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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper München – La Fille du régiment

Ein köstliches „Mia san mia“

(München, 22.12.2024) Sopranistin Pretty Yende und Tenor Xabier Anduaga entdecken in ihrem Donizetti das authentische Gefühl jenseits der Vokalakrobatik, Regisseur Damiano Michieletto dessen gesellschaftliche Sprengkraft im Vorgriff auf Jacques Offenbach.

vonPeter Krause,

Breitbeinig sitzt Pretty Yende als Regimentstochter auf einem Baumstumpf. In der feschen weißen, scheinbar frisch gebügelten Uniform des „régiment par excellence“ – jener legendären französischen Einheit, die einst zur Garde des Kaisers gehörte – macht sie die bella figura eines echten Kerls. Als Findelkind haben die Soldaten sie großgezogen: Der Trommelwirbel war ihr Wiegenlied, das Exerzieren im grotesken choreographischen Gleichschritt wurde ihr kindliches Spiel – das Regiment ihre Familie.

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An der Bayerischen Staatsoper herrscht zur Premiere der weihnachtlichen Neuinszenierung von Damiano Michieletto offenbar weit mehr Harmonie als unter ganz normalen Verwandten: Die Grande Armée scheint als lustiges Biotop weit weg vom Blut des echten Schlachtens der Napoleonischen Kriege oder des grausigen Sterbens in den Schützengräben der Gegenwart.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Eine Opéra comique bleibt eine Komödie

Damiano Michieletto, einer der wenigen ernstzunehmenden Vertreter des Regietheaters aus dem Stiefelstaat, bringt in Gaetano Donizettis „La Fille du régiment“ mit seinem Team aus Paolo Fantin (Bühne) und Agostino Cavalca (Kostüm) freilich weit mehr als eine schöne heile Welt auf die Bühne, die es in der Kunst, aber mitnichten im wahren Leben gibt. Er weiß sehr wohl: Eine Opéra comique bleibt eine Komödie, ein Märchen bleibt ein Märchen. Und beide Formen des Theaters brauchen für ihre vollendete Wirkung vor allem eines: das unbestechlich präzise Handwerk des Erzählens, das der Italiener in der Tat im hoch erfreulichen Übermaß besitzt.

Und doch hat er sehr wohl auch die Methode und den Intellekt, dieses lange vernachlässigte und verniedlichte (im besten Falle auf seinen tenoralen Arienhit der Wunschkonzerte „Ah! Mes amis“ reduzierte) Opus auf seine gesellschaftliche Sprengkraft hin zu untersuchen. So rückt er seinem Donizetti in dessen 1840 an der Pariser Opéra-Comique uraufgeführter „La Fille du régiment“ mit den Mitteln der Offenbachiade zu Leibe, mit der Donizettis deutsch-jüdischer Komponistenkollege die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts kurz darauf in ein Delirium des klugen, politisch ambitionierten musikalischen Humors versetzte.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

„Man ist halt, was man ist“

So eröffnet nun im Nationaltheater nicht der erste Ton der Ouvertüre den Abend, sondern der Auftritt von Sunnyi Melles als üppig perrückter La Duchesse de Crakentorp. Die beliebte Schauspielerin darf die einzige Sprechrolle des Stücks mächtig aufwerten und die eingebildete Adlige zur exaltierten Conférencieuse transformieren, die in deutscher Sprache durch die Handlung führt. Getreu der Sentenz des „Rosenkavalier“, die da lautet: „Man ist halt, was man ist“, sinniert sie zu Beginn über das Sein des Menschen, das doch angeblich aus seiner Abstammung herrührt: Wer aus aristokratisch Hohem Hause stammt, der bleibt das auch, wer aus der Gosse des gemeinen Volks kommt, dem haftet seine Herkunft ebenso bleibend an. Die Schönen und Reichen des Premierenpublikums wissen darüber kennerisch zu lachen und bestätigen im nachgerade inszenierten Schaulaufen der Opernpause in den Foyers die Selbstbespiegelung des „Wer man ist“ als bayrisches „Mia san mia“. Köstlich.

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Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Zwischen den Fronten der allfälligen Zuschreibungen von Nation, Geschlecht und Stand

Der Regisseur muss nun gar nicht einseitig Stellung beziehen, schließlich bekommen in der Offenbachiade alle ihr Fett weg – und alle lachen übereinander und über sich selbst. Die tumben Tiroler aus dem Wald sind also fast so lächerlich wie die tölpelhaften „barbarischen“ französischen Soldaten, die das simple Landvolk doch eigentlich bekriegen sollen. Und das prägnante Portrait des präpotenten Adels der Marquise de Berkenfield (Dorothea Röschmann zeichnet sie in ihrer liebevollen Karikatur sehr wohl auch ernstzunehmend und mit dramatischen Soprantönen) und der Duchesse de Crakentorp lässt uns trefflich darüber sinnieren, wie das denn mit Schein und Sein nebst dem dazugehörigen gesellschaftlichen Rollenspiel einst und heute zu verstehen ist.

Marie, die Regimentstochter, und ihr angebeteter tenoraler Tiroler Tonio, der für seine Liebe gar die Seiten wechselt und freiwillig ins feindliche Regiment eintritt, stehen als einzige wahre Menschen zwischen den Fronten der allfälligen Zuschreibungen von Nation, Geschlecht und Stand. Da läuft der sich in Sprachspielchen ideologisch verengende Gender-Diskurs der Gegenwart also mit ganz leichter Hand zwischen den Zeilen mit: Wird eine Frau wie Marie zum Mann, wenn sie von Kindesbeinen an in einem rein männlichen Umfeld soldatisch erzogen wird? Ist „nurture“, mithin Erziehung, nicht viel stärker als „nature“, also die Genetik von Abstammung und Herkunft? Oder sind solch strikten Grenzziehungen nicht ohnehin gestrig? Und das lustvoll Genderfluide die Zukunft?

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Genderfluide Durchlässigkeit

Damiano Michieletto beweist: Dieser Donizetti kehrt zur rechten Zeit auf die Bühne zurück. Denn er verflüssigt als Vorläufer eines Offenbach mit Lust, Laune und Liebe die Grenzen von einst, er macht Getrenntes durchlässig, er führt zusammen, was zusammengehört: nicht zuletzt die entzückende Marie, die trotz spät entdeckter adliger Herkunft das Herz auf dem rechten Fleck trägt, und ihr grundsympathischer Naturbursche Tonio, der singt wie ein junger Gott und in München die ganz große Stimmentdeckung ist: Xabier Anduaga stellt die neun hohen Cs in „Ah! Mes amis“ nicht aus, er bindet sie stupend in sein schmelzendes Legato ein, er berückt uns mit der Schönheit seines Timbres, mit der technisch perfekt unterfütterten Leichtigkeit seines Singens.

Szenenbild aus „La Fille du régiment“
Szenenbild aus „La Fille du régiment“

Der minutenlange Applaus nach der Arie geht da mehr als in Ordnung. Und er stellt das agile Sopranfunkeln von Pretty Yende in der Titelpartie auch nicht in Frage. Der leuchtend lustvolle Gesang der Südafrikanerin wirkt auch in der virtuosen Koloratur-Agilität nie gemacht, sondern stets gelebt, mit echtem Gefühl erfüllt. Stefano Montanari am Pult des schlank besetzten Bayerischen Staatsorchesters fächert Donizetti dazu seidig und samtig, ja lukullisch auf, entdeckt feine Pianissimi und delikate Holzbläser-Zwischentöne. Famos.

Bayerische Staatsoper München
Donizetti: La Fille du régiment

Stefano Montanari (Leitung), Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne), Agostino Cavalca (Kostüm), Alessandro Carletti (Licht), Thomas Wilhelm (Choreographie), Christoph Heil (Chor), Saskia Kruse & Mattia Palma (Dramaturgie), Pretty Yende, Dorothea Röschmann, Sunnyi Melles, Xabier Anduaga, Misha Kiria, Martin Snell, Christian Rieger, Dafydd Jones, Louis von Stebut, Bayerischer Staatsopernchor, Bayerisches Staatsorchester






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