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Opern-Kritik: Bühnen Halle – Madama Butterfly

Nicht nur eine private Tragödie

(Halle, 21.9.2024) Das Puccini-Jahr nimmt Fahrt auf: Die Oper Halle eröffnet ihre neue Spielzeit mit Patric Seiberts Inszenierung von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“.

vonRoberto Becker,

Es gibt zwei japanische Städte, die zum Synonym für einen Blick der ganzen Menschheit in den Abgrund ihres möglichen Untergangs geworden sind. Eine davon ist Nagasaki. Am 9. August 1945, als in Europa schon die Waffen schwiegen und die Nazis besiegt waren, ließ Präsident Truman die zweite Atombombe zünden. Bis dahin und mit zeitlichem Abstand dazu immer mehr kommt vor allem den Fans von Giacomo Puccinis Opern wieder seine „Madama Butterfly“ in den Sinn, die dort spielt. Die Bezeichnung als „eine japanische Tragödie“ trifft in beiden Fällen den Kern der Sache. Einmal wegen des möglichen Untergangs der ganzen Welt. Und natürlich wegen des tragischen Selbstmordes einer um ihr Leben, ihre Liebe und ihr Kind betrogenen jungen Japanerin namens Cio-Cio San.

Eine „Madama Butterfly“-Inszenierung, die ernst genommen werden will, muss diese doppelte Bedeutung zwar nicht mitdenken. Sie wird aber allemal versuchen, den Zusammenprall der Kulturen, den Puccini hier mit einer vollen Ladung von emotionalem Pathos auf sein Publikum loslässt, um es mit Empathie für seine Titelfigur einzufangen oder wie einen Schmetterling aufzuspießen, irgendwie in die Gegenwart zu spiegeln. Wie jetzt an den Bühnen Halle.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle

Authentische Expertise fürs Japanische

Patric Seibert (Regie) und Kaspar Glarner (Ausstattung) sind jetzt an der Oper in Halle das Risiko eingegangen, das Individuelle und das ganz große Ganze zusammenzudenken. Zunächst ist aber der Ehrgeiz hervorzuheben, das Japanische an dem Stoff durch Solène Dulucq für japanische Bekleidung und Kimonos, Tadashi Endo für Choreographie und kulturelle Beratung und von Virtuosen der Shibari Technik (eine japanische Fesseltechnik mit erotischer Konnotation) mit separat hinzugezogener Expertise zu ersetzen, damit also die gängigen Klischees durch Authentizität.

Fesselrituale und vokale Durchschlagskraft

Mit solcherlei apartem Ehrgeiz entkommt man gleichwohl dem Genre nicht. Noch dazu, wenn die Regie dann auf die eher nüchterne, fast Brechtsche Geste der guten alten Bühne auf der Bühne vor den sichtbaren Brandmauern des Theaterbaus setzt. Dieses dominierende Spielpodest wird durch zwei verschiebbare transparente Wände zur Andeutung jenes Hauses, für das der US-Leutnant Pinkerton eine Langzeitpacht mit unanständig kurzer Kündigungsfrist abgeschlossen hat. An der farbenprächtigen Opulenz der Kimonos kann man sich immerhin mit dem beruhigenden Gefühl erfreuen, dass sie ihre Vorbilder genauer treffen, als wenn Kostümbildner auf eigene Phantasiekappe japanisieren.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle

Der optische Rahmen für die Auftritte beflügelt den von Frank Flade einstudierten Chor nicht nur beim Gesang, sondern auch beim Spiel. Man sieht, was die geladene Gesellschaft bei der nicht so ganz ernst gemeinten „Hochzeit“ der Geisha wider Willen mit dem US-Amerikaner davon hält. Seibert erzählt die Geschichte der ersten Begegnung von Pinkerton und Cio-Cio San im Grunde konventionell. Diese Bühne begünstigt nicht nur die ohnehin beeindruckende vokale Durchschlagskraft von Chulhyun Kim als Pinkerton und die als Cio-Cio San intensiv auftrumpfende Barbara Senator. Beide behaupten sich im großen Duett auch gegen die optische Ablenkung, mit der die Shibari Fesselrituale links und rechts neben der Spielfläche optisch dazwischenfunken.

Im emotionalen Strom der Musik

Da Fabrice Bollon mit der Staatskapelle die große melodische Geste vorgibt, folgen auch die übrigen Protagonisten dem emotionalen Strom der Musik. Dabei füllen Yulia Sokolik als treue Suzuki oder Gerd Vogel als mitfühlender Konsul Sharpless ihre Rollen als Sympathieträger genauso überzeugend aus, wie Robert Sellier den windigen Heiratsvermittler Goro, Sebastian Byzdra den martialischen Fürsten Yamadori oder Michael Zehe den fluchenden Onkel Bonze vokal überzeugend ins Personaltableau einfügen.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle

Tragik einer exemplarischen Geschichte der Selbsttäuschung

Es gehört zur Tragik einer exemplarischen Geschichte der Selbsttäuschung, dass Butterfly sich nach Pinkertons Abreise in ihrer Umgebung mit betont westlicher Kleidung als Amerikanerin behauptet, aber nicht erkennt, dass sie sich selbst immer weiter an den Abgrund völliger Isolation manövriert. Dass Pinkerton dafür letztlich mitverantwortlich ist, gerät durch seine nicht unsympathische Zeichnung zu Beginn fast in Vergessenheit. Seine Rückkehr nach drei Jahren mit seiner „richtigen“ amerikanischen Frau (Delurim Jo) bringt dann in dieser Inszenierung eine Fallhöhe, die weit über das Individuelle hinausgeht.

Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle
Szenenbild aus „Madama Butterfly“ an den Bühnen Halle

Erinnert schon das Spielzeugflugzeug des Knaben an das Fluggerät, mit dem die Atombombe nach Nagasaki geflogen wurde, so wird der Blütenregen und der Summ-Chor zu einer düsteren Vision. Hier regnet nichts vom Himmel, was an die berühmte Kirschblüte erinnert, hier ist alles schwarz und verbrannt, was von oben kommt. Auch die Farbenpracht der Kimonos ist dahin, so wie auch die Schirme nur noch Fetzen sind. Wenn sich dieser Chor an der Rampe formiert, wird er zu einer Mahnung, die unvermutet kommt, aber berührt. Der Selbstmord Cio-Cio Sans, den man als Schattenspiel hinter der transparenten Wand sieht, ist dann wieder Opernkonvention pur.

Bühnen Halle
Puccini: Madama Butterfly

Fabrice Bollon (Leitung), Patric Seibert (Regie), Kaspar Glarner (Bühne & Kostüme), Tadashi Endo (Choreografie), Frank Flade (Chor), Barbara Senator, Yulia Sokolik, Chulhyun Kim, Gerd Vogel, Robert Sellier, Sebastian Byzdra, Michael Zehe, Deulrim Jo, Hwa Young Chun, Florian Marignol, Matthias Schulze, Christina Mattaj, Susan Krecik, Geonhee Kim, Staatskapelle Halle, Chor und Extrachor der Oper Halle




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