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Opern-Kritik: Oper Köln – Pünktchen und Anton

Spiel, Spaß und Fantasie

(Köln, 10.2.2021) Iván Eröds Kinderoper „Pünktchen und Anton“ nach dem Roman von Erich Kästner feiert ihre deutsche Erstaufführung im Online-Stream.

vonAndré Sperber,

„Nicht schon wieder in die Oper! Wo alle nur singen, sodass ich nichts verstehen kann und mir beide Ohren klingeln!“, mault Spazierstockfabrikant Pogge und spricht damit sicher vielen Kindern operaphiler und auch -phober Eltern aus der Seele. Denn den Kleinen – und auch so manchem Erwachsenen – kann ein ausladender Opernabend schon mal das Äußerste abverlangen. „Hör einfach nur mit dem Herzen, dann klingt alles anders und schön“, weiß Frau Pogge ihrem ausgehfaulen Gatten weise entgegenzusetzen und erteilt damit nachhaltigen Rat.

Eine wirklich wichtige Sache

Es ist ein geschickter Schachzug von Librettist Thomas Höft: Er setzt in seiner musiktheatralen Verarbeitung des Kinderklassikers „Pünktchen und Anton“ von Erich Kästner nicht nur auf die Lehren sozialer Verantwortung und Gerechtigkeit, sondern bringt den Zuschauenden der Kinderoper auch die Rezeption der eigenen Gattung auf unterhaltsame, lebenspralle Weise nahe. Gerade in den heutigen Zeiten, in denen das kulturelle Leben auf ein Minimum reduziert ist, eine wirklich wichtige Sache. Umso anerkennenswerter ist deshalb auch, dass die Oper Köln sich in Krisenzeiten dazu entschieden hat, die deutsche Erstaufführung von „Pünktchen und Anton“ ins Netz zu verlegen und als aufgezeichnetes Streaming-Event anzubieten.

Eröd und Gillessen halten sich eng an Kästners Romanvorlage

Stefan Hadžić, Lotte Verstaen
Stefan Hadžić, Lotte Verstaen

1931 schrieb Erich Kästner seinen berühmten Kinderroman; eine Zeit, in der sich die Deutsche Republik schon mit wackeligen Schritten am Rand des nationalsozialistischen Abgrunds bewegte und die gesellschaftliche Kluft zwischen Arm und Reich sich stetig vergrößerte. Die Oper des 2019 verstorbenen Iván Eröd entstand rund achtzig Jahre später und wurde 2010 im Kinderopernzelt der Wiener Staatsoper erfolgreich uraufgeführt. Der österreichische Komponist mit ungarischen Wurzeln hält sich in Handlungszeit, -ort und -ablauf eng an Kästners Romanvorlage, und auch Regisseurin Brigitta Gillessen, die seit der Spielzeit 2014/15 als Leiterin der Kinderoper der Oper Köln aktiv ist und schon zahlreiche Produktionen jener Art, wie z. B. „König Arthur“, „Die Kluge“, „Irgendwie anders“ oder Wagners Ring-Opern für Kinder inszenierte, verlegt das Abenteuer von „Pünktchen und Anton“ nach Charlottenburg, in die Zeit von Aufstieg und Fall der Stadt Berlin, um 1930.

„Warum gibt es eigentlich arme und reiche Leute?“

Hier lebt nämlich die kleine Luise Pogge, genannt Pünktchen, bei ihren wohlhabenden Eltern. Mit zum Haushalt gehören außerdem die Köchin Berta und das Kindermädchen Fräulein Andacht. Pünktchen ist mit dem aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Anton befreundet, der mit seiner kranken Mutter zusammenwohnt. Um genug Geld fürs Essen zu haben, verkauft Anton nachts heimlich Schnürsenkel auf der Straße, Pünktchen hilft ihm dabei. Mit Spiel und Spaß halten sich die beiden bei Laune und nähern sich gleichzeitig großen Fragen wie „Warum gibt es eigentlich arme und reiche Leute?“. Durch Mut, Scharfsinnigkeit und Hilfsbereitschaft können sie letztendlich sogar noch ein Verbrechen verhindern, in das das unliebsame Kindermädchen Fräulein Andacht und ihr zwielichtiger Freund Robert verwickelt sind.

Keine altbackene, ermahnende Moralkeule

Ana Fernández Guerra, Dustin Drosdziok, Luzia Tietze
Ana Fernández Guerra, Dustin Drosdziok, Luzia Tietze

Das Schöne dabei: Weder Kästner noch Regisseurin Gillessen schwingen die altbackene, ermahnende Moralkeule Grimm’scher Märchen, sondern halten die Fantasie und Kurzweiligkeit im Vordergrund. So vergeht die gerademal einstündige, für Kinder ab sechs Jahren geeignete Oper wie im Fluge. Ermöglicht wird dies auch durch die schnellen Szenenwechsel und blitzartigen Umbauten des Bühnenbilds von Jens Kilian, der sich auch für die Kostüme zuständig zeichnet. So besteht die wandelbare Kulisse aus drehbaren Perikaden, die den Spielraum aus dem Staatenhaus der Oper Köln je nach Ausrichtung mal in das Wohnzimmer der Pogges, die Küche von Antons Mutter oder in den Berliner Tiergarten verlegen. Für eine besonders urbane Atmosphäre und sofortige Verortungsmöglichkeit sorgt die unverwechselbare gelbe Berliner U-Bahn, die hin und wieder über eine geziegelte Brücke im Hintergrund rattert.

Die eingängige Musik macht den größten Reiz der Kinderoper aus

Den eindrücklichsten Reiz der Kinderoper bringt jedoch Eröds eingängige, nachvollziehbare und trotzdem abwechslungsreiche Musik. Das Gürzenich-Orchester Köln, das seitlich der Bühne platziert ist, liefert unter der Leitung von Harutyun Muradyan eine solide Leistung ab. In der Musik spiegelt sich auch die gewollt karikativ überspitze Zeichnung der Charaktere wider: Als beispielsweise der verbrecherische Robert (Dustin Drosdziok) im mafiösen Outfit fiese Pläne für einen Einbruch schmiedet, erklingt ein klischeehafter Kriminalblues mit wanderndem Bass und Brushes am Schlagzeug, der dann bei falschen Umgarnungen des Kindermädchens Fräulein Andacht (Maike Raschke) in einen extra schmalzigen Tango übergeht. Insgesamt halten die jungen wie auch die erfahreneren Akteurinnen und Akteure ein gesanglich stabiles Niveau, und auch diejenigen mit Akzent bleiben vor allem beim Singen verständlich in der Aussprache. Die beiden liebenswerten Hauptdarstellerinnen Ana Fernández Guerra, das aufgeweckte, freche Pünktchen – natürlich in gepunkteter Kleidung – und Luzia Tietze, der zuversichtliche, fröhliche Anton mit Sommersprossen und Hosenträgern, singen sich spätestens beim Duett „Wir sollten einfach teilen“ in die Hörerherzen. Und auch Herrn und Frau Pogge (Stefan Hadžić und Claudia Rohrbach) ist bei ihrem abendlichen Opernstreit mit Spaß an der Musik zu folgen. Doch auch ernstere Momente wie der verzweifelte Monolog der kränklich stark zugequollenen, sich dafür aber recht rüstig bewegenden Mutter von Anton (Eva Budde) funktionieren gut.

Die Energie des Kinder-Publikums fehlt

Claudia Rohrbach
Claudia Rohrbach

Einige der Witze, die das Libretto eigentlich parat gehabt hätte, gehen allerdings aufgrund einer schwächeren schauspielerischen Leistung, insbesondere in den gesprochenen Passagen verloren. Am besten hervor tut sich mit dem erpresserischen Gottfried Klepperbein (Sung Jun Cho) hier noch eine der Nebenrollen. Zudem fehlt im coronabedingten Streaming einer Kinderoper vermutlich noch mehr als in einer Erwachsenen-Oper das, was alle Spielenden und Singenden so schmerzlich vermissen: die Energie des Publikums, in diesem Fall des Kinder-Publikums. Eine gewisse unvermeidliche, den Umständen geschuldete Trockenheit ist dem ganzen deshalb nicht abzusprechen. Über die auf der Bühne eingehaltenen Abstände kann man dagegen locker hinwegsehen, sie tun dem Geschehen keinen Abbruch und werden zum Teil mit geschickten Kameraperspektiven kaschiert, zum Beispiel als der putzige Handpuppen-Dackel Piefke zuzubeißen versucht oder die rüstige Köchin, die „dicke Berta“ (Lotte Verstaen), den Einbrecher mit dem Nudelholz niederstreckt.

Eine Menge Spaß und Freude

Bis einschließlich 16. März ist der Stream von „Pünktchen und Anton“ der Oper Köln noch abrufbar. Die Bezahlung für ein Online-Ticket basiert auf Freiwilligkeit. Für Kinder – und das ist ja letztendlich worauf es ankommt – bietet die Inszenierung sicher eine Menge an Spaß und Freude und gibt ihnen weiterhin die löbliche Möglichkeit, mit der Gattung Oper trotz Lockdown in Berührung zu kommen. Und die Abzüge, die die Opernfassung gegenüber dem Originalroman von Erich Kästner einzubüßen hat, werden durch die wunderbare Musik von Eröd an vielen Stellen wettgemacht.

Oper Köln
Eröd: Pünktchen und Anton

Harutyun Muradyan (Leitung), Brigitta Gillessen (Regie), Jens Kilian (Bühne & Kostüme), Ana Fernández Guerra, Luzia Tietze, Stefan Hadžić, Claudia Rohrbach, Maike Raschke, Lotte Verstaen, Eva Budde, Dustin Drosdziok, Sung Jun Cho, Tom Wirtz, Robin Ebneth, Gürzenich-Orchester Köln

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