Osnabrück führt den Beinamen „Friedensstadt“. 1648 beendete der hier geschlossene Westfälische Frieden den 30jährigen Krieg. Erich Maria Remarque, der Autor des bis heute weltweit erfolgreichsten Antikriegsromans Im Westen nichts Neues, wurde 1898 hier geboren. Das schmucke Theater direkt neben dem mittelalterlichen Dom macht immer wieder Projekte zu diesem, die Stadt kulturell prägenden Thema.
Owen Wingrave, ursprünglich als Fernsehoper konzipiert, passt inhaltlich hervorragend in diese Programmlinie. Die Titelfigur, Spross einer langen Reihe von Offizieren und Kriegshelden, beschließt auf der Militärakademie, nicht Soldat zu werden, wird von Verlobter und Familie als pflichtvergessener Feigling verstoßen und kommt auf so rätselhafte wie furchtbare Weise zu Tode. Das 1971 zeitgleich in BBC und ZDF, also im historischen Umfeld des Vietnam-Krieges, uraufgeführte Werk ist ein fast diskursiv gebautes, pazifistisches Fanal, das sich nicht nur gegen Krieg an sich, sondern auch und vor allem gegen Fremdbestimmung und Kadavergehorsam richtet. In Osnabrück ist eine bemerkenswerte Aufführung gelungen.
Packende musikalische Intensität
Schon das kurze Orchestervorspiel, konzipiert als Abschreiten einer Ahnengalerie von Offiziersporträts, packt unmittelbar. Fast gewaltsam beleben Daniel Inbal und das Osnabrücker Symphonieorchester Brittens in letzter Konsequenz stets introvertierte, so moderne wie wirkungsorientierte Klangsprache. Spröde Fragmente scheinen sich, scheinbar lose übereinander geschichtet, von selbst zum Aufschrei zu verbinden. Die musikalische Intensität hält die ganzen 110 Minuten der Aufführung an, könnte nur momentweise leiser, geheimnisvoller klingen.
Ein klaustrophobischer Kasten wird zur Chiffre nie hinterfragter Traditionen
Auf der Bühne hat Gary McCann einen grauen, klaustrophobischen Kasten entworfen, bestückt mit leeren Bilderrahmen als Chiffre für nicht belebte, nicht hinterfragte, das Leben bestimmende Traditionen. Immer wieder öffnen sich Kabinetttüren in diesen Wänden, mit denen und durch die das Spiel reibungslos abläuft. Die exakten Bewegungsarrangements von Loris Visser erzählen die Story sehr klar, stellen die dramatischen und erzählerischen Strukturen heraus, halten uns aber, im Verbund mit den ans Spätviktorianische angelehnten, durchaus geschmackvollen Kostümen, auch von den Figuren fern und geben der Inszenierung einen Zug ins Unverbindliche.
Britten schreibt ein Ensemblestück für acht hervorragende Solisten – Osnabrück hat sie
Dass die Aufführung dennoch bewegt, liegt an den gut geführten Sängern. Owen Wingrave ist ein Ensemblestück und verlangt acht hervorragende Solisten. Osnabrück hat sie. Jan Friedrich Eggers beglaubigt die Titelrolle durch konzentrierte, nie übertriebene Darstellung, hinreißend seine Deklamation, gewissermaßen auf der Schneide zwischen Sprechen und Singen, auch wenn seine Stimme in den wenigen kantablen Passagen ein wenig flach klingt. Eine absolute Urgewalt ist Francis van Broekhuizen als Owens ewig keifende brutal stupide Tante, noch übertroffen von Almerija Delic, die als Verlobte einen Prachtmezzo leuchten lässt, mit warmer, so großer wie flexibler Höhe und fast Angst machendem pastosen Fundament. Mark Hamman charakterisiert den unbarmherzigen Großvater mit fast geisterhaft schlankem und biegsamem, in etlichen Grautönen schillerndem Tenor. Bemerkenswert das enthusiastische, energiegeladene Zusammenspiel, der fein austarierte Zusammenklang aller Beteiligten.
Theater Osnabrück
Britten: Owen Wingrave
Ausführende: Daniel Inbal (Leitung), Floris Visser (Inszenierung), Gary McCann (Ausstattung), Markus Lafleur (Chor), Jan Friedrich Eggers, Rhys Jenkins, Daniel Wagner, Francis van Broekhuizen, Elizabeth Magnor, Alexandra Schoeny, Almerija Delic, Mark Hamman, Kinderchor des Theaters Osnabrück, Osnabrücker Symphonieorchester