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Opern-Kritik: Göteborgs Operan – Notorious

Ingrid Bergman küsst jetzt auf der Opernbühne

(Göteborg, 23.9.2015) Hitchcocks Thriller wird zur Oper – mit einer überragenden Wagner-Diva Nina Stemme

vonPeter Krause,

Dieses Traumpaar von Hollywood praktizierte anno 1946 den bis dato längsten Kinokuss der Filmgeschichte: Ingrid Bergman und Gary Grant. Doch bildet das blendende Duo auch die perfekte Figurenvorlage für eine Oper des Jahres 2015? Mit dem Politi-Krimi Notorious, in der deutschen Version unter dem Titel Berüchtigt bekannt, wird überhaupt erstmals ein Thriller Alfred Hitchcocks zur Oper. In Göteborgs herrlich lichtem, erst 1994 ganz nah am Wasser gebauten Opernhaus ist das Werk des erfolgreichen, mit milder Avantgarde aufwartenden Neutöners Hans Gefors jetzt zu bewundern. Das internationale Interesse an der Uraufführung war riesig. Schließlich kam sie jetzt perfekt pünktlich zum 100. Geburtstag der blond schönen Ingrid Bergman heraus. Und in ihre Rolle der Alicia Hauser schlüpfte mit Nina Stemme die bedeutendste Hochdramatische der Gegenwart, um deren Brünnhilde, Isolde, Elektra und Turandot sich sämtliche internationalen Häuser reißen. Es ist die erste Rolle, die dezidiert für die Schwedin geschrieben wurde. An ihrer Seite singt mit ihrem rustikal knorrigen Landsmann John Lundgren seinerseits ein Wagner-Heldenbariton vor Format.

Wenn Film-Close-Ups zu Arien werden

Zum Glück widerstehen beide Sänger – im Einvernehmen mit Wagner-Regisseur Keith Warner – der naheliegenden Versuchung, die filmischen Rollenvorgänger zu kopieren, wenngleich die Inszenierung die cineastische Assoziationsebene stets mitschwingen lässt und Alicias Nazi-Vater als untoten Spielmacher der Geschichte in Gestalt und Gestik Hitchcocks durch die Szene nachtwandeln lässt. Schon das Libretto der Dramatikerin Kerstin Perski zeichnet die beiden Figuren in deutlicher Akzentverschiebung zum Hitchcock-Streifen und findet eine der eigenen Gattung gemäße Sprache jenseits der Schnelligkeit des Filmschnitts. Für Hitchcocks berühmte Close-Ups erfinden Librettistin und Komponist die ideale Entsprechung in Form von Arien, die ihrerseits innerste Regungen nach Außen kehren und in die hörende Sichtbarkeit des Publikums befördern.

Nina Stemme triumphiert

Bei der wie immer hoheitsvollen, ihrer selbst mit jeder Szenen bewusster werdenden, Stärke und Unabhängigkeit entwickelnden Nina Stemme besteht denn auch als Alicia nicht mal für einen Sekundenbruchteil der Verdacht, sich in die spionagemotivierte Liaison mit einem früheren Freund ihres Vaters, dem heldentenoral hell strahlenden Michael Weinius als Muttersohn Alex Sebastian, als leichtsinniges oder gar leichtes Mädchen zu begeben. Vielmehr ist es ganz durch den Hass zu ihrem Vater zu deuten, dass Alicia nun durch den Einsatz ihres Körpers jener falschen Seite der an der Wunderbombe bauenden Nazi-Wissenschaftler den womöglich kriegsentscheidenden Schlag versetzen will und dabei nur zu gern in CIA-Diensten steht. Da hat ihr berechnender Mut etwas entschieden Toscahaftes.

Elektra lässt grüßen

Das verstrickte Vater-Tochter-Verhältnis freilich erinnert unter negativen Vorzeichen an die Beziehung von Agamemnon und Elektra: Die Oper beginnt sogar als Verweis auf den Richard Strauss-Antikenkrimi mit einer Anrufung des Vaters, der hier nun sogar leibhaftig erscheint. Eine von Stemmes Paradepartien scheint da also durch – natürlich hat sich Hans Gefors mit dem Repertoire der Sopranistin intensiv auseinandergesetzt und wirkt beeinflusst vom Furor, mit dem Nina Stemme ihre Rollen anlegt . In Musik, Atmosphäre und stimmlichen Anforderungen ist das immer wieder spürbar.

Wenn Gary Grant zum Bariton mutiert

Rein äußerlich als brünettes Wagner-Vollweib der grazil blonden Bergman deutlich unterschieden, zeichnet die grandiose Nina Stemme somit ein ganz eigenes Bild der kämpferischen Spionin. Der Devlin des John Lundgren ist seinerseits Alicias Liebhaber und Auftraggeber, wie ihn Gary Grant anlegte, deutlich unterschieden. Gary Grants schüchtern verschmitzter Charme ist ohnehin kaum zu imitieren. Stattdessen spielt Lundgren einen ganz schön unsympathischen Spionage-Technokraten, dessen Charisma zunächst eher an einen Stasi-Mann namens Putin erinnert, als dass er über die Ausstrahlung eines der guten Sache verpflichteten Verführers aus Leidenschaft verfügte. Es braucht einige der fünf Akte lang, daran zu glauben, dass dieser Strippenzieher auch ein wahrer Liebender ist: Am Ende rettet er die enttarnte Spionin aus den Fängen der Nazibrut, gesteht ihr seine Gefühle und bricht mit ihr in eine nicht näher bestimmte Zukunft auf. Offenes Ende.

Kompositorische Könnerschaft

Wie hat nun Hans Gefors diesen sehr wohl operntauglichen Stoff vertont? Mit Toscablut triefender veristischer Attacke und bruitistischen Avantgarde-Tönen für die fiesen Nazis? Oder ist er gar in die Falle einer plumpen filmmusikalischen Ausmalung getappt? Gefors ist zu klug, um in solche Fettnäpfchen zu treten. In ausgeprägter kompositorischer Könnerschaft hat der Schwede eine so expressionistische wie einfühlsame Musik ersonnen: Mit langen leisen, irisierenden Perkussions-Passagen für die Annäherung von Alicia und Devlin. Mit tollen Legatolinien und viel satter Mittellage  für die Heldin des Stücks, die gleichwohl zwei hohe Cs schmettern darf. Mit drei weiteren profilierten Partien – jener für eine böse Alte als Mezzo-Mutter Madame Sebastian (herrlich koloraturenkeifend: Katarina Karnéus), deren weinerlich tenorverliebten Alex und eben dessen Bariton-Nebenbuhler Devlin.

Diesem Opernwurf wünscht man ein Weiterleben

Gefors weiß, wie Oper geht. Harmonisch ist seine Musik eine Avantgarde light. Ein Richard Strauss ging da 100 Jahre früher in seiner eingangs zitierten Elektra deutlich weiter. Am ehesten mag man die Musik mit Bartóks einziger Oper Herzogs Blaubarts Burg vergleichen. Dessen Kürze eines Psycho-Schockers freilich wünscht man sich in Göteborg gelegentlich. Gefors gestattet sich eine nordische Entspanntheit des erzählerischen Zeitempfindens, um den starken Text in Musik zu setzen. Mancher Opernfilmschnitt könnte früher kommen, manche Szene spannungsprall soghafter auf die nächste folgen. Dennoch: Hier ist ein bedeutender Opernwurf entstanden, der den handelsüblichen intellektuellen Wichtigtuereien des deutschen Musiktheaters überlegen wirkt und dem man ein Weiterleben wünscht. Dann bitte unbedingt wieder mit der überragenden Nina Stemme und dann bitte gern auch in einer deutschen Übersetzung des schwedischen Librettos.

Göteborgs Operan

Gefors: Notorious

Patrik Ringborg (Leitung), Keith Warner (Inszenierung), Petter Jacobsen & Thomas Caley (Choreographie), David Fielding (Bühne & Kostüme), Dick Straker (Video), Nina Stemme, John Lundgren, Michael Weinius, Katarina Karnéus, Jón Ketilsson, Anders Lorentzson, Göteborgsoperan Orkester

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