Es sind die Worte der Arie „Gelido in ogni vena“, mit welchen Perserkönig Cosroe sein Leid im dritten Akt besingt. Denn er möchte sich mit seinem verstoßenen Sohn Siroe versöhnen, bekommt allerdings Nachricht, dass dieser bereits hingerichtet wurde. Eine Welt stürzt in sich ein; „in allen Adern gefriert er“. Zu diesen wirkmächtigen Worten, eingebettet in eine der schönsten Lamento-Arien von Georg Friedrich Händel, rieselt es Theaterschnee von der Decke des modernistischen Nachkriegstheaters – der Winter kommt. Dass das badische und damit süddeutsche Karlsruhe wie auch das gesamte Land mit einer Tageshöchsttemperatur von 17 Grad Celsius unter dem Eindruck einer ausgesprochen frühlingshaften Witterung steht, konnte Intendant Ulrich Peters wirklich nicht ahnen.
Zwischen Mesopotamien und Mittelerde, dazu ein eiserner Thron
Generalintendant Peters ist zu erfahren, um sich mit der komplexen Frage einer authentischen Inszenierung dieses spätantiken/frühmittelalterlichen Orientstoffes zu bemühen. Mit Kreativität, souveräner Pinselführung und etwas Ironie verlagert der Karlsruher Impresario das Geschehen in eine vorurteilfreie Fantasie-Welt anarchisch-mittelalterlicher Prägung. Kern des Bühnenbilds ist eine überlebensgroße Bronzeskulptur, die ikonografisch zwischen ägyptischem Pharao-Torso und Bremer Roland angesiedelt ist. Daneben liegt der abgebrochene Kopf der Skulptur: eine mesopotamische Herrscherplastik nach Vorbild der Abbildungen des babylonischen Ishtar-Tores – eine klare Brücke zu dem im Libretto intendierten Kulturraum und ein Verweis darauf, dass hier zwei Kulturen Krieg geführt haben. Davor steht der Thron des siegreichen Cosroe, sonnenstrahlenförmig mit Schwertern ausgeziert.
Game of Thrones
In die Welt welches Fantasyromans die ganzen Anspielungen führen, ist doch recht deutlich; der Bezug zur Handlung klar herstellbar: es wird auf mehreren Ebenen um Herrschaft und Dominanz gekämpft – Sinnbild ist der Eiserne Thron. Auf der einen Seite konspiriert Medarse (Filippo Mineccia) gegen seinen älteren Bruder Siroe (Rafał Tomkiewicz), auf der anderen Seite trachtet die von Rachegelüsten getriebene Prinzessin und einzige Überlebende des Cambaja-Reiches Emira (Sophie Junker) nach dem Leben des greisen, aber charakterstarken Baratheon- beziehungsweise Perserkönigs Cosroe (Armin Kolarczyk). Darüber erstreckt sich (natürlich) ein barockes Geflecht aus Liebesintrigen, Heuchelei und Verrat, aber auch Versöhnung und ein gutes Ende.
Solistische Bewährungsprobe
Die Essenz von Seria-Opern nach italienischem Vorbild sind natürlich die Reihungen unzähliger Arien und Duette, bei Händel mit konkurrenzlos theatralischen Effekten ausgestattet. Umso mehr müssen Solisten eine kontinuierlich hohe Leistung liefern. Das Wunderbare in Karlsruhe: mit gegenseitiger Rücksicht und mit Erfolg. Am deutlichsten im Gedächtnis bleibt die Farbpalette von Shira Patchornik in der Rolle der Mätresse von Siroe. Ihre Stimme changiert zwischen der betörenden Schönheit einer um die Gunst der Liebe buhlenden Sirene und der zynisch-intriganten Missgunst einer Schlange. Die gut geölten Figurationen in ihren Koloraturarien suchten am Premierenabend ihresgleichen. Nicht minder interessant war Junker, die verkleidet als Krieger Idaspe auch mit einer gehörigen Portion klanglicher Präsenz aufwarten konnte. Unter den Herren strahlte Armin Kolarczyk mit seinem warmen Baritonklang die Gutmütigkeit Cosroes aus und erfüllte das Badische Staatstheater mit den wohlwollenden Worten des Herrschers. Schließlich besaß auch Countertenor Filippo Mineccia dank seiner durchsetzungsfähigen Stimme und der skurrilen „Vikings“-Frisur die angemessene Ausstrahlung eines Verräters.
Starke Kontraste
Nur Rafał Tomkiewicz in der Titelrolle des Siroe schwächelte. Zwar konnte man die karamellsüße Stimme des Countertenors anerkennen, doch für die wichtigste Figur der Oper war da zu wenig Kraft dahinter. Das Große Haus des Theaters ist in Fragen der Akustik und Größe gewiss kein in Beton gemeißelter Barocktraum, doch hier ist mehr Volumen gefragt. Im Vergleich zum Orchesterapparat erblassen diese gesangstechnischen Überlegungen. Der wahre Maestro des Abends war zweifelsfrei Attilio Cremonesi. Der entlockte seinen Händel-Solisten, auf den Taktstock verzichtend und nur mit ausdifferenzierten Gesten deutend, alle Duftnoten, zu denen ein Barock-Ensemble imstande ist. Seinem Namen alle Ehre machend kreiert der Italiener aus kremigen Streicherklängen und markanten Sprenkeln der Basslauten und des Continuos eine durch den Abend führende und wachhaltende Melange barocker Klänge. Ihm gebührte auch der größte Applaus des hoch zufriedenen Premierenpublikums – ein erfolgreicher Auftakt, der auf ebenso erfolgreiche weitere Veranstaltungen der Internationalen Händel-Festspiele hoffen lässt.
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Händel: Siroe, re di Persia
Attilio Cremonesi (Leitung), Ulrich Peters (Regie), Matthias Heilmann (Dramaturgie), Christian Floeren (Bühne & Kostüm), Christoph Pöschko (Licht), Annette Bauer (Kampfchoreografie), Rafał Tomkiewicz, Sophie Junker, Shira Patchornik, Filippo Mineccia, Armin Kolarczyk, Konstantin Ingenpass, Deutsche Händel-Solisten, Statisterie des Badischen Staatstheaters