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Musical-Kritik: Theater Altenburg-Gera – Mein Freund Bunbury

Wo steckt Mister Bunbury?

(Gera, 6.8.2021) Warum nur setzen nicht mehr Häuser auf diese sichere Bank des heiteren Musiktheaters aus der ehemaligen DDR? Gerd Natschinskys schmissiges Stück bester Unterhaltung wirkt jedenfalls kein bisschen angestaubt.

vonRoberto Becker,

Gibt es ihn wirklich diesen Bunbury? Und falls ja: lebt er noch? So oft, wie der schon seine Freunde Jack oder Algernon angeblich um Hilfe gerufen hat, damit die sich aus einer Gesellschaft davon machen können, wenn es ihnen langweilig wird oder sie was Besseres vorhaben, müsste er schon längst verblichen sein. Die gelegentlich über ihre eigene Vornehmheit stolpernde Lady Bracknell ist jedenfalls der Meinung, dass er sich mal entscheiden solle, ob er nicht wirklich abtreten wolle. Verdacht kommt (wohl nicht nur bei ihr) auch auf, und die Verwirrung beginnt sich zu steigern, als einer den Namen der personifizierten Ausrede als Pseudonym für sich selbst benutzt.

Musiktheater nach Oscar Wilde funktioniert nicht nur bei Richard Strauss vortrefflich.

Der brillante Wortedrechsler Oscar Wilde (1854-1900) hat sich das ausgedacht und 1895 unter dem Titel „The Importance of Being Earnest“ als eines seiner bekanntesten Werke auf die Bühne gebracht. Ein Stück, das ebenso ein eigenständig andere Autoren und Komponisten inspirierendes Nachleben entfaltete. So wie seine „Salome“ zur Vorlage für den Richard-Strauss-Einakter wurde, avancierte die Komödie mit dem deutschen Titel „Ernst sein ist alles oder Bunbury“ zur Vorlage für eines der erfolgreichsten und besten deutschen Musicals.  Das verblüffende daran ist, dass es in der DDR entstand und unter dem Titel „Mein Freund Bunbury“ drei Jahre nach dem Mauerbau im Ostberliner Metropoltheater uraufgeführt wurde. Das heute mit Gera verbundene Theater Altenburg kann übrigens für sich die Ehre in Anspruch nehmen, es als erste Bühne nach der umjubelten Berliner Premiere nachgespielt zu haben. Helmut Bez und Jürgen Degenhardt haben frei nach Wilde daraus das Libretto und damit eine Steilvorlage für den (ost-)deutschen Musical-König Gerd Natschinsky gemacht.

Szenenbild aus „Mein Freund Bunbury“
Szenenbild aus „Mein Freund Bunbury“

Ein verblüffendes Stück DDR-Musikgeschichte

Die Handlung haben sie in das London der Zwanziger Jahre verlegt. Damit ist die Tür geöffnet, durch die auch Modetänze der Zeit wie Black Bottom und Charleston den Tänzern in die Glieder fahren können. Herausgekommen ist nicht nur ein verblüffendes Stück DDR-Musikgeschichte, sondern ein immer noch absolut bühnentaugliches und schmissiges Stück beste Unterhaltung, dessen Musik sofort ins Ohr geht und dort auch bleibt. Allein den Titel „Mein Freund Bunbury“ wird jeder, der ihn schon mal gehört hat, fortan nur noch mit der Melodie zusammendenken können. Aber das geht so weiter.

Nicht nur der Leitmotivsong zündet.

Als der damals 80jährige Komponist 2009 seinen Bunbury in Halle besuchte, wusste er von 170 Inszenierungen zu berichten und war stolz auf mehr als 6000 Vorstellungen. Ein paar sind noch dazu gekommen, dennoch wundert man sich, dass heute nicht mehr Häuser auf diese sichere Bank des heiteren Musiktheaters setzen. Im Westen Deutschlands lässt sich das noch mit der leider immer noch üblichen Ignoranz (1964 in Ostberlin uraufgeführt, das kann ja nix sein) erklären, im Osten aber nicht. Hier hätte man sogar noch das Publikum, das aus dem Stand mitsingen könnte. Selbst wenn es wie jetzt in Gera „nur“ eine reduzierte Orchesterfassung (wie die von Olav Kröger) ist und die Freiluftbühne neben dem Opernhaus offenbar jedes Fahrzeug mit Sirene magisch anzieht und auch die Straßenbahnen ihr Lärmschärflein beitragen – das was die Musiker des Philharmonischen Orchesters unter Leitung von Thomas Wicklein von ihrem Zelt rechts neben der ebenfalls überdachten Bühne beitragen, ist einfach gut. Und zündet. „Mein Freund Bunbury“ als Leitmotivsong sowieso. Aber auch „So wie Du“, „Picadilly“ oder „Sunshine Girl“ oder das Kabinettstück für Lady Bracknell „Ein bißchen Horror und ein bißchen Sex“ klingen nach Musical der Spitzenklasse und kein bisschen provinziell oder nach irgendwelchen Übergriffen einstiger Kulturbehörden.

Szenenbild aus „Mein Freund Bunbury“
Szenenbild aus „Mein Freund Bunbury“

Diese Sommertheaterproduktion an freier Luft macht Lust auf mehr.

Natürlich wäre das alles ein paar Nummern größer besetzt noch mitreißender, aber eine Ahnung davon, warum Bunbury so populär ist, bekommt man in Gera allemal. Für die Inszenierung (inklusive Choreografie) von AnnaLisa Canton, hat Ausstatterin Elena Köhler ein paar leicht verschiebbare Kulissen auf die Bühne gestellt, mit denen sich im Handumdrehen der Schauplatz vom Bahnhofsvorplatz zum Salon wechseln lässt. So leicht wie der Butler (Johannes Emmrich) von seiner Rolle als Jeremias (beim Kriminalschriftsteller) in die als John (bei der Lady) schlüpft. Das funktioniert reibungslos und hilft dabei, den Doppelexistenzen auf der Spur zu bleiben. Kai Wefer ist der schriftstellernde Dandy Moncrieff, der (mit Erfolg) hinter Cecily (Mirian Zubieta) her ist, die ihrerseits (geheim versteht sich) zwischen ihrem Job bei der Heilsarmee und als Sunshine Girl in der Musichall pendelt. Juliane Bookhagen trägt als Lady Bracknell vor allem ihre adlige Nase hoch. Claudia Müller ist die von ihr behütete Gewedolin, die Alexander Kerbst als Jack am Ende natürlich kriegt. Auf der Strecke bleibt nach einigem amüsanten Hin und Her nur Bunbury, den man nach Aufklärung aller Heimlichkeiten nicht mehr braucht. Doch zu guter Letzt stellt sich nicht nur heraus, dass Jeremias und John ein und derselbe ist, sondern auch noch wirklich Bunbury heißt. Diese Sommertheaterproduktion hat ihren Unterhaltungswert, weil alle mit Freude bei der Sache sind. Und sie macht Lust auf mehr. Von diesem Stück und von diesem Komponisten!

Theater Altenburg-Gera
Natschinsky: Mein Freund Bunbury

Thomas Wicklein (Leitung), Anna Lisa Canton (Regie & Choreogrphie), Elena Winter (Bühne & Kostüme), Catharina Jacobi (Dramaturgie), Alexander Kerbst / Johannes Pietzonka, Miriam Zubieta, Kai Wefer, Juliane Bookhagen / Carolin Masur, Claudia Müller, Johannes Beck, Mechthild Scrobanita, Johannes Emmrich, Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera, Opernchor des Theaters Altenburg Gera, Thüringer Ballett

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