Katerina Ismailowas Welt ist steril wie ein perfekt gereinigter Operationssaal. Keime haben keine Chance, doch ebenso wenig menschliche Nähe und Zuneigung, geschweige die Liebe. Bühnenbildnerin Annika Haller stellt an der Deutschen Oper am Rhein ein Großkaufmannshaus auf die Drehscheibe, in dessen Räumlichkeiten vom Schlafzimmer über die Küche bis hinein in den Wirtschaftstrakt glatte Flächen und klinisches Weiß jeder Spur von Individualität zu wehren suchen. Eine Wohnstatt, die Heim zu nennen, blanker Sarkasmus wäre.
Die Ismailowa sucht sich durch farbintensive Mode dagegen zu behaupten. Su Sigmunds Kostüme erlauben ihr, aus einer reichen Palette von Pink- und Rottönen zu wählen. Vergeblich. Das aseptische Weiß bevölkern schwarz gewandete Gestalten, durchweg Männer. Ob nun in großbürgerlichem Gehrock oder dem des Buchhalters, selbst der uniformen Montur der Werktätigen, sie alle kennen nur ein Grundgesetz, Gewalt. Der alte Ismailow beutet seine Arbeiter schlimmer als irgendein Provinzadliger die Leibeigenen aus. Beständig droht die Prügelstrafe. Doch wissen noch allerletzte Knechte die Frauen unter sich. An ihnen reagieren sie ihre Ohnmacht ab. Schläge und Vergewaltigung sind an der Tagesordnung.
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Außen- und Innenperspektive
Selbst das Los der Großkaumanns-Gattin Katerina unterscheidet sich davon lediglich graduell. Beständig muss sie die Knute von Gemahl und Schwiegervater fürchten. Elisabeth Stöppler lässt die Gürtel des großkaufmännischen Haustyrannen und seines Sohnes zum bedrohlichen Dingsymbol mutieren. Wie, um ein Vieh zu maßregeln, führen sie den Riemen in beständiger Bereitschaft zum Ausholen in der Hand, rücken Katerina damit auf den Leib und tragen keine Scheu, nach ihr zu schlagen. Sergej verfällt sie auch deshalb, weil der Herumtreiber das schweigende Erdulden von des alten Ismailows Peitschenhieben als Widerstandshaltung begreift, die ihn für die vielfach Gedemütigte unwiderstehlich macht.
Alles dies schildert Stöppler zuweilen leicht stilisiert, doch in den großen Zügen realistisch. Das Groteske der Partitur schlägt im Alltag der Figuren immer wieder durch, ohne sich zu verselbständigen. Hingegen erwächst aus den Hochzeitsvorbereitungen ein völliger Wechsel der Perspektive. Fortan gebietet Katerinas alptraumhaft-inneres Erleben über die Geschehnisse. Die Verehelichung gerät zum Horrorszenario. Grell geschminkt und nackt unter Brautschleier und Gehrock, stecken Braut und Bräutigam in hautfarbenen und die Muskeln betonenden Fatsuits, Gespenster ihrer selbst. Auch für das Gefangenenlager muss die Ismailowa die eigenen vier Wände nicht verlassen. Die Katastrophe trägt sich in ihrem Kopf zu. Spätestens hier opfert Stöppler ihre über weite Strecken präzise Sicht auf die von Brutalität beherrschte Gesellschaft dem bloßen Psychologisieren. Was Katerina im Gulag tatsächlich an letzter und unerträglicher Demütigung widerfährt, gibt die Spielleitung verharmlosend der lediglich inneren Imagination preis.
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Musikalisch bestechend
Das Werk gelangte im Haus 1959 zur deutschen Erstaufführung. Ein Erbe, dem die musikalische Seite der Premiere ganz unbedingt gerecht wird. Unter Gerhard Michalski vereinbart der Chor der Deutschen Oper am Rhein in einer Art Zauberkunststück vokal rohe Attitüde und enorme Klangpracht. Eine ganze Weile zügelt Vitali Alekseenok die Düsseldorfer Symphoniker. Die 112 Kopulationstakte waren schon heftiger zu vernehmen. Doch bricht bald danach ein rhythmisch messerscharfes und knüppelhartes Fanal aus.
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Immer wieder blitzt Schostakowitschs Faszination von Alban Berg „Wozzeck“ durch. Izabela Matula bietet für die Titelrolle satte Tiefe und leuchtende Höhe bei immer wundervoll runder Tongebung auf. Der tenorale Draufgänger, der Sergej sein soll, ist er bei Sergey Polyakov. Andreas Bauer Kanabas droht aus vokal schwärzesten Abgründen. Trefflich besetzt sind auch alle weiteren Partien.
Deutsche Oper am Rhein
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie), Annika Haller (Bühne), Su Sigmund (Kostüme), Volker Weinhart (Licht), Gerhard Michalski (Chor), Ándreas Bauer Kanabas, Jussi Myllys, Izabela Matula, Sergey Polyakov, Anke Krabbe, Sergej Khomov, Valentin Ruckebier, Torben Jürgens, Beniamin Pop, Thorsten Grümbel, Maria Polanska, Constantin Motei, Dae-Il Park, Mamuka Manjgaladze, Zhive Kremshovski, Düsseldorfer Symphoniker, Chor der Deutschen Oper am Rhein
Mi., 26. Februar 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie)
Sa., 08. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie)
Di., 18. März 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie)
So., 30. März 2025 15:00 Uhr
Musiktheater
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie)
Fr., 18. April 2025 18:30 Uhr
Musiktheater
Schostakowitsch: Lady Macbeth von Mzensk
Vitali Alekseenok (Leitung), Elisabeth Stöppler (Regie)