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Opern-Kritik: Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf) – Nabucco

Völker, hört die Signale!

(Düsseldorf, 15.9.2024) Regisseurin Ilaria Lanzino interessiert sich weniger für den Konflikt zwischen zwei Völkern als für die Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten. Das geht verblüffend gut auf. Vitali Alekseenok steht den Düsseldorfer Symphonikern zum ersten Mal in seiner neuen Position als Chefdirigent des Hauses vor und sorgt für aufregende Klangmomente jenseits triumphaler Gesten.

vonMichael Kaminski,

Final steht – Schandkronen auf dem Haupt, rote Pappnasen im Gesicht – die vereinte hebräische und babylonische Politikelite an den Pfahl gebunden auf dem Scheiterhaufen. Hingegen haben am Konferenztisch, an dem zuvor die Machthaber der Juden und Babylonier über die Köpfe der von ihnen Beherrschten hinweg ihre Herrschaftsinteressen miteinander abzukarten suchten, Volksvertreter Platz genommen. Fast möchte man an Rätedemokratie denken. Kein Zweifel, weitaus gewichtiger als den Konflikt zwischen zwei Völkern wertet Regisseurin Ilaria Lanzino am Opernhaus in Düsseldorf die Kluft zwischen Herrschenden und Beherrschten. Zumal gleichermaßen den babylonischen wie israelitischen Staatsspitzen das jeweilige Volk lediglich als bloße Verfügungsmasse taugt. Wie ein während der Ouvertüre eingespieltes Video bezeugt, geht das Einverständnis beider Politeliten bis hin zum unterschriftsreifen Friedensvertrag. Zwar funkt irgendetwas dazwischen, der Grund bleibt unerfindlich. Doch verbünden sich später Abigaille und ihre Partei mit Zaccaria und den Seinen zum Sturz Nabuccos. So heften denn israelitische und babylonische Schergen Dynamit unter die Lauffläche jener Brücke, von der herab der König dem Volk befiehlt. Völlig säkularisiert, mutiert Gottes Blitzschlag zur Sprengstoffdetonation.

Szenenbild zu „Nabucco“
Szenenbild aus „Nabucco“

Versöhnung im Zeichen der Revolution

Mag immer damit der babylonische Imperialismus ins Hintertreffen geraten, auf‘s Ganze gesehen funktioniert Lanzinos Umpolung des zentralen „Nabucco“-Konflikts von der Auseinandersetzung zwischen zwei Völkern zu soziopolitischen Verwerfungen zwischen Eliten und Untertanen. Die schlussendliche Solidarisierung und revolutionäre Empörung der Beherrschten beider Nationen bringt ein utopisches Moment ins Stück. Wenn freilich Hebräer und Babylonier im Gefangenenchor zueinander finden, stellt sich der leise Verdacht wohlfeiler Harmonisierung ein.

Szenenbild zu „Nabucco“
Szenenbild aus „Nabucco“

Kriegsverwüstungen

Zur Scheidung von gesellschaftlichem Oben und Unten trägt Bühnenbildnerin Dorota Caro Karolczak ganz wesentlich bei. Israeliten und Babylonier hausen in ruinierter Stadtlandschaft. Die Fassade eines mehrstöckigen Mietshauses liegt buchstäblich am Boden, sie fungiert als Spielfläche. In die Vertikale erhebt der Bau sich als Abbild in einem die Szene nach hinten begrenzenden Riesenspiegel. Der auch zeigt, wie sich das auf solche Weise zahlenmäßig verdoppelte Volk über Ruinen und Müllberge bewegt. Die Herrschenden befehlen den Untertanen vom stählernen Steg herab, wenn sie nicht in einem Luxusbunker tagen und Ränke schmieden, dessen vulgärklassizistisches Interieur – sonderlich der überlange Konferenztisch – geradewegs aus Putins Kreml stammen dürfte. Carola Volles steckt die farblose Masse der Israeliten und Babylonier der unterjochten Schichten in staubbedeckte und zerschlissene Alltags- und Arbeitsmontur. Zaccaria kleidet sich eher militärisch denn priesterlich. Nabucco kommt als in Rottönen schillernder Popanz daher. Abigaille agiert martialisch in güldener panzerähnlicher Corsage. Zur Herrscherin avanciert, wirft sie sich einen ebenso weiten wie überdesignten Tigerlilli-Mantel über.

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Szenenbild zu „Nabucco“
Szenenbild aus „Nabucco“

Debüt als Orchesterchef

Wie szenisch, so kann der Rheinopern-„Nabucco“ in vielem musikalisch überzeugen. Freilich cum grano salis. Chor und Extrachor lassen sich unter Patrick Francis Chestnut – wo immer möglich – zwar kraftvoll, doch eher verhalten denn monumental vernehmen. Der Verzicht auf Überwältigung durchs Kollektiv bekommt dem Werk. Kleine offenbar der Premiere geschuldete Unebenheiten in rhythmischer Genauigkeit und Intonation sind gewiss rasch auszubügeln. Vitali Alekseenok steht den Düsseldorfer Symphonikern zum ersten Mal in seiner neuen Position als Chefdirigent des Hauses vor. Vieles lässt aufmerken, allererst, wenn Kapellmeister und Klangkörper dort herunterdimmen, wo für gewöhnlich aufgetrumpft wird. Die Spannung steigt und das Ungewisse der jeweiligen Situation kitzelt die Nerven. Auf der Szene indes verdienen die Ensembles höhere vokale Transparenz. In Stimme und Spiel bietet Alexey Zelenkov für die Titelfigur gleichermaßen erzmilitaristisches Gehabe und luziden Wahnsinn auf. Zaccaria ist bei Liang Li der gänzlich säkularisierte und verrohte Machtmensch. Eduardo Aladrén verleiht Ismaele einiges an tenoraler Strahlkraft. In Abigailles furiosen Passagen schleudert Svetlana Kasyan Koloraturen wie Waffen wider ihre Feinde. Unbedingt aufhorchen lässt auch Kimberly Boettger-Sollers Fenena.        

Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf)
Verdi: Nabucco

Vitali Alekseenok (Leitung), Ilaria Lanzino (Regie), Dorota Caro Karolczak (Bühne), Carola Volles (Kostüme), Andreas Etter / Fabio Stoll (Video), Thomas Diek (Licht), Patrick Francis Chestnut (Chor), Alexey Zelenkov, Eduardo Aladrén, Svetlana Kasyan, Kimberley Boettger-Soller, Luke Stoker, Riccardo Romeo, Mara Guseynova, Anastasiia Buianevych, Clara Misini, Jonathan Matys, Chor und Extrachor der Deutschen Oper am Rhein, Düsseldorfer Symphoniker






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