Musikalisch ist diese Griechische Passion zweifellos ein großer Wurf. GMD Tomas Netopil ist das Stück hörbar ein Herzensangelegenheit. Zusammen mit den grandios aufgelegten Essener Philharmonikern gestaltet er ganz selbstverständlich die Vielfalt dieser komplexen Partitur, etabliert einen dynamischen, eigentümlich schwebenden, etlichen Metamorphosen unterworfenen Streicherteppich als Zentrum des Klanges, der immer wieder aufgeraut, durchbrochen, dramatisch zugespitzt wird. Der Chor singt wunderbar intonationsrein. Und die Solisten, sämtlich aus dem hauseigenen Ensemble, wecken mit herausragenden Leistungen großes Interesse an ihren Figuren.
Die großartigen Solisten stammen alle aus dem Essener Ensemble
Da ist Michael Smallwood mit leicht ansprechendem lyrischen Tenor ein geradezu rührend lebensbejahender Petrus-Darsteller Yannakos. Sein großkalibriger Fachkollege Jeffrey Dowd malt in düsteren Farben die Orientierungslosigkeit des Jesus-Darstellers Manolios. Mit versammelten, wunderbar fließenden ariosen Bögen nimmt Jessica Muirhead für die freundliche Prostituierte Katerina ein. Almas Svilpa macht die geistige Brutalität des Priesters Grigoris stimmlich geradezu furchterregend deutlich, und Baurzhan Anderzhanov ist mit innig strahlendem Bass-Bariton ein seelenvoller Flüchtlingspriester Fotis. Die Reihe ließe sich mühelos in die kleineren Partien fortsetzen.
Kaum dechiffrierbare Choreographien
Jiri Hermann, der Operndirektor des Brünner Nationaltheaters, beschränkt sich hingegen darauf, die Handlung souverän zu erzählen und sie mit großen Tableaus und kleinen Bildsymbolen anzureichern. Das erweist sich im Laufe des Abends als nicht ausreichend, zumal in Essen die holzschnittartige, äußere Handlungen zugunsten der inneren Entwicklungen der Figuren zurückdrängende zweite Fassung der Greek Passion gespielt wird. Der Zuschauer bekommt ausschließlich über den Gesang Zugang zu den Figuren, die teilweise mit pauschalen Stilisierungen und nicht dechiffrierbaren Choreographien geführt werden.
Mit seiner Flüchtlingsproblematik ist The Greek Passion fürwahr ein Stück der Stunde
Dabei hätte die 1957 uraufgeführte Greek Passion nach dem Roman des großen griechischen Autors Nikos Kazantzakis durchaus das Zeug, eine Art Stück der Stunde zu sein. In ein reiches Dorf, das ein Passionsspiel vorbereitet, kommen Flüchtlinge. Deren Dorf ist zerstört worden. Sie suchen verzweifelt Hilfe. Das reiche Dorf hilft ihnen nicht. Als der Christus-Darsteller, der durch die Beschäftigung mit seiner Rolle einer Art Identitätskrise unterworfen ist, zum Fürsprecher der Flüchtlinge wird, bringen seine Mitbürger ihn um. Beide Hauptelemente, die Flüchtlingsproblematik und die Frage nach der gesellschaftlichen Rolle christlichen Denkens und Handelns, sind aktueller denn je. Aber Herman findet keine Haltung zu ersterem und keine darstellerischen Mittel für letzteres. Es bleibt nur eine Geschichte aus der Vergangenheit – und die Musik.
Aalto Musiktheater Essen
Bohuslav Martinů: The Greek Passion
Tomas Netopil (Leitung) Jiri Herman (Inszenierung), Dragan Stojcevski (Bühne), Alexandra Gruskova (Kostüme), Patrick Jasolka (Chor), Almas Svilpa, Michael Smallwood, Jeffrey Dowd, Jessica Muirhead, Baurzhan Anderzhanov, Albrecht Kludszuweit, Celine Barcaroli, Christina Clark, Bart Driessen, Marie-Helen Joel, Andreas Baronner, Matthias Korzorowski, Georgios Iatrou, Alexey Sayapin, Arman Manukyan, Kyung-Nan Kong, Opern-, Extra- und Kinderchor des Aalto-Theaters, Essener Philharmoniker