Die junge Italienerin Cristina Baggio in der Titelrolle darf als Entdeckung bezeichnet werden. Zwar klingt sie in der nicht durchgängig gestützten Mittellage oft ein wenig wattig, aber die kraftvoll sich öffnende Höhe und die – meistens – differenzierte Textbehandlung entschädigen für vieles. Und Baggio hat die Ausstrahlung für die Partie. Und den Körper. Und sie tanzt den berühmten Schleiertanz selbst, als eiskalte Verführungsnummer. Emilio Pons lässt als Narraboth schönes, gesundes Tenormaterial hören, die junge Lucie Ceralová tastet sich mit imponierendem Alt durch die kurze Pagen-Partie, und Falko Hönisch gewinnt der undankbaren Kleinpartie des ersten Soldaten musikalisch bezaubernde Momente ab. Damit wären die Aktiva dieser Salome annähernd aufgezählt. Leider.
Ari Rasilainen dirigiert zu Beginn munter vorwärts, kostet die dynamischen Möglichkeiten der Partitur mit dem Sinfonieorchester Wuppertal weidlich aus, erzielt phasenweise echte Sogwirkung, verliert aber im zweiten Teil deutlich den Faden, lässt den zu stark gedämpften Klang zerfasern. Dazu sind die beiden männlichen Hauptrollen problematisch besetzt: ein Jochanaan, der etliche Vokale verfärbt, gelegentlich auch Zwischenvokale einbaut, so dass sein Text kaum verständlich ist und ein Herodes, der sich im Einheitston durch die Partie stemmt und immer wieder Töne von unten ansteuert. Dazu halten sich beide die überwiegende Zeit am oberen Ende der dynamischen Skala auf, sodass eine differenzierte Figurengestaltung aus der Musik heraus unmöglich wird.
Die Inszenierung ist ein farbenfrohes Nichts
Die Inszenierung von Michiel Dijkema taucht das Geschehen in einen knalligen Wirbel teilweise zotiger Oberflächlichkeiten. Das nimmt sich momentweise wirkungsstark aus, entpuppt sich aber dauerhaft als verlegene Bebilderung. Dijkema, bekannt als Erfinder ungewöhnlicher Bildwirkungen und, wie häufig, sein eigener Bühnenbildner, hat offensichtlich keine Haltung zu Salome gefunden. „Nah am Stück“ wolle er erzählen, heißt es im Programmheft, und „die musikalische Gegenüberstellung von erstickender Finsternis und vergiftendem Mondlicht“ verstärken.
Sein Bühnenbild, zwei übereinander gesetzte Halbröhren, die untere mit einem hellen, die obere mit einem dunklen Loch, tut es, die Personenführung tut es nicht. Auch die geplante „zweite Liebesgeschichte“ zwischen dem bisexuell gedachten Narraboth und dem Pagen, die Dijkema aus einem Halbsatz von Oscar Wildes Text ableitet, bleibt Behauptung, wird nicht gestaltet. Dafür bevölkert er die Bühne mit vielen aufwendigen Kostümen (Tatjana Ivschina). Salome im hübschen Weißen, Herodes als degenerierter Märchen-King, dazu edle Wilde, Burnus-Träger, ein dekorativ aufgestellter Henker, 30erJahre-Beaus und orthodox kostümierte Juden, die so putzig choreographiert sind, dass das Rassenklischee unangenehm nah ist. Alles zusammen: ein buntes Nichts.
Die Auflösung des Ensembles hat desaströse Folgen
Salome ist bekanntermaßen ein Ensemblestück. Und Wuppertal hat kein Ensemble mehr, seit GMD Toshiyuki Kamyoka das Szepter schwingt und auf Stagione-Prinzip umgestellt hat, angeblich, weil es weniger kostenintensiv ist und die künstlerische Qualität steigert. So werden die vielen kleinen Rollen von Nachwuchssängern und Gästen gesungen. Das Ergebnis ist nicht nur musikalisch desaströs. Es ist zu spüren, dass es hier keinen Zusammenhalt, kein gewachsenes Zusammenspiel gibt. Man kennt sich nicht und spielt nebeneinander her. Und die Premiere ist nicht einmal ausverkauft.
Sieben Vorstellungen – sieben verschiedene Dirigenten
Zusätzliche Besonderheit: Die sieben Vorstellungen werden von sieben verschiedenen Dirigenten geleitet. Da Kamyoka seinen Vertrag (in seinem ersten Jahr!!) bereits wieder gekündigt hat, um mehr international dirigieren zu können, muss Salome als Bewerbungsproduktion für die GMD-Findung herhalten. Ab 2016 soll es dann heißen: Kommando zurück. Es soll wieder ein Ensemble geben. Ob man dafür aber experimentierfreudige Spitzenkönner wie Dorothea Brandt, Olaf Haye oder Elena Fink wird gewinnen können, die alle bis zum Sommer 2014 hier engagiert waren, ist sehr die Frage. Auf jeden Fall kostet das als Spar- und Repräsentationsmodell gedachte Intendanten-Engagement Kamyokas die klamme Stadt eine Menge Geld – und noch mehr Glaubwürdigkeit.
Strauss: Salome
Ari Rasilainen (Leitung), Michiel Dijkema (Inszenierung und Bühne), Tatjana Ivschina (Kostüme), Matthew Tusa (Choreographie), Cristina Baggio, Michael Hendrick, Thomas Gazheli, Dubravka Musovic, Emilio Pons, Lucie Ceralová, Falko Hönisch, Sinfonieorchester Wuppertal