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Opern-Kritik: Theater Lübeck – La Damnation de Faust

Kaleidoskop des Teufels

(Lübeck, 16.1.2015) Regisseur Anthony Pilavachi verabschiedet sich nach 18 Inszenierungen von der Hansestadt – mit seinem Meisterstück

vonPeter Krause,

Darf eine Faust-Oper leichtgängig, gar lustig sein? Dabei dennoch erkenntnisförderndes Schock-Potenzial bieten? Und mit der höchst modernen Botschaft enden, dass wir heute längst nicht mehr wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält? Die ausdrücklich nur teilweise auf Goethe fußende Faust-Oper des Franzosen Berlioz präsentiert uns Faust, den Unfaustischen. Keinen mittelalterlichen Wunderheiler und Wissenschaftlicher also, der sich dem Teufel verschreibt, sondern einen durch und durch modernen Menschen, der vor lauter Lebensekel und Langeweile selbst in seiner Liebes- und Naturverzückung nur mehr momentane Erquickung findet. Traum- und Trugbilder eines Einsamen, Entwurzelten, Beziehungslosen wechseln sich bei Berlioz wie im Filmschnitt ab, mit grellen Überblendungen, scheinbar unlogisch in Montage-Manier aneinandergeklebt und durch einen grandios grotesken, verführerisch mephistophelischen Musik-Mix beglaubigt. Man meint, Berlioz habe 1846 schon eine postmoderne Oper ersonnen, die gleichermaßen auf Mahler und Schostakowitsch wie auf Debussy vorausweist.

Pilavachi ersinnt genialisch bizarren Bilderreigen

Regisseur Anthony Pilavachi hat die sehr eigenartigen Bedingungen von La Damnation de Faust perfekt erspürt und grandios in die Inszenierungstat umgesetzt. Scheinbar ohne den ganz großen interpretatorischen Überbau, dessen die sich manisch ineinanderfügenden Berlioz-Szenen auch gar nicht bedürfen. Der genialisch bizarre Bilderreigen, den Pilavachi gemeinsam mit Stefan Heinrichs (Bühne) und Constanze Schuster (Kostüme) ersonnen hat, führt das Montage-Konstrukt des Stücks konsequent mit den Mitteln aktueller Bühnenkunst weiter. Vorne blicken wir stets auf Faustens verlotterte Studierstube, hinten ziehen die Stationen seiner Reisen und seiner künstlerischen Imagination flugs vorüber. Bewusst bleibt da in der Schwebe, welches Bild nur seinem Kopf entspringt, welches seine Erlebnisse spiegelt: virtuelle Welten, erfahren via sozialer Netzwerke, die kaum gelebte Liebe zu Marguerite – das ideale Weib zwischen Heiliger und Hure, die vorbeiziehende Soldateska, die skurrilen Tänze von Bräuten und des fast allgegenwärtigen frechen wie stummen Revue-Teufels-Double, das sich der Szene zwischen Kardinalspurpur und

Sensenmann-Schwarz stets extra böse und dabei stets mit einem Augenzwinkern anverwandelt.

Es wird exzellent gesungen    

Man müsste die Inszenierung in ihrer opiumseligen Flut der Assoziationen eigentlich mehrfach und wird dann vermutlich jedes Mal ein anderes Stück sehen. Was auch insofern kein Problem, sondern eine Freude ist, da im Theater Lübeck wie gewohnt exzellent gesungen wird. Wioletta Hebrowska als Marguerite mit großem Wandlungspotenzial zur selbstbewussten modernen Frau verströmt mit ihrem Mezzosopran warme, edle, gerundete Weiblichkeit, viel echt empfundenes Gefühl und glühende wie betörende Töne. Taras Konoshchenko ist ein klangvoller wie kultivierter Mephisto mit präzise artikulierendem Prachtbass. Jean-Noël Briend ist ein verblüffend raubeiniger, robuster, in der heiklen Partie stets sicherer Faust, der den Wechsel von der Bruststimme in die von Berlioz geforderte, typisch französische Voix mixte freilich nicht ganz bruchlos vollzieht.

Das Empfinden für französisches Flair fehlt dem Dirigenten

Dennoch gibt es an diesem gefeierten Abend eine Enttäuschung. Denn GMD Ryusuke Numajiri kann mit der Partitur nur wenig anfangen. Finesse, Flair, französischen Charme und feine Farben, Zwischentöne gar, muss man bei ihm vergebens suchen. Nur wenn die Musik geradeaus geht, wie im rasanten Rákóczy-Marsch, fühlt der Dirigent sich wohl, ansonsten fremdelt er mit Berlioz.

Ende einer Ära

Und es gab am Ende der Premiere noch eine bittere Botschaft: Anthony Pilavachi wird definitiv nicht mehr in Lübeck inszenieren. Nach 18 Regiearbeiten – darunter viel Wagner, wie der epochale, auf DVD festgehaltene Ring des Nibelungen oder die beglückende, schlicht perfekte Produktion von Tristan und Isolde – ist jetzt Schluss, wie der Regisseur am Ende coram publico verlautbarte. Es muss kräftig gekracht haben während der Probenphase, und letztlich zu keiner Lösung aufgestauter Probleme gekommen sein. Glücklicherweise ist davon in der Inszenierung nichts zu sehen. Ein Trauerspiel dennoch, dass die prägendste Regiehandschrift, die in der kleinen Hansestadt über viele Jahre zu bestaunen war – durchaus vergleichbar den tollen Jahren, die ein Peter Konwitschny den Hamburgern einst bescherte –, nun nicht mehr zu lesen sein wird. Eine Ära, für die in Lübeck auch der frühere GMD Roman Brogli-Sacher stand, geht zu Ende.

Theater Lübeck

Berlioz: La Damnation de Faust

Ryusuke Numajiri (Leitung), Anthony Pilavachi (Inszenierung), Stefan Heinrich (Bühne), Constanze Schuster (Kostüme), Wioletta Hebrowska, Jean-Noël Briend, Taras Konoshchenko, Seokhoon Moon, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck, Chor und Extrachor des Theater Lübeck

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