In den Trümmern der eigenen Welt begegnen sich zwei Männer wieder, die einst ganz Großes vorhatten, das ganz große Rad der Macht drehten und auf dem Weg nach oben natürlich erbitterte Konkurrenten waren. Doch die Macher von einst sind in die Jahre gekommen, sind beide denkbar tief gesunken, haben fast alles verloren und sich nun sogar angenähert: Just auf einer Müllkippe voller Zivilisationsschrott treffen sie sich nun, wo sie wohl aus Zufall neben ollen Autoreifen unter einer Plane übernachteten. Alberich und Wotan-Wanderer gleichen sich fast bis aufs arg ergraute strähnige Wikinger-Langhaar, man kann den einen alten Recken für das Spiegelbild des anderen halten, Schwarzalbe und Lichtalbe nennen sie sich schließlich ja auch wie die zwei Seiten einer unseligen goldenen Medaille. Wotan schiebt seine ihm verbliebenen Habseligkeiten per abgewracktem Einkaufswagen als Penner durch den Wald, in dem er wie Alberich das Versteck des Rheingolds wähnt. Vielleicht bringt die Herren ein günstiger Zufall ja doch nochmal in den Besitz des fluchbeladenen Symbols der Macht. Ernsthaft scheinen sie freilich nicht mehr daran zu glauben. Denn die Zeit der jungen Generation ist längst angebrochen, mithin jene des pubertierenden Knaben Siegfried, der dann auch prompt mit frisch geschmiedetem Schwert Nothung auftaucht und Riese Fafner eher beiläufig aus dem Weg räumt und damit auch wie nebenbei in den Besitz von Ring und Tarnhelm gerät. Der Zyklus des Lebens geht weiter. Die Zeit läuft im Kreis, Aufbau und Zerstörung wechseln sich ab.
Ein echtes „Ring“-Novum: Das Werden und Vergehen und Wiederwerden des Recycling
So geht Steven Langridge nun mit seinem „Ring“ in Göteborg in die nächste Runde, nach den noch vor der Pandemie vor vollem Haus gezeigten „Das Rheingold“ und „Walküre“ sind die drei Aufzüge des „Siegfried“ als Streaming an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu verfolgen. Das Leitmotiv der Nachhaltigkeit bestimmt auch diese Fortsetzung des Wagner-Epos. Denn die tiefe Wunde der geplünderten Natur, die Alberich und Wotan der Welt als Schneise des Egoismus tief eingeschnitten haben, löste die weltweit erste „Ring“-Inszenierung überhaupt aus, deren komplette Ausstattung in das Werden und Vergehen und Wiederwerden des Recycling eingeht. Göteborgs Nachhaltigkeits-„Ring“ wandelt das Bühnenbild des „Rheingold“ in jenes der „Walküre“, deren Versatzstücke wiederum die Ausstattung des „Siegfried“ bilden. Da sich die Energie im Opernhaus ohnehin längst ausschließlich aus erneuerbaren Quellen speist, geschieht auch die Arbeit in den Werkstätten klimaneutral. Und die Tetralogie, die inhaltlich um die Zerstörung natürlicher Abläufe und scheinbar ewiger Gesetze kreist, weitet die Dramaturgie des Stücks auf den Prozess der Inszenierung mit all seinen Elementen von der Schminke über die Perücke und das Sieglinden-Kleid bis zum Bühnenbau aus.
Homogen hochkarätige nordische Truppe an Wagnersängern
Aktuell ist Steven Langridge in seiner Inszenierung also nicht durch wohlfeile dekorative Aktualisierung (Siegfried ist weder Punker noch Rocker, einfach ein unbedarfter junger Mann), sondern weil er feinfühlig fragt, welche Konsequenzen denn der im Werk thematisierte Missbrauch der Natur für die konkrete Arbeitsweise der Inszenierung haben müsste. So entsteht ein ungemein authentisches, auf die Sängerdarsteller fokussiertes Musiktheater ohne Mätzchen, das den Figuren mit all ihren Nöten und Hoffnungen, Schwächen und Stärken subtil nachspürt. Der Amerikaner Daniel Brenna ist mit seinem biegsam frischen jugendlichen Heldentenor der einzige internationale Gast in der sonst homogen hochkarätigen nordischen Truppe an Wagnersängern. Letztere führt Fredrik Zetterström als in sich ruhender weiser Wanderer mit seinem imposant wuchtigen, vokal aus dem Vollen schöpfenden Bass-Bariton an. Im dritten Aufzug gibt Anders Lorentzson den gealterten Göttervater. Dan Karlström ist mit prägnant deklamierendem Charaktertenor ein eher strategischer denn übertrieben verschlagener Mime, Olafur Sigurdarson sein Bruder Alberich mit scharf zeichnendem Charakterbariton. Die Brünnhilde der Ingela Brimberg ist mit hochdramatisch jubelndem Sopran ein blondes Wonneweib, das sehr wohl die Problematik dieser ungleichen Liebe zu Siegfried reflektiert. Evan Rogister setzt am Pult des Göteborgs Operans Orkester auf Hochspannung und maximale Durchsichtigkeit, die dem „Siegfried“ als Konversationsstück ebenso enorm zu gute kommt, wie es den Sängern dazu dient, nie forcieren müssen. Wir hoffen auf die Theateröffnung zur finalen „Götterdämmerung“.
Göteborgs Operan
Wagner: Siegfried
Evan Rogister (Leitung), Stephen Langridge (Regie), Alison Chitty (Bühne & Kostüme), Paul Pyant (Licht), Daniel Brenna, Dan Karlström, Anders Lorentzson, Fredrik Zetterström, Ólafur Sigurdason, Mats Almgren, Hege Høisæter, Sofie Asplund, Ingela Brimberg, Göteborgs Operans Orkester