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Opern-Kritik: Festwochen der Alten Musik – Narciso

Liebesgott im Grand Hotel

(Innsbruck, 29.8.2014) Große Wiederentdeckung: Domenico Scarlatti als Opernkomponist

vonPeter Krause,

Wenn Opernkenner von Scarlatti schwärmen, meinen sie meist unausgesprochen Papa Alessandro – als neapolitanischer Kapellmeister eine der prägendsten Persönlichkeiten und Erneuerer der Barockmusik in der italienischen Opernszene. Alessandro, der auch die Melomanen von Rom und Venedig in Entzücken versetzte, will laut selbst erstelltem Werkkatalog stolze 117 Opern komponiert haben. Sein nicht minder genialer Figlio Domenico hingegen kann mit einem anderen Superlativ aufwarten: 558 Sonaten für das Cembalo hat er geschrieben –  mitsammen Geist, Originalität und Humor sprühende Werk sind das –, er galt als der führende Tastenvirtuose seiner Zeit, soll sich mit seinem Kollegen Händel in Venedig gar ein musikalisches Duell geliefert haben: Das Wettspielen ging glücklicherweise unentschieden aus – und eine lebenslange Freundschaft der beiden Meister begann.

Innsbruck – heimliches Mekka der berückenden Barockpflege

Domenico hatte vom Vater freilich auch das Operngen geerbt. Und just Georg Friedrich Händel sorgte in seiner eigenen Londoner Domäne dafür, dass die Oper Narciso des von ihm so sehr geschätzten Mitbewerbers just an jenem Haymarket Theatre aufgeführt wurde, in dem in derselben Saison auch Händels Radamisto Premiere feierte. Im immer noch ein wenig heimlichen Mekka der berückenden Barockpflege war der Narciso jetzt wiederzuerleben – und zu bestaunen. Die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik bieten, seit René Jacobs sie auf Weltniveau gehoben hat, unter der nicht minder animierten Leitung von Alessandro De Marchi fulminante Entdeckungen aus der immer noch riesigen Zauberkiste der Barockoper. Bis heute rätselumrankt ist nun auch der auf Ovids Metamorphosen basierende Narciso. 1714 wurde er als arkadisches Pastoraldrama mit eingemengtem Heldenstoff noch unter anderem Namen im römischen Privatpalazzo der polnischen Königin Maria Casimira aus der Taufe gehoben. Die Partitur des Originals ist verschollen. Die Londoner Fassung indes wurde in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek als Teil der Sammlung von Friedrich Chrysander, des ersten Händel-Herausgebers, aufgespürt.

Affekt-Feuer und Affekt-Innigkeit trotz kruden Librettos

Alessandro de Marchi vermutet, dass die Partitur letztlich ein Pasticcio darstellt, in das neben der Musik Domenicos auch solche seinen Vaters wie solche seines Freundes Händel eingeflossen ist. Der Qualität des Ganzen tut dies keinen Abbruch. Das Drama um den stolzen Narziss und die liebeshungrige Nymphe Echo ist eine allzu typisch barocke, naturmetapherngespickte Libretto-Katastrophe mit wie üblich hanebüchen angehängtem „lieto fine“. Doch das macht eben gar nichts, solange der Text treffliche Anlässe für das vom Eros getriebene Wechselspiel von Affekt-Feuer und  Affekt-Innigkeit großartiger Arien bietet – und solange großartige Sängerinnen und Sänger auf der Bühne beglaubigen, was bei reiner Librettolektüre nur für Kopfschütteln sorgt.

Fabio Biondi uns sein swingendes Orchester

In Innsbruck haben De Marchi und sein Team für ideale Interpreten gesorgt. Fabio Biondi leitet die Aufführung mit seinem herrlich swingenden Orchester „Europa Galante“ von der Geige aus, der er immer wieder feinsüß lukullische, niemals allzu vegetarische – mithin historisch korrekt trockene, sondern stets klangreich gerundete vibrierende Linien entlockt, die sich den Sängern wie edle Seidentücher um die Stimmen legen. Hier versteht man historische Aufführungspraxis längst nicht mehr ideologisch, sondern als lustvolle Verlebendigung einer von freudigster Inspiration erfüllten Musik.

Barockgesang kann so sinnlich sein

Zwei Mezzosopranistinnen beherrschen die Szene. Maite Beaumonts Gesang ist in jeder Phrase pures Drama, ihr brennender Mezzo klingt satt, hat immer die rechte Dosis Pathos – ein Vollweib in Männerkleidern zeigt hier als burschikoser Narciso, wie aufregend sinnlich Barockgesang doch sein kann. Dazu gesellt sich in anregender Dynamik des Kontrasts: Chiara Osella als Eco. Ihr schlackenlos klarer, gleichwohl anschmiegsamer Mezzo – die junge Italienerin muss ein toller Cherubino sein – hat eine ganz andere Färbung als jener der Beaumont. Die Mischung der Stimmen im Duett „Dio d‘amor“ ist traumhafter Höhepunkt eines an tollen Arien überreichen Abends.

„Grand Hotel Arcadia“

Überhaupt erweist sich Scarlatti in seinem Narciso als überaus einfallsreich in der Überwindung schematischer Arienfolgen: Seine Rezitative klingen alles andere als trocken, er findet interessante Kopplungen des ariosen und rezitativischen Singens. Und der Regisseur? Davide Livermore hat die straightforward kaum erzählbare arkadische Story kurzerhand in ein heruntergekommenes, schön schräges Hotel verlegt, das den Namen „Grand Hotel Arcadia“ trägt – wohl in Anspielung auf den Film Grand Hotel Budapest. Zwei wunderbare Tänzerinnen als Liftgirls sorgen dafür, dass dessen Personnage sich nach allen Regeln der Komödienkunst den allfälligen Liebeswirrungen hingeben kann. Ein paar Grad mehr an frecher Überdrehtheit hätten all dem noch gut getan. Dafür kam die fantastische musikalische Qualität umso überwältigender zum Ausdruck.

Tiroler Landestheater

Scarlatti: Narciso

Fabio Biondi (Leitung), Davide Livermore (Regie & Bühne), Mariana Fracasso (Kostüme), D-WOK (Video), Maite Beaumont, Chiara Osella, Hyekyoung Choi, Valentino Buzza, Federica Alfano, Fátima Sanlés, Luisa Baldinetti

Was es im Bereich Festival außerhalb von Innsbruck zu entdecken gibt, stellen wir Ihnen in unserem Festivalguide vor.

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