Seit Mirella Freni für die drei großen Frauenpartien in Giacomo Puccinis Drei-akter-Kombi „il Trittico“ vor 30 Jahren ins Studio ging, hat sich das Image des „Komponisten der kleinen Dinge“ kräftig verbessert. Heute zählt er mit Debussy und Berg eindeutig zum Olymp der großen Frühmodernen. Auch Salzburgs Festspielintendant Markus Hinterhäuser sieht das so. Bei den Sommerfestspielen singt jetzt Asmik Grigorian diese drei „Trittico“-Partien, welche als Ganzes für eine einzige Sängerin noch komplizierter sind als die vier Frauen in „Hoffmanns Erzählungen“. Bei der ersten Salzburger Produktion von „Il Trittico“ erhält sie dafür die optimale künstlerische Basisstation: Christof Loy inszenierte mit Freude an der in Salzburg möglichen Kompromisslosigkeit, Franz Welser-Möst dirigierte ohne Brutalo-Mätzchen und Cremebad-Eskapaden. Beide garantieren eine profunde Reflexion über die drei oft als plakativ, zukunftsweisend oder wirkungssüchtig apostrophierten 55-Minuten-Partituren nach den Libretti von Giovacchino Forzano und Giuseppe Adami.
Puccinis Image-Wandel
Natürlich gelten die tradierten Zuschreibungen „dramatisch“ für das Dreiecksdrama „Der Mantel“, „lyrisch“ für die Klostertragödie „Schwester Angelica“, „komödiantisch“ für „Gianni Schicchi“ auch im Großen Festspielhaus. Irgendwie. Aber faszinierender gerät dort die ungewöhnliche Reihung der 1918 an der New Yorker Met uraufgeführten und sonst fast immer in chronologischer Folge des Entstehens gespielten Stücke sofern diese nicht aus der von Puccini gewollten Dreifaltigkeit gerissen und mit anderen Einaktern kombiniert werden. In Salzburg begann man mit der Komödie, ließ das Drama folgen und schloss mit dem Klosterstück. Also fast in der Kategorie-Reihe, wie sich Puccini diese bei seiner Ursprungsidee von drei Episoden-Opern nach Dantes „Göttlicher Komödie“ gedacht hatte: „Gianni Schicchi“ für die Hölle, „Der Mantel“ für den Läuterungsberg, „Schwester Angelica“ für das Paradies. Loys alles andere als erlösungsgewisse Dante-Assoziation endete in lebensbejahender Begeisterung des Publikums.
Asmik Grigorian auf kriminologischer Wahrheitssuche
Im Vergleich mit Anna Netrebko erhält die am Schluss triumphal gefeierte Asmik Grigorian in Salzburg derzeit die weitaus spannenderen Partien: Salome, Chrysothemis und jetzt „Trittico“. Als Lauretta, die Tochter des „vero Toscano“ Gianni Schicchi, wirkt Grigorian schon recht erwachsen, auch neben Alexey Neklyudov als ihr jugendgeschwellter Liebhaber Rinuccio. Im „Mantel“ ist Grigorians Lavieren zwischen dem Ehemann Michele und dem strammen Lover Luigi wirklich „thrilling“. Das dritte Opernstück gerät sogar für Salzburg gewagt. Denn es wird der wahre Grund der weit verbreiteten Vorbehalte gegen „Schwester Angelica“ deutlich. Bei flüchtiger Betrachtung bietet der Giftselbstmord der adeligen Nonne Angelica, als sie vom Tod ihres aus einer illegitimen Beziehung stammenden Sohns erfährt, Kitschfallen. Bei packenden Aufführungen aber ist das Stück ein psychisches Martyrium. Und die Lesart in Salzburg war sehr gut – von den dreizehn exzellenten Chorschwestern aus der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor über ein Ensemble mit Giulia Semenzato als Naiver aus seelischer Notwehr, der persönlichkeitsstarken Hanna Schwarz als Äbtissin und Karita Mattila als dynamische wie eisgepanzerte Zia Principessa. Mattila und Grigorian liefern ein alle Eingeweide aufwühlendes Konversationsduell mit aus kalter Strategie glühenden Nerven. Angelica gerät schon bei Grigorians Partiendebüt zur epochalen Leistung, weil sie kein auf Schönheit fokussierter Puccini-Sopran ist, ihre Bayreuther Senta-Erfahrung mitdenkt und eine kriminologisch stichhaltige Wahrheitssuche betreibt. Damit ist Grigorian ganz auf der Linie von Loy, Welser-Möst und den Wiener Philharmonikern.
Puccini-Klassizismus mit aufwühlenden Schärfen
Diese modellieren über weite Strecken einen fast klassizistischen Puccini, was an signifikanten Stellen zu desto deutlicheren Schärfen, Dissonanzen, Hypertrophien führt. In „Gianni Schicchi“ klopfen zur Eröffnung des Erbschaftsbetrugs die Bögen fast Orffisch auf die Kontrabässe, Franz Welser-Möst nimmt in „Angelica“ das erste MarienIob voll präzise und deshalb fast leiernd, aber ohne Inbrunst. Aus dem Melos des entfremdeten Paars Michele und Giorgetta karfunkeln Abgründe. Etienne Pluss‘ sich verschiebender ockergelber Innenraum birgt Wandlungsmöglichkeiten, selbst wenn Loy keine Genrebrüche will und die Kontraste der Partituren durch präzises Spiel auf die Bühne bringt. Auf dem Sterbebett des Buoso Donato schlüpfen Lauretta und Rinuccio in eindeutiger Absicht unter die Decke, nachdem die schrecklich nette Familie endlich aus dem Haus ist. Nur in der Himmelsbräute-Strafanstalt gibt es mehr dumpfe als schwebende Momente. Der Schleppkahn im „Mantel“ und die Straßenlaternen befinden sich im gleichen Raum. Nach den Sachzwängen wie für eine französische Bourgeoisie-Schmonzette in „Gianni Schicchi“ und vor den schlichten Nonnen hat Barbara Drosihn nur im „Mantel“ Gelegenheit für etwas textile Kreativität und etwas Rosa an den Frauen. Erotik und Entfremdung bleiben da im Wortsinn auf dem Teppich, dem starken Bild für Giorget-tas große Sehnsucht nach dem kleinen Glück in einem besseren Viertel. Das feine Tanzensemble wird poetische Staffage, fast wie vom Zirkus.
Studien über poetische Ungerechtigkeit
Für die ersten zwei Teilstücke gibt es typgerechte und dabei sensible Bariton-Männer: Mit Misha Kiria als Gianni Schicchi hat Lauretta einen sehr jungen Vater, der gespielte Altersunterschied ist kaum größer als der Giorgettas zu dem um seine Liebe kämpfenden Michele von Roman Burdenko im „Mantel“. Beide Männer haben keine exaltierten Stimmen, was Michele etwas von der gern dargestellten Dauerdüsternis nimmt, Schicchi vom Grobianismus freispricht. Spätestens wenn sich Giorgetta von Michele lieber Prügel als Gelassenheit wünscht, gerät Loys „Trittico“ zur herzerbarmenden Studie über poetische Ungerechtigkeit: Alle wahrhaft die Liebe und das Leben Suchenden werden im „Trittico“ gestraft durch Desaster, gegen die sie sich nicht wehren können – nicht einmal der grundsympathische und glanzvoll singende Problem- Gelegenheitsjobber Luigi von Joshua Guerrero. Im Theater gewinnt kaum eine gerauchte Zigarette der letzten Jahre so viel dramatische Relevanz wie die Angelicas beim Entschluss zur Selbstauslöschung. Das Delirium führt in die Hölle des schlechten Gewissens und nicht ins Paradies.
Die dunkle Schönheit des Abends
Eine zweite wichtige Frauenposition gibt es in allen drei Stücken. Als Zita, Frugola und Suora Zalatrice lieferte Enkelejda Shkosa schwingungsreiche und sensible Porträts. Sie steht exemplarisch für die dunkle Schönheit des Abends. Dieser macht Puccinis Dilemma aus seiner Angst vor Misserfolgen mit gleichzeitiger Lust auf Experimente packend hörbar. Schmerzende Fortissimo-Drücker sind unnötig. Welser-Möst ermöglicht in „Gianni Schicchi“ eine brillante Ensembleleistung. Die „Angelica“-Nonnen haben den bitteren Biss einer isolierten Gemeinschaft mit eigenen Gesetzen. Und im „Mantel“ zeigt das orchestral-vokale Zusammenspiel, dass Puccini auch nach nach seinem Frühwerk „Edgar“ den späten Verdi nie vergessen hat.
Salzburger Festspiele
Puccini: Il Trittico
Franz Welser-Möst (Leitung), Christof Loy (Regie), Etienne Pluss (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme), Fabrice Kebour (Licht), Yvonne Gebauer (Dramaturgie), Jörn Hinnerk Andresen & Wolfgang Götz (Chor), Asmik Grigorian, Enkelejda Shkosa, Misha Kiria, Alexey Neklyudov, Roman Burdenko, Joshua Guerrero, Andrea Giovannini, Scott Wilde, Karita Mattila, Hanna Schwarz, Giulia Semenzato, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker