Die Uraufführung der Mysterienoper Jesu Hochzeit von Gottfried von Einem im Rahmen der Wiener Festwochen war wohl der hysterischste Theaterskandal des Jahres 1980. Es hagelte Strafanzeigen und Proteste, Hetzschriften wurden verbreitet, Komponist und Librettistin, die Schriftstellerin Lotte Ingrisch, von Einems Ehefrau, sahen sich mit Morddrohungen konfrontiert. Die Uraufführungspremiere am Theater an der Wien wurde von Lichtprozessionen und Stinkbomben begleitet. Bei der deutschen Erstaufführung in Hannover noch im selben Jahr gab es ähnliche Spektakel. Die einzige Neuinszenierung danach, 1987 in Mainz, hatte ebenfalls mit Drohungen und Protesten seitens der Kirche kämpfen. Seitdem verschwand das Werk in der Versenkung. Heute ist eigentlich nicht mehr nachvollziehbar, weshalb dieses Stück so verteufelt wurde: Das Ganze war ein gemachter Skandal, von bestimmten konservativen Kreisen gelenkt. Wie so oft setzten sich die wutschnaubenden Moralhüter gar nicht richtig mit dem Corpus Delicti auseinander. Der Titel Jesu Hochzeit genügte offenbar schon für die Bissreflexe.
Jesu allegorische Verbindung mit der Tödin
Dabei ist dieser Titel von einem Ausspruch des Kirchenlehrers Augustinus abgeleitet und bezieht sich in der Oper konkret auf eine Allegorie. Der Sohn Gottes geht in Jesu Hochzeit nämlich eine Verbindung mit der weiblichen Allegorie des Todes ein, im Libretto die Partie der „Tödin“, weiblich, wie auch das Wort für „Tod“ im Hebräischen und in den romanischen Sprachen. Mystisch und auch zutiefst menschlich ist die Deutung der Lebensgeschichte von Jesus Christus im Libretto von Lotte Ingrisch, das naheliegende Fragen stellt, wenn die Geschichte um Jesus auch nur halbwegs ernst genommen wird. Ingrisch zeigt Maria und Josef, die vom göttlichen Heilsplan geradewegs überrumpelt werden. Sie präsentiert Magdalena, die ihre Suche nach Geborgenheit mit Sex verwechselt – aktuell gerade auch in der heutigen durchpornografierten Internet-Welt. Und da sind die Apostel, die der Mut verlässt. Es werden Fragen gestellt nach der Existenz Gottes, nach dem Tod, nach Vergeben, nach Freiheit.
Wiederentdeckung der Oper an einem österreichischen Bilderbuchgewässer mit Bergpanorama
Jetzt, mit einigen Jahrzehnten Abstand, wurde das Stück beim Festival Carinthischer Sommer in Kärnten, wofür die Oper einst ursprünglich gedacht war, erneut zur Diskussion gestellt. In Koproduktion mit dem Stadttheater Klagenfurt fand die Produktion unter freiem Himmel im stimmungsvollen Hof des Stifts Ossiach statt, am Ufer des Ossiacher See, einem jener österreichischen Bilderbuchgewässer mit Bergpanorama. Die Ausgrabung erwies sich als glückliches Unternehmen: Um es gleich vorwegzunehmen, die Premiere wurde mit begeistertem Applaus und stehenden Ovationen aufgenommen, die anwesende Lotte Ingrisch gefeiert.
Gottfried von Einems Musik ist suggestiv und unpathetisch geblieben
Die Musik Gottfried von Einems für Jesu Hochzeit hat nach über drei Jahrzehnten kein bisschen Staub angesetzt. Sie ist noch immer suggestiv, expressiv und ungemein gestisch, alles angenehm unpathetisch und ohne Schwulst, stattdessen auf den Punkt gebracht. Ein tänzerischer Puls zieht sich latent durch die gesamte Partitur. Dies alles entlockt Dirigent Jonathan Stockhammer dem Kärntner Sinfonieorchester, flankiert von einem vorzüglichen Sängerensemble und einem sehr präsenten Chor. Die eindrucksvolle Neuinszenierung von Regisseurin Nicola Raab und ihrer Ausstatterin Anne Marie Legenstein bietet eine schlüssige Lesart an. Die Oper ähnelt in Ossiach einem Reenactment, der kollektiven Aufarbeitung eines Geschehens als Erinnerungsritual, dabei kommt nicht der Hauch von Passionspielkitsch auf. Das Publikum sitzt im Halbkreis, im Zentrum ein langer Holzklotz als Tisch, um den sich die Akteure der Handlung versammeln, Menschen von heute: Das kann eine Projektgruppe im Grünen sein, eine Sommergesellschaft beim Picknick oder das letzte Abendmahl.
Klug eingesetzte V-Effekte der Regie
Die Regie hat so schlichte wie eindrucksvolle Bilder und Szenen gefunden, passend zur Musik. Einfache, aber klug ausgedachte Andeutungen reichen: Während Magdalena (Annette Schönmüller) die einleitenden Worte singt, sitzt Dirigent Jonathan Stockhammer im Schneidersitz mit E-Gitarre auf dem Tisch, bevor er vors Orchester tritt: Jesu Hochzeit ist als Theater auf dem Theater konzipiert. Die Liebesszene mit Jesus (Boris Grappe) und der Tödin (Ursula Hesse von den Steinen) gestaltet die Regie mit einem Verfremdungseffekt mittels akustischer Verdoppelung der Szene, die Partien werden live gesungen, während die Orchestermusik wie von einem alten Plattenspieler eingespielt werden. Am Ende schlägt die Tödin Nägel in den Tisch, ein Kreuz muss gar nicht erst aufgebaut werden. Jesus zieht wie ein Ackergaul die Last des Tisches, also der Welt, ein Bild wie aus dem Surrealismusklassiker Le chien andalou von Luis Buñuel. Einer von vielen starken Momenten. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Bühnen diese moderne Mysterienoper wiederentdecken, als Liebe auf den zweiten Blick.
Carinthischer Sommer
Von Einem: Jesu Hochzeit
Jonathan Stockhammer (Leitung), Nicola Raab (Regie), Anne Marie Legenstein (Bühne & Kostüme), Hari Michlits (Licht), Boris Grappe, Ursula Hesse von den Steinen, Frederika Brilembourg, Dan Paul Dumitrescu, Annette Schönmüller, Julia Koci, Marcel Beekmann, Kärntner Sinfonieorchester, Chor des Stadttheaters Klagenfurt