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Opern-Kritik: Bayreuther Festspiele – Tristan und Isolde

Alte Liebe rostet nicht

(Bayreuth, 25.7.2022) Auf dem Grünen Hügel haben die Bayreuther Festspiele mit einer eindrucksvollen und vom Publikum einhellig bejubelten Neuinszenierung begonnen.

vonRoberto Becker,

Ein bisschen war es wie früher. Das Polizeiaufgebot, das sich eingebürgert hat und wohl nicht mehr wegzukriegen ist, auf dem Weg hinauf zum Hügel. Ein paar Demonstranten am Fuße im Kampf für die Bäume, einer anderer, der gegen alles krakelte. Die (Ex-)Kanzlerin (diesmal sozusagen privat) in der Loge. Einlass mit Eintrittskarte und Ausweis – Masken beim Publikum freiwillig. Bei ihren Mitarbeitern und den Künstlern ist die Festspielchefin da gnadenlos streng. Sie hat ihre Gründe.  Einmal hat das Virus nämlich schon einen Dringenden getroffen – ausgerechnet Pietari Inkinen, der die „Ring“-Partitur auf dem Pult hatte. Aber bei Festspielen ist die Expertendichte auf dem Hügel Weltspitze, und so wechselte Cornelius Meister vom „Tristan“ zum „Ring“ und Markus Poschner ans „Tristan“-Pult! Er ging zur Eröffnungspremiere als einer der Bejubelten durchs Ziel.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen

Eine gute Regie-Haltung: Die Erdenferne der legendären Inszenierung von Ruth Berghaus dient als Vorbild

Regisseur Roland Schwab liefert einen Gegenentwurf zu gängigen Aktualisierungsversuchen des Ausnahmewerkes. Er löst es gleichsam aus dem Zusammenhang der bzw. unserer Welt. Soviel Erdenferne und Universumsnähe gab es beim „Tristan“ seit Ruth Berghaus nicht. Diesmal wähnt man sich in einem Raumschiff, das in Sachen Erkundung unendlicher Weiten der Liebe unterwegs ist. Aber doch auch nicht. Denn der Blick in den Himmel (erst, gut bayerisch, weiß-blau), dann aber sternenklar, ist das eine. Es gibt auch den Blick nach unten, in den Abgrund der Leidenschaft. Als Gegenstück zum ovalen Himmelsblick findet sich auf der (post-neubayreuther?) Scheibe ein Ausschnitt. Mit Meereswellen. Vielleicht ein Pool. Die Liegestühle ringsherum deuten das an. Aber wir sind an keinem konkreten Ort und schon gar nicht auf einem Luxusliner mit Braut-Fracht an Bord. Wir sehen Isolde am Rande eines Abgrunds, in dem die Leidenschaften Bild geworden sind. Blutrot. Dann aber als ein Strudel, der sich immer schneller dreht und zwei Liebende aufeinander zu und hinab zu ziehen scheint. Man sieht, was man hört, und umgekehrt. Alles übersetzt in eine eigene Welt, ist es doch klar und nachvollziehbar. Tristan und Isolde können über diesen Boden gehen. Kurwenal oder Brangäne kämen nicht mal auf die Idee, ihn zu berühren.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen

Wenn Tageslicht tötet

Im zweiten Akt kommen Tristan und Isolde durch eine gleißend taghelle Öffnung in das Dunkel ihrer Liebesnacht. In der dann sogar die Sterne tanzen. Wenn der hier ziemlich fiese Melot König Marke an den Ort des Geschehens führt, dann macht er daraus ein Tribunal. Tristan landet auf einem Stuhl in der Mitte, und Isolde wird mit einem der Suchscheinwerfer immer wieder geblendet. Grandios das Bild, wenn unzählige, gleißend weiße Neonröhren auf Tristan herniedersinken und er von dieser Überdosis Tageshelle tödlich verwundet wird. Im dritten Aufzug wuchern Trauerweiden von oben in die Szene. Tristan – ganz in weiß – liegt da schon zwischen Kerzen wie ein Toter. Auch Isolde kommt in Weiß. Wenn Sie zu ihrem Liebestod anhebt, taucht ein greises Paar (das uns davor schon in jüngeren Jahren begegnet war) auf und bleibt aufrecht an der Rampe stehen, während die anderen Liebenden hinter ihnen in ihrer Welt versinken.

Diese Liebe akzeptiert keine Grenzen

Schwab wirft die „Tristan“-Rezeption nicht um, er entfaltet auch keinen Ehrgeiz, etwas neu zu erfinden. Aber das Tröstliche einer grenzenlosen Liebe über den Tod hinaus einzufangen, das versucht er schon. Dank Bühnenbildner Piero Vinciguerra, Gabriele Rupprechts Kostümen und den Videos von Luis August Krawen alles sehr ästhetisch.

Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen
Szenenbild aus „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen

Ein phänomenales Sängerensemble und ein Einspringer als Dirigent

Und sehr sängerfreundlich. Dabei kann er sich auf eine Crew stützen, für die Bayreuth kein Neuland ist, sondern ihre Stärken blühen lässt. Catherine Foster ist eine phänomenale Isolde. Mit einem umwerfenden ersten Akt und einem krönenden Liebestod vom Feinsten. Dass man zwischendrin nicht jedes Wort versteht, was tut’s. Man fühlt schon, was sie singt. Auch Stephen Gould liefert einen Tristan ab, der die Erinnerung an seinen vorigen deutlich übertrifft. Bis zum Schluss. Ohne Gefährdungen. Exzellent Ekaterina Gubanova als Brangäne und ein wunderbar klarer Markus Eiche als Kurwenal. Dass Georg Zeppenfeld ein Referenz-Marke ist, musste er nicht beweisen. Hat er aber. Dass Markus Poschner nach umständehalber nur zwei Proben mit dem Orchester mit seinem zupackend diesseitigen Dirigat einen eigenen Akzent setzte, die Sänger auf Händen trug und doch den großen Bogen lieferte, qualifiziert ihn für mehr als eine Einspringer-Rückkehr in den verdeckten Graben. Der Jubel war einhellig.

Bayreuther Festspiele
Wagner: Tristan und Isolde

Markus Poschner (Leitung), Roland Schwab (Regie), Piero Vinciguerra (Bühne), Gabriele Rupprecht (Kostüme), Christian Schröder (Dramaturgie), Nicol Hungsberg (Licht), Luis August Krawen (Video), Stephen Gould, Georg Zeppenfeld, Catherine Foster, Markus Eiche, Olafur Sigurdarson, Ekaterina Gubanova, Jorge Rodríguez-Norton, Raimund Nolte, Siyabonga Maqungo, Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele

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