Volker Lösch ohne Sprechchöre? Das ist bei dem vom Schauspiel kommenden Regisseur undenkbar. Also importiert er sie auch in die Oper Magdeburg, in der im Verdijahr Macbeth gemacht wird. Gedemütigte Magdeburger Frauen geben Löschs Macbeth-Hexen, die dem männlichen Machtkosmos von Shakespeare ihre eigene, weibliche Ohnmacht entgegensetzen. Zu fünfzehnt skandieren sie in Kittelschürze und Pussy-Riot-Maske an die zehn Mal ihre Erfahrungen mit gewalttätigen, ignoranten, verletzenden, bösen Männern.
Vereinigt mit den Chorhexen gebären sie aus ihrer Mitte Lady Macbeth. Libretto und musikalische Umsetzung sehen vor, dass die Lady aus Machtgier ihren vom Gewissen geplagten Mann zum Blutrausch treibt. Diese „unverschämt patriarchalische Sicht“, erfahren wir vom Dramaturgen aus dem Programmheft, müsse nun „vom Kopf auf die Füße gestellt werden“. Also revolutioniert die Lady das System von innen und wird zum Opfer ihrer eigenen Gewalterfahrung erklärt. So dreht man sich Geschichten, wie man sie eben braucht. Nur: Warum schreibt Lösch dann keine eigenen, wenn er durch die Bank Verdis Figuren von vornherein denunziert und seiner Musik misstraut?
Ist der Ausgangspunkt zwar ganz bestimmt diskutabel, läuft die Dramaturgie doch der Opernmusik völlig entgegen. Mit aller Macht drückt Lösch seinem Macbeth-Experiment, wie er es selber nennt, einen nur allzu deutlichen Stempel auf: Alles Elend wird dieser Welt von einer Männergesellschaft zugemutet. Diese mit Morgenstern, Holzhammer, Maschinengewehr und Muskete gleichzeitig gedroschene Botschaft duldet keinen Widerspruch, denn der Andersdenkende würde sofort als Teil des Systems desavouiert.
Mit einer Überfülle von Reizen spart Volker Lösch auf leerer Bühne mit Videoleinwand nichts aus, was diese Erde öde, traurig und schlecht macht: wahlweise ein Atompilz, das brennende World Trade Center, die Umweltverschmutzung, eine Tsunamiwelle oder die Massentierhaltung. Rollt hier ein unendlicher Güterzug vermutlich ins KZ, läuft dort ein Kartenspiel mit allerlei Despoten durch den Projektor. Am Ende sollen unbedingt alle wissen und denken, was der Regisseur meint. Das macht die ganze Sache furchtbar öde – eine Schülertheatergruppe verhandelt mehr.
Wer braucht eine solche Entmündigung, infame Belehrung, selbstgenügsame Provokation? Wer braucht diesen völlig unmusikalischen Betroffenheitskitsch, der rein gar nichts fragt, geschweige denn erzählt? Diese auf drei Stunden ausgewalzte Indoktrination macht mit ihrer unerträglichen Selbstgerechtigkeit noch das gutwilligste Publikum zu Wutbürgern, immerhin. Aber ist das alles, was Lösch mit seiner Penetranz erreichen will? Ist nicht die Zeit solcher Profilierungssucht längst vorbei?
An musikalische Wahrnehmung ist an diesem Abend verständlicherweise wenig zu denken, auch weil sie ohnehin für unwichtig gehalten wird. GMD Kimbo Ishii-Eto hat alle Hände voll zu tun, das singende Personal immer wieder auf Schlag mit der Magdeburgischen Philharmonie zu bringen. Dem unaufgeregten Orchester lässt sich gut zuhören, den Solisten allerdings schlägt die Druckwelle ihrer oktroyierten Geschichte arg auf die Stimme. Melos und Koloraturen, Tessitura und Führung – all das leidet unter dem szenischen Überdruck, der sich an letztlich konventionell gebauten Tableaux abarbeitet. Wenn Gesungenes und Gespieltes nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, bleibt nur eins: eine wirkliche Tragödie.
Theater Magdeburg
Verdi: Macbeth
Ausführende: Kimbo Ishii-Eto (Leitung), Volker Lösch (Inszenierung), Bernd Freytag (Sprechchorleitung), Cary Gayler (Raum/Videokonzeption), Carola Reuther (Kostüme), Adam Kim, Johannes Stermann, Karen Leiber, Iago Ramos, Sprechchor „Magdeburger Hexen“
Termine: 17.11., 18:00 Uhr; 28.11., 19:30 Uhr; 21.12., 19:30 Uhr; 4.4., 19:30 Uhr; 13./27.4., 18:00 Uhr
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