, fahrbare Schwarzblenden, die auf ihrer Rückseite die Sänger „transportieren“. Eine große Stärke der von Andreas Grüter grandios beleuchteten Inszenierung ist die Führung des Chores, der im Stück eng mit dem Ozean verbunden ist. Hier wird durch langsame Bewegungen und einfache, eminent wirkungsvolle choreographische Elemente, etwa Wellenbewegungen, große Intensität erreicht. Bei der Führung der Protagonisten dagegen entgeht Kinmonth den Fallstricken des Librettos nicht immer. Zu oft verlässt er seine klare, abstrahierende Inszenierungslinie, versucht er die kleinteilige Dramaturgie mit einer Art Detailrealismus nachzuvollziehen, verfängt er sich in redundanten Verdopplungen oder gar Erstarrungen der Bühnenaktion, statt aus der surrealen Fantastik des Sujets bildliche Funken zu schlagen.
Trotz Regieschwächen gelingt am Ende die Öffnung ins Kosmische
Dennoch gelingt im Schlussmonolog des Protagonisten Kelvin die Öffnung ins Kosmische. Wie es überhaupt eine Stärke der Aufführung ist, die Musik in den nicht wenigen geschlossenen Formen ganz zu sich zu bringen. Das gilt für die von Bjarni Thor Kristinsson mit knorrigem Bass und absurder Komik exekutierten Monologe des Physikers Sartorius wie für die Lyrismen und Exaltationen des Kosmonauten Snaut. Martin Koch gestaltet ihn geradezu erstaunlich lebendig und geläufig. Absolute Höhepunkte der Aufführung sind ein großes, ungemein wirkungsvolles Septett vor der Pause und das lange Liebesduett in der Mitte des zweiten Teiles. Hier trifft Kelvin – Nikolay Borchev mit substanz- und sehr farbreichem lyrischem Bariton – auf seine vor 14 Jahren durch Selbstmord gestorbene Frau, die ihn von der Unmöglichkeit einer gleichsam synthetischen Beziehung zu überzeugen versucht. Aoife Miskelly singt das mit fast magisch ebenmäßiger Stimmführung und, eminent wichtig, großer Textverständlichkeit.
Im Graben spannt Altmeister Lothar Zagrosek mit dem Gürzenich-Orchester einen fein ausdifferenzierten großen Bogen. Er trägt die Sänger empathisch, hält die Musik jederzeit im Fluss und gibt ihr exakt so viel Dramatik und Dynamik, wie die Partitur verträgt.
Oper Köln
Glanert: Solaris
Ausführende: Lothar Zagrosek (Leitung), Patrick Kinmonth (Regie, Gesamtkonzept, Choreographie), Darko Petrovic (Bühne), Annina von Pfuel (Kostüme), Andreas Grüter (Licht), Fernando Melo (Choreographie), Andrew Ollivant (Chor), Nikolay Borchev, Aoife Miskelly, Martin Koch, Bjarni Thor Kristinsson, Quilin Zhang, Dalia Schaechter, Hanna Herfurtner, Gürzenich-Orchester Köln, Chor der Oper Köln
Termine: 6., 8., 12., 14. & 16.11.2014