Helen Malkowskys Mönchengladbacher Inszenierungen von Verdis Stiffelio und Tschaikowskys Mazeppa gehörten zu den Höhepunkten des nordrhein-westfälischen Opernlebens der letzten Jahre. Auch in Katja Kabanowa kommen die besonderen Fähigkeiten dieser Regisseurin zum Tragen. Malkowsky ist in der Lage, unspektakulär – und eng am Noten- und Libretto-Text – Gegenwärtigkeit herzustellen. Dabei setzt sie stets auf sehr klar strukturierte Räume. Für Katja hat ihr Kathrin-Susann Brose eine Ansammlung von als solche erkennbaren Kulissenteilen hingestellt, die durch geschickten Einsatz der Drehbühne und helfende Hände von Choristen stets neue Innen- und Außenansichten formen, die alle dasselbe ausstrahlen: das Ringen um Repräsentation an einem isolierten, fast verkommenen Ort.
Das Ringen um Berührung und Zuneigung
Ein Bauschild verweist darauf, dass eine Brücke über den Fluss gebaut werden soll. Es wird zum durch dezente Projektionen unterstützten Sehnsuchtsort, zum Bild für die in jeder Bewegung, in jedem Blick der Figuren präsente Gier nach einem besseren, vor allem lebendigeren Leben. Mit ausgefeilter, durchgearbeiteter Personenführung zeigt die Regisseurin, wie die Menschen um Berührung und Zuneigung geradezu ringen, um ihre erkaltete, ökonomisch strukturierte Welt aushalten zu können.
Auch Homoerotisches liegt mehrfach in der Luft, wird angedeutet, nie ausagiert, und wirkt durchaus folgerichtig. Man versteht die schöne, von ihrem Muttersöhnchen-Mann in jeder Beziehung vernachlässigte Katja nur zu gut. Man versteht, dass und warum sie ihren Mann betrügt, warum sie den Betrug ohne jede Not gesteht, sogar, warum sie die Konsequenzen zieht und sich in der Wolga ertränkt. Sie hat das „Leben“ gespürt, mag nicht mehr drauf verzichten und ist doch geprägt durch die engen Konventionen und Moralvorstellungen, die in diesem namenlosen Dorf herrschen, und fühlt sich ihnen verpflichtet. Der Konflikt ist nicht lösbar, zumal der geliebte Boris das Dorf verlässt und von sich aus keine Anstalten unternimmt, sie mitzunehmen.
Ein Ensemble wie aus einem Guss – und das ohne einen einzigen Gast
Izabela Matula spielt das hinreißend, mit die Rolle mühelos erfassendem, sehr körperreichem, in der Höhe leicht gläsern zugespitztem Sopran. Um sie herum starke Rollenporträts: Eva-Maria Günschmann als lebenskluge und zuversichtliche Stiefschwester Warja mit leicht ansprechendem Mezzo, Markus Heinrich als sonderlinghafter und liebenswerter Dorfschullehrer mit leidenschaftlich deklamierendem Tenor, Kairschan Scholdybajew als selten klangschönes Muttersöhnchen oder Michael Siemon, der dritte Tenor, ein verlegener, in materiellen Zwängen gefangener, lyrisch phrasierender Boris. Dazu Hayk Deinyan und Satik Tumyan als vom Reichtum zerfressene Vertreter der älteren Generation – ein Ensemble wie aus einem Guss, und ohne einen einzigen Gast!
Wahrhaftigkeit geht vor Spektakel
Wie bereits in ihren früheren Mönchengladbacher Inszenierungen ist Helen Malkowskys Partner im Graben GMD Mihkel Kütson. Er verzichtet auf orchestrale Glanzmomente zugunsten einer analytischen, gleichwohl sehr sinnlichen Lesart. Er legt die vielen Schichten dieser Musik bloß, zeigt, wie hier immer wieder romantische Motivik angerissen – und abrupt fragmentiert wird, wenn sie ihre dramaturgische Funktion erfüllt hat. Der Farbenreichtum tritt klar zutage, exemplarisch zu hören, an der Tatsache, wie häufig die tiefen Streicher, quasi ein Nachtstück grundierend, in den Mittelpunkt treten. Und den romantischen Glanz des Endes bricht Kütson auf, in dem er die beunruhigend verzerrt klingenden Trompeten aus dem Klang herausbrechen lässt – und zwar ohne sie deswegen gleich im Fortissimo brüllen zu lassen. Auch hier gilt: Wahrhaftigkeit vor Spektakel.
Theater Krefeld Mönchengladbach
Janáček: Katja Kabanowa
Mihkel Kütson (Leitung), Helen Malkowsky (Regie), Kathrin-Susann Brose (Bühne), Alexandra Tivig (Kostüme), Izabela Matula, Michael Siemon, Eva-Maria Günschmann, Markus Heinrich, Satik Tumyan, Kairschan Scholdybajew, Hayk Deinyan, Shinyoung Yeo, Manon Blanc-Delsalle, Annelie Bolz, Chor, des Theaters Krefeld Mönchengladbach, Niederrheinische Sinfoniker