Sie war ein Mordsweib der Renaissance, mischte Gift, tötete Widersacher, brach die Ehe, schlief derweil sowohl mit ihren Brüdern, als auch mit ihrem Vater. Der war seinerseits hauptberuflich eigentlich Papst. Die Geschichte des Borgia-Clans bietet reichlich Stoff fürs Kino, fürs Theater, für die Oper. Victor Hugo sah sich durch die Story zu einer Tragödie inspiriert, ein Drama, das Donizetti wiederum als Grundlage seiner Opera seria Lucrezia Borgia diente.
In ihr findet der viel zu lang als bloßer Vielschreiber trivialen Primadonnenfutters verschriene Meister des Belcanto zu einer theaterprall-mitreißenden Düsternis, die selbst in Dur-Tonarten dräuend schillert und in den vokalen Girlanden des Ziergesangs affektsatt zelebriert wird. Nie sind es bloße Drahtseilakte stimmlicher Zirkusnummern, die hier unseren staunenden Ohren vorgeführt werden – es ist ein Belcanto, der bereits auf Verdis psychologische Wahrhaftigkeit vorausweist. Und in der Tat: Dessen Trovatore verdankt seine Zutaten aus Verrat und Rache, Nachtszenen, bösen Prophezeiungen und einem verlorenen Sohn sowie seine tiefschwarze Tinte eben diesem großen Wurf des Gaetano Donizetti. Nach der jeweils spezifischen „Tinta“, der eine Oper charakterisierenden Farbe also, sollte Verdi später suchen. Der angeblich seichte, kantilenenselige Donizetti wurde dafür zu seinem Vorbild.
Noch immer makellos
All dies in einer „nur“ konzertanten Premiere ganz unmittelbar zu erfahren, ist freilich keineswegs selbstverständlich. Da hier jedoch eine Edita Gruberova in der Titelpartie auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper steht, ereignet sich das Erstaunliche: Es ist nicht weniger als die Emanzipation des Hässlichen im Reiche des Schöngesangs. Anders als ihre Kolleginnen und Kollegen, die im Spätherbst ihres Sängerlebens bestenfalls ins auch lagenmäßig tiefergelegte Charakterfach hinabsteigen, bleibt die Königin des Belcanto ihrem Repertoire treu, erfindet sich selbst aber gleichsam neu – und erneuert, ja rehabilitiert damit auch den Belcanto selbst. Noch immer verfügt die als koloratursausend stupende Strauss-Zerbinetta schon vor 40 Jahren und noch unter Karl Böhm die Opernwelt verrückt machende Diva über die gestochen schlackenlose Klarheit ihres sopransilbrigen Tons. Noch immer setzt sie ihre Schwelltöne in einem wie gehauchten Pianissimo, mithin wie aus dem Nichts kommend an. Lädt eine Phrase hernach mit fulminanten Trillern auf. Und fokussiert eine sanft fortgesponnene Linie schließlich in einem den Saal zerlegenden Spitzenton. Soweit geht die Belcanto-Kunst der Gruberova, die getragen wird von ihrer makellosen, ihr noch in verrücktesten Vokalverrenkungen Sicherheit schenkenden Atemtechnik.
Überzeugend auch ohne Maske und Regie
Doch dann hat sie eben den Mut, diese Grenzen eines bloßen Belcanto weiter zu ziehen. Dazu spielt sie das böse, verbiesterte und verbitterte Weib der Lucrezia Borgia mit einer grandiosen Glaubwürdigkeit und uns bannenden Konzentriertheit. Den Ausruf „o ciel“ – „Oh Himmel“ oder die fürchterliche Enthüllung gegenüber ihrem vermeintlichen Liebhaber Gennaro, der doch ihr Sohn ist, „Un Borgia sei“ – „Ein Borgia bist Du“, lädt sie mit einer geradezu veristischen, fast schon melodramatisch gesprochenen Direktheit auf. Extremtöne biegt sie aus der Piano-Zartheit ins Schrill-Scharfe um. Hässlichkeit wird zum bewusst eingesetzten Ausdrucksmittel. Schöngesang wird zum Wahrheitsgesang geadelt. Und die Oper der Romantik wird auf einmal zum Musiktheater – ganz ohne Regie und Bühne, Kostüm und Maske.
An der Seite der gereiften Königin des Belcanto stehen zwei Herren, die auch im wahren Leben ihre Söhne sein könnten. José Bros gibt den Gennaro mit delikat hellem Tenor, dem immer noch jenes jungmännisch schmeichelnde, obertonreiche Unschuldstimbre eigen ist, das Opernfreunde in den vergangenen 20 Jahren entweder betört oder verstört hat. Die Projektionsfähigkeit seiner Stimme hat der Katalane indes deutlich ausgebaut und damit seine Strahlkraft maximiert – auch Bros begeistert. Adrian Sâmpetrean als eifersüchtiger Ehemann Don Alfonso aber bietet das vollkommene Bass-Glück. Der dem Hamburger Ensemble längst entwachsene Rumäne steht am Anfang einer Weltkarriere. Der virile Kern, die absolute Eloquenz, der hintergründige Eros und die erregende stimmliche Schönheit sind gerade in seinem Fach eine Seltenheit. Am Pult debütiert Pietro Rizzo als sängerdienlicher Anwalt Donizettis. Der römische Maestro animiert die Philharmoniker zu poetischer Feinzeichnung und hier durchaus ungewohnter Phrasierungsfreude.
Hamburgische Staatsoper
Donizetti: Lucrezia Borgia
Ausführende: Pietro Rizzo (Leitung), Edita Gruberova, José Bros, Adrian Sâmpetrean, Cristina Damian, Philharmoniker Hamburg, Chor der Staatsoper
Termine: 30. März und 3. April, je 19:00 Uhr
Weitere Termine der Hamburgischen Staatsoper finden Sie hier.