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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Ezio

Gluck im Glück

(Frankfurt/Main, 10.11.2013) Frankfurt profiliert sich als Opernhaus der wiederentdeckten Kostbarkeiten – nun mit Glucks früher Prager Fassung des Ezio

vonPeter Krause,

Noch ganz verspielt, virtuos und verrückt, so richtig barock eben feiert der junge Gluck die frühe Emanzipation des Individuums: Zwei Kerle wollen dieselbe Frau. Die später einmal klassisch werdende Dreiecksgeschichte kommt hier freilich noch ganz ohne Bariton-Bösewicht aus. Stattdessen gibt Luxus-Counter Max Emanuel Cencic den fiesen Kaiser Valentiniano, die erdige Edel-Altistin Sonia Prina gibt dessen Feldherrn als Hosenrolle – Ezio ist zudem der Gegenspieler des Cäsars in Liebesdingen. Auch die Damenwelt singt vortrefflich, allen voran die doppelt angebetete Fulvia, der Paula Murrihy ihren wasserklar schlackenlos strömenden Mezzosopran leiht. Sie betört, wie Sofia Fomina als bonbonbunte Kaisertochter Onoria, zudem in der mal knalligen, mal edelschwarzen und dunkelblauen Kostüm-Extravaganz des Modezaren Christian Lacroix, der offensichtlich immer öfter Gefallen daran findet, nicht nur die gehobene Damenwelt anzuziehen, sondern auch der Oper ihre verloren geglaubte Opulenz zurückzugeben.

Gluck im Glück – so lässt sich als Zwischenfazit feststellen. In der Bankenmetropole wird der Opernreformer schon vor seinem Jubiläumsjahr gehörig gefeiert – Gluck wird in 2014 schließlich ganze 300 Jahre jung. Und damit beweist Intendant Bernd Loebe nicht zuletzt eindrucksvoll, dass sich der Mut zum Randrepertoire auszahlt. In der Oper am Main jedenfalls stimmen eben auch die Zahlen. Die Hütte ist voll. Was will man mehr?

Keine Frage: Der warm-wohlig wendige Counter von Cencic ist ein Ereignis, das nur von Sonia Prina mit ihrem anschmiegsam aufregenden Alt und all ihren dynamisch biegsamen, minimal vibrierenden Tönen und ihrer vorbildlich crispen Textbehandlung noch übertroffen wird. Die Sänger demonstrieren, wie toll Gluck schon komponiert hat, als er noch gar keinen Reformeifer zeigte. Die ziemlich langen Da-capo-Arien der in Glucks Jugend schon in die Jahre gekommenen Opera seria, deren Tradition sich mit einem allzu angehängt wirkenden lieto fine durchsetzt, sie werden an diesem durchaus langen Abend nie langweilig, da ihre Interpreten die Wiederholung des A-Teils spannend, aber nie überladen ausschmücken. Als gleichwohl seiner Zeit voraus erweist sich Gluck nicht nur in der gelegentlich schon spürbaren Antizipation Mozarts, sondern in der gleichsam schon modernen Entdeckung des Ichs. Seine auf Pietro Metastasios Text komponierte Oper kennt bereits Figuren von psychologischer Dichte und Differenzierung. Geradezu erstaunlich wirkt das Schwanken des Kaisers zwischen privater Passion und politischer Rolle, seine trotz aller Diktatorenarroganz eingestandene Verletzlichkeit und Lamento-Innigkeit.

Dennoch, und dies muss einschränkend festgestellt werden, ist hier in der Frankfurter Oper am Ende doch nicht mehr und nicht weniger als ein schöner Opernabend zu bestaunen. Denn den hübschen Regie-Arrangements von Vincent Boussard zur geschmackvollen Dekoration von Kostümbildner Christian Lacroix und Bühnenbildner Kaspar Glarner fehlt etwas Entscheidendes: die Haltung, der Deutungswille, zumindest doch die Ahnung der Fragestellung, warum man denn hier Musiktheater machen muss. Ähnlich unentschieden wirkt die Leistung von Christian Curnyn am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Man musiziert zwar ordentlich und evoziert ein weich federndes Klangbild. Doch vom wachen Forscherdrang und von der Artikulations-Prägnanz der Holzbläser eines Originalklangensembles ist man weit entfernt. Spätestens hier wird auch die vielgepriesene „Opera Company of the Year 2013“ doch wieder von den Zwängen eingeholt, die all die Musiktheater-Schlachtschiffe von Hamburg bis Wien so unbeweglich machen. Warum versucht man nicht, für eine der seltenen Inszenierungen der Alten Musik mal eine orchestrale Spezialistentruppe aus Freiburg oder Berlin einzuladen? Was an der Berliner Lindenoper schon öfters geklappt hat, ist andernorts leider immer noch die Ausnahme. Dazu müssten sich die üppig alimentierten Musiker der an die Opernhäuser gebundenen A-Orchester einfach mal auf Gastspiel begeben und derweil ihren angestammten Graben großzügig den freien Gruppierungen überlassen. Wer wirklich die Qualität maximieren will, wird den Mut zu einem solchen Schritt aufbringen müssen.

Oper Frankfurt

Christoph Willibald Gluck: Ezio

 

Ausführende: Christian Curnyn (Leitung), Vincent Boussard (Inszenierung), Kaspar Glarner (Bühne), Christian Lacroix (Kostüme), Max Emanuel Cencic, Paula Murrihy, Sonia Prina, Sofia Fomina, Beau Gibson, Simon Bode, Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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