Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Alles hat seinen Preis

Opern-Kritik: Bastien und Bastienne/Eine florentinische Tragödie

Alles hat seinen Preis

(Halle, 24.12.2018) Bayreuths nächster „Tannhäuser“-Regisseur Tobias Kratzer vergegenwärtigt Kurzopern von Mozart und Zemlinsky.

vonRoberto Becker,

Bei der jüngsten Premiere an der Oper in Halle könnte man denken: mit (Regie-) Kanonen auf (Stück-) Spatzen geschossen. Immerhin kommen der bestens mit Lob und Preisen ausgestattete, sonst eher Wagner– oder Meyerbeer-Blockbuster stemmende Regisseur Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier an die Saale und bringen dort Mozarts (ganz) frühes Singspiel „Bastien und Bastienne“ und Alexander von Zemlinskys kurze, aber schwergewichtige „Florentinische Tragödie“ auf die Bühne. Aber der Regisseur, dem das experimentierfreudige Leitungsteam um Florian Lutz sicher auch ein Filetstück des Kanons anvertraut hätte, er hatte das selbst vorgeschlagen.

Empfohlen: „Besuch ab 16 Jahren“

Kratzer gelingt es tatsächlich, die beiden so unterschiedlichen Stücke nicht zwangsweise zu vereinigen, sondern auf eine produktive Weise mit ihrem Unterschied zu spielen. Ästhetisch sind beide in die Gegenwart übersetzt. Dass man auf der Homepage der Oper den Abend mit dem Zusatz versehen hat, dass „wegen der verhandelten Themen von Liebe, Partnerschaftlichkeit und Sexualität ein Besuch ab 16 Jahren empfohlen wird“, bezieht sich auf Mozart und kurze Momente von Nacktheit auf den Bildschirmen. Das Aubergine-Emoji auf dem (in Halle unausrottbaren) abendlichen Falt-Zettel zum Stück, kann man als entsprechende Warnung oder auch als Ersatz für die im Moment ziemlich darbende Werbung für die Oper im Stadtbild von Halle nehmen.

Chat-Dialoge mit den einschlägigen Emojis

Szenenbild aus "Bastien und Bastienne"
Bastien und Bastienne/Bühnen Halle: Vanessa Waldhart (Bastienne), Michael Zehe (Colas) und Robert Sellier (Bastien) © Falk Wenzel/Theater, Oper und Orchester GmbH Halle

Eigentlich müsste man Jugendliche aber eher vor dem zweiten Stück warnen. Spielt das erste eher mit dem, was so hinter verschlossenen Jugendzimmertüren gelegentlich vor sich geht, ist das zweite ein Einblick in das Schlafzimmer von Erwachsenen, bei dem einem angst und bange werden kann. Der erste Teil ist eine Episode aus der Zeit des Erwachsenwerdens. Bastienne ist unglücklich, weil Bastien nach anderen Ausschau hält. Der Rat, sich rar und den anderen eifersüchtig zu machen, funktioniert letzten Endes.

Was beim blutjungen Mozart nach der Parodie eines Stückes von Jean-Jacques Rousseau 1768 als Schäferspiel in der von heute aus gesehen putzig tändelnden Sprache der Zeit daherkam, das haben Kratzer und sein Team (Video: Manuel Braun) als Chat-Dialoge mit den einschlägigen Emojis versehen – und siehe da: Es funktioniert verblüffend gut. So wie der Dorfwahrsager, der hier anders als sein gestylter Internetauftritt heißt und bei Michael Zehe ein ziemlich heruntergekommener Nerd Dr. Colas ist. Die fabelhaft locker, jünger als sie sind spielenden Vanessa Waldhart als Bastienne und Robert Sellier als Bastien kommen sich nah, auch wenn sie sich nie real berühren. Hier hat jeder seine kleine Bühne mit Tisch, Laptop, Cam und (für uns Zuschauer) eine (Bildschirm-)wand oben drüber. Wenn es richtig nackerd wird, dann geht‘s auf der herunter gelassenen Leinwand weiter. Noch bleibt hier jeder für sich – aber sie haben (beliebter Elternspruch) noch viel Zeit für das reale erste Mal.

Szenenbild aus "Bastien und Bastienne"
Bastien und Bastienne/Bühnen Halle: Robert Sellier (Bastien) © Falk Wenzel/Theater, Oper und Orchester GmbH Halle

Wie sich ein subtiles Katz und Maus-Spiel zur Katastrophe entlädt

Das haben sie im zweiten Stück aus der spätromantischen Epoche auf dem Sprung in die Moderne längst hinter sich. Was Alexander von Zemlinsky 1917 nach einer Oscar Wilde-Vorlage als „Florentinische Tragödie“ auf die Bühne gebracht hat, ist der reinste Psychokrimi. Eine banale Inflagranti-Situation wird hier nicht sofort, sondern während eines subtilen Katz und Maus-Spiels zur Katastrophe, in der sich ein in Jahren angesammelter Beziehungsfrust entlädt.

Szenenbild aus "Eine florentinische Komödie"
Eine florentinische Komödie/Bühnen Halle: Anke Berndt (Bianca) und Gerd Vogel (Simone, ein Geschäftsmann) © Falk Wenzel/Theater, Oper und Orchester GmbH Halle

Auch dieses Spiel um den Tuchhändler Simone, seine Frau Bianca und den Prinzen Guido Bardi, mit dem sie ein Verhältnis hat, hat Kratzer in die Gegenwart übersetzt. Dass es ein Allerwelts-Schlafzimmer in einem Möbelhaus ist, sieht nur auf den ersten Blick nach einem besonders prickelnden amourösen Abenteuer aus. Entscheidend ist hier, dass an jedem Möbelstück ein Preisschild baumelt. Wie Markt- und Bewertungsmechanismen auf das Selbstbewusstsein in Beziehungen wirken und sie untergraben können, wird zu einer spielerisch ironischen Folie, auf der sich ein subtiler Machtkampf um die Oberhand in einer Beziehung entspinnt, die nur auf Augenhöhe funktionieren könnte.

Bei Gerd Vogel hat der gestresste Vertretertyp und Ehemann Simone schon dann etwas Diabolisches, wenn er noch so tut, als hielte er den Liebhaber seiner Frau für einen Verwandten. Dem verpasst der neu in Halle engagierte, junge Tenor Matthias Koziorowski spielerisch das Temperament des bedenkenlosen Liebhabers sowie Schmettertöne, die Lust auf mehr machen.

Die Nacht im Kaufhaus

Szenenbild aus "Eine florentinische Komödie"
Eine florentinische Komödie/Bühnen Halle: Gerd Vogel (Simone, ein Geschäftsmann) Anke Berndt (Bianca) und Matthias Koziorowski (Guido Bardi, Prinz von Florenz) © Falk Wenzel/Theater, Oper und Orchester GmbH Halle

Wenn dann der gerade nicht so erfolgreiche Simone sogar aus der Situation Kapital schlägt und dem ungebetenen Gast etliche seiner Waren verkauft, potenziert sich die Verachtung in den Augen seiner Frau Bianca, bei Anke Berndt geradezu körperlich spürbar. Als Guido für Bianca einen Preis bietet und die Situation eskaliert, steigert sich Bianca in Tötungsphantasien, während Simone es mit geradezu sadistischer Freude genießt, in diesem Kampf die Oberhand zu gewinnen. Wenn in dieser Nacht im Kaufhaus nicht gerade ein toter Prinz als Kollateralschaden auf der Strecke geblieben wäre, dann hätte er das Zeug zu einem reinigenden Gewitter gehabt. Er empfindet seine Frau plötzlich als „schön“ und sie ihn als „stark“. Dass beide genau das nicht mehr im Anderen gesehen haben, war wohl der Kern ihres Problems. Wenn sie jetzt ihrem Mann ein Preisschild antackert, kann das heißen, dass sie ihn wertschätzt. Doch es ist zu spät.

Erschütterte Gewissheiten

Der Abend schafft es, die Gewissheit zu erschüttern, dass der direkte physische Kontakt in Sachen Liebe und Begehren immer der beste Weg ist, eine Beziehung langfristig aufrecht zu erhalten. Die Staatskapelle Halle muss an diesem Abend einen abrupten Stilwechsel hinbekommen. Unter Leitung von Christopher Sprenger gelingt ihr das souverän. Sie lässt auf einen federnden Mozartklang die Opulenz folgen, mit der jede Ausgrabungsanstrengung in Sachen Zemlinsky gerechtfertigt ist.

Bühnen Halle
Mozart: Bastien und Bastienne / Zemlinsky: Eine florentinische Tragödie

Christopher Sprenger (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Ausstattung), Manuel Braun (Video), Robert Sellier (Bastien), Vanessa Waldhart (Bastienne), Michael Zehe (Colas), Gerd Vogel (Simone), Matthias Koziorowski (Guido Bardi), Anke Berndt (Bianca), Staatskapelle Halle

Weitere Termine: 2. & 29.12.2018, 1.2., 8.3., 7.4., 22.5.2019

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!