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Musiktheater-Kritik: Ruhrtriennale – Neither

Menschen, Tiere, Sensationen

(Bochum, 6.9.2014) Romeo Castellucci findet spektakuläre Bilder für Morton Feldmans geheimnisvolle Musik

vonAndreas Falentin,

Romeo Castellucci nimmt Feldmans feingliedrige, geheimnisvoll anmutende Musik auf Samuel Becketts 87 Wörter in höchst ungewöhnlicher Weise beim Titel-Wort. Er inszeniert kein „entweder – oder“, noch weniger ein „weder – noch“, sondern scheint mit spektakulären, oft düsteren Bildern nach einer eigenen, so offenen wie zwingenden Dialektik zu suchen.

Es beginnt mit Schrödingers Katze bei der Ruhrtriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle – einem Gedankenexperiment aus dem Jahre 1935. Eine Katze in einem geschlossenen Kasten könnte durch eine Kettenreaktion zu Tode kommen. Wir kennen den Zeitpunkt nicht. Solange wir den Kasten nicht öffnen, können wir folglich nicht wissen, ob sie lebt oder nicht, was nicht heißt, dass sie weder tot noch lebendig ist. Während diese Thematik im Vordergrund illustriert wird, bringt hinten einer einen anderen um. Dieser erhebt sich und tötet jetzt den einen. Beide stehen auf und bringen sich gegenseitig um. These – Antithese – Synthese?

Wenn die Musik einsetzt, ist das Publikum also schon, ausgehend vom Titel Neither – zu Deutsch „Weder“, in eigene Sophistereien verstrickt. Ein schwarzes Loch in Form eines riesigen Hauses fährt heran und setzt eine Art 40er-Jahre-B-Movie auf der Bühne in Gang. Laura Aikin, mit unheimlich sicherer, nie angestrengter Tongebung und erstaunlich viel Textverständlichkeit die einzige Singstimme des Werks, ist die Mutter einer Tochter. Sie hat etwas oder will etwas haben. Was, erfahren wir nicht, aber ihr Kind wird – vermutlich deshalb – entführt. Sie gerät in Konflikt mit Polizei oder Gangstern oder beiden oder niemandem. Entweder so oder so, vielleicht auch weder so noch so. Eher anders. Lösung, Aufklärung, scheinen diese merkwürdigen, scheinbar bewusst beziehungslosen Worte, Klänge und Töne des Stücks nicht zuzulassen.

Makellos wie geheimnisvoll

Plötzlich ist die Riesenbühne leer und wird nur noch von außen beleuchtet, durchs Dach, mit von Kränen hängenden Riesenscheinwerfern. Aus dem Dunkel schält sich ein lebendes Pferd und verweist durch seine makellose Schönheit und die Eleganz seiner Bewegungen, durch seine ungezügelte Kraft und nicht zuletzt durch die vollständige Sinnlosigkeit seiner Anwesenheit auf die Musik. Die modellieren die Duisburger Philharmoniker mit dem Dirigenten Enrico Pomarico zu wie auf Inseln der Stille gelagerten feingliedrigen Klangflächen und –punkten, so makellos wie geheimnisvoll.

Der szenische Schlussblock verwirrt. Grubenarbeiter jeden Alters erscheinen, Polizisten, Ärzte. Die Leiche einer alten Frau verwandelt sich in ein amputiertes Bein. Eine lebensgroße Dampflok rast im Zeitlupentempo auf die Zuschauer zu. Das Bein hält Stand, die Tribüne nicht. Sie wird etliche Meter zurückgestoßen. Plötzlich liegt ein Frauenkörper da, jener der Mutter aus dem B-Movie. Ohne Bein. Sie humpelt davon. Das Bein steht einsam auf der Bühne – als Antithese ohne Widerpart. Alles belanglose Spinnerei?

Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. Heißt es im Programmheft. Ein klares Statement, ein ungewöhnlicher Theaterabend, ein wirklich wagender Versuch ist diese Neither– Aufführung auf jeden Fall geworden, sanft bei aller Brutalität, nachdenklich bei aller Entschlusskraft. Und bemerkenswert ironiefrei.

Jahrhunderthalle Bochum
Feldman: Neither

Ausführende: Enrico Pomarico (Leitung), Romeo Castellucci (Regie/Ausstattung), Piersandra di Matteo, Stephan Buchberger (Dramaturgie), Laura Aikin (Sopran), Duisburger Philharmoniker u. a.

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