Der Start der Ruhrtriennale-Intendanz von Johan Simons verläuft durchaus holprig, gerade, was das Musiktheater betrifft. Der Versuch des Intendanten, Pasolinis über fünfzig Jahre alten Film Accatone in der Dinslakener Zeche Lohberg auf der Bühne zu lebendigen, wirkte, trotz des von Philippe Herreweghe und seinem Collegium Vocale grandios musizierten Bach, in keinem Moment zwingend. Und Susanne Kennedy richtete Monteverdis Orfeo auf Zollverein in Essen als schwerblütige, kalt-neurotische Designerinstallation zu. Nun also Nonos später Prometeo, vielleicht sogar der schwerste Brocken bis hierhin.
In der Industriekathedrale Nono lauschen
Eva Veronica Born hat die Kraftzentrale im Duisburger Landschaftspark-Nord von innen eingerüstet. Auf unterschiedlich breiten, unterschiedlich hoch angebrachten Podesten befinden sich die Mitwirkenden. Am Boden, in aus Sperrholz zusammengenagelten Kirchenbänken sitzt, mit unterschiedlichen Blickrichtungen, das Publikum. Die gewaltige Industriekathedrale wird zum pseudosakralen Klangraum. Nonos weiche, insistierende Klänge kreisen den Hörer ein, wehen über ihn hinweg, detonieren fast nie.
Die Musik fräst sich ins Ohr
André Richard, der auch schon bei der Uraufführung dabei war, lenkt den Klang elektronisch im Raum, perfekt sekundiert vom Experimentalstudio des SWR, Ingo Metzmacher gestaltet ihn vom Pult aus, sekundiert von seiner Co-Dirigentin Matilda Hofman. Ensemble Modern, Schola Heidelberg und die Solisten und Sprecher arbeiten auf allerhöchstem Niveau. Näher kann man dieser Musik kaum kommen, die immer engere Kreise zu ziehen scheint und sich unerbittlich sanft ins Ohr fräst – wenn der Zuhörer dieses offen hält. Etliche geben auf und verlassen das Event lange vor dem Ende.
Ist es Feuer des Prometheus oder nur ein schönes Orange?
Auf der Eintrittskarte steht „Musiktheater“. Das findet, wenn überhaupt, ausschließlich im Kopf statt. Lichtwechsel und -effekte scheinen Assoziationen wecken zu wollen. Plötzlich wird ein roter Industriekran schemenhaft sichtbar. Ein Zeichen für Zeus, für das Gefangensein des Prometheus, angeschmiedet im Kaukasus, gepeinigt von einem Adler, der an seiner Leber nagt? Das führt nirgendwo hin, wird nicht weiter geführt. Der Kran versinkt wieder im Dunkel, dafür bahnen sich orange leuchtende Neonröhren den Weg unter der Hallendecke. Ja, Prometheus hat sagenhaft einen Pflanzenstengel an den Sonnenwagen gehalten und so den Menschen das Feuer gebracht. Das wussten wir schon. Und wenn wir es nicht wussten, ist es nur schönes Orange. Wichtig bleibt es allein, sich dieser Musik auszusetzen und zu öffnen, diesem existentiellen, niemals aggressiven Aufbegehren. Aber ist das wirklich „Musiktheater“?
Luigi Nono: Prometeo
Ruhrtriennale im Landschaftspark Duisburg, Kraftzentrale
Ingo Metzmacher, Matilda Hofman (Leitung), André Richard (Klangregie), Susanna Andersson, Christina Daletska, Markus Francke, Noa Frenkel, Els Janssens-Vanmunster (Gesangssolisten), Caroline Chaniolleau, Mathias Jung (Sprecher), Schola Heidelberg, Ensemble Modern