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Opern-Kritik: Oper Köln – Der Freischütz

Gleichgewichtsstörungen

(Köln, 12.4.2014) Der szenische Zugriff des lettischen Regisseurs Viestur Kairish auf Webers Freischütz provoziert ein Buh-Gewitter

vonAndreas Falentin,

Der Freischütz ist ein unangenehmes Stück. Wirklich alle Handlungen sind hier von Angst gesteuert, und das vorgebliche Happy-End löst nichts, sondern verlängert lediglich das Leid der Figuren. Nimmt man den berühmten „Deutschen Wald“, die heute kaum mehr kommunizierbare, tiefgrüne Wohlfühlromantik weg, bleibt ein seltsam düsteres Gerippe übrig, an dem die Regisseure seit den legendären Inszenierungen von Ruth Berghaus (in Zürich) und Peter Konwitschny (in Hamburg) in den 90er Jahren reihenweise gescheitert sind.

In Köln sucht Viestur Kairish nach Archetypen, Ur-Figuren. Dafür bricht er Webers Charaktere gleichsam auseinander, beschießt sie mit teils skurrilen, teils kitschigen Bildzitaten, gerne aus der Zirkuswelt, lässt mal natürlich spielen, mal sachlich, mal total überzeichnet. Das ist manchmal witzig, selten, vor allem wegen des großen darstellerischen Einsatzes der Sänger, sogar erhellend. Der deutlich im Heldenfach beheimatete Tenor Andreas Schager etwa schafft es, mit der Arie des Max nicht nur existentielle Not, sondern auch jede Menge Selbstmitleid bloß zu legen.

Durchgängiges Motiv im von rosa Vorhängen strukturierten, oft rätselhaften Raum ist das Gotcha-Spiel. Zu Beginn beschießen sich Jäger und Bauern mit Farbbeuteln. Auch der Probeschuss am Ende findet mit dem Fake-Gewehr statt. Dann versinkt Kaspar mit roter Clownsperücke in einer Gefriertruhe und wird abgeräumt. Kein Schrecken. Alles Theater.

Groteske Übertreibungen vs. unzulässige Vereinfachungen

Letztlich scheitert der Regisseur an der Konsequenz der Komposition so deutlich wie an der eigenen Inkonsequenz. Da läuft der Erbförster Kuno mit Gamsbart herum wie immer, während der Fürst wie ein Zirkusdirektor daherkommt und der Eremit mit Hirschkopf herumsteht. Grotesken Übertreibungen stehen unzulässige Vereinfachungen gegenüber. Die schlimmste betrifft die geschmacksfrei kostümierte, mit sehr geläufigem Sopran und großer Bühnenpräsenz ausgestattete Gloria Rehm als Ännchen. Sie scheint denn auch immer wieder mal die Lust am darzustellenden Abziehbild zu verlieren. Dagegen wirkt die Wolfsschluchtszene samt nacktem Samiel (geschminkt wie Batmans Joker) und blutspendenden Clowns mit ihrem Hirschgeweihwald und dem brav hingesetzten Geist der Mutter genauso konventionell dekorativ wie – zumindest über weite Strecken – das berühmte Finale. Es wird einfach kein Schuh draus.

Dass die Musik kaum helfen kann, liegt an den akustischen Verhältnissen im Ausweichquartier der in Sanierung befindlichen Oper. Der scheidende GMD Markus Stenz ist spürbar mit der Partitur vertraut, modelliert wunderbare Details, macht selten zu vernehmende Unterstimmen hörbar, aber die Musik kommt einfach nicht aus dem Graben hervor. Sie überwältigt nicht. Die von Stenz gesuchte Emphase teilt sich nur momentweise mit, in Maxens Arie, in der Wolfsschlucht, auch zu Beginn des dritten Aktes. Ansonsten klingt alles flüssig und kompetent, also nach zu wenig. Solide gesungen die kleinen Rollen, solide auch Oliver Zwarg als Kaspar, ungleich präsenter im Dialog als im Singen. Toll die aus dem lyrischen Koloraturfach kommende Claudia Rohrbach als stimmlich leuchtende Agathe. Aber zu ihrem sehr heldischen Max passt sie halt nicht. Gleichgewichtsstörungen allenthalben. Schade.

Oper Köln

Der Freischütz

Ausführende: Markus Stenz (Leitung), Viestur Kairish (Eegie), Ieva Jurjäne (Ausstattung), Paul Armin Edelmann (Ottokar), Dirk Aleschus (Kuno), Claudia Rohrbach (Agathe), Gloria Rehm (Ännchen), Oliver Zwarg (Kaspar), Andreas Schager (Max), Young Doo Park (Eremit), Martin Koch (Kilian), Renato Schuch (Samiel)

Weitere Termine und Infos zur Oper Köln finden Sie hier.

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