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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Der Schatzgräber

Musikdramatische Heißfront

(Berlin, 1.5.2022) Dieses akustische Kardiogramm muss man erleben: Die orgiastische Exaltiertheit zelebriert Marc Albrecht mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin vorbildlich. Christof Loy steigert die Wirkung der Musik in seiner Inszenierung mit sinnfälliger Noblesse.

vonRoland H. Dippel,

Er faszinierte und er war umstritten. Nach nur einem Jahrzehnt der Turboerfolge verschwanden seine Opern um 1925 schon aus dem Repertoire. Ein hypnotischer Geheimtipp bleibt Franz Schreker trotz seiner Ausradierung im „Dritten Reich“ für Theodor W. Adorno, Hans Neuenfels, Michael Gielen, Günter Krämer und damit gerade die Nachdenklichen des Musiktheaters. Seit 2000 erobern sich seine Harmoniefresken wie „Der ferne Klang“ und „Die Gezeichneten“ frühere Erfolge endlich auf breiterer Ebene zurück. Schrekers Opern auf eigene Texterfindungen sind bipolar schillernde Gebilde und gerade deshalb faszinierend. Um ihre kreative Keimzellen erfand er hitzige Handlungen mit erotischem (Über-)Reiz. Meistens gehen diese ganZ schlecht aus.„Das Verhältnis des Mannes zur Frau und alles, was damit zusammenhängt – eine Tragödie!“ schrieb Schreker 1918 an den ihn bewundernden Kritiker Paul Bekker. Das hat auch für den 1920 in Frankfurt am Main uraufgeführten und 1922 in Berlin erfolgreichen „Schatzgräber“ Gültigkeit.

Christof Loy: der Experte für bizarre Beziehungen zwischen den Geschlechtern

Die Premiere in der Deutschen Oper Berlin endete mit tosendem Applaus, dem die Buhrufe einer einzigen hohen Stimme nicht standhielten. Christof Loy widmete sich nach Korngolds „Das Wunder der Heliane“ und Zandonais „Francesca da Rimini“ zum dritten Mal einem Musikdrama des frühen 20. Jahrhunderts. Zum dritten Mal bebilderte er ein bereits zur Entstehungszeit krudes Frauenporträt und bizarre Beziehungen zwischen den Geschlechtern.

Szenenbild aus „Der Schatzgräber“
Szenenbild aus „Der Schatzgräber“

Ein Triumph mit Charisma und Fragezeichen: Schrekers Erzählungen

Die blutige Phantasie bewahrte sich Schreker von seinen als Knabe geschriebenen Dramen bis zu den Erfolgen seiner Meisterjahre: Els lässt zwei ihrer Bräutigame umbringen. So gerät nach und nach der Schmuck der Königin in ihren Besitz und Els deshalb unter Verdacht. Gerettet wird sie vom ebenfalls bedrohten Balladensänger und Hoffnungsträger Elis, dem sie sich im als „lyrische Sinfonie“ gestalteten dritten Akt ein einziges Mal hingibt. Der Schmuck geht zurück an die Königin. Els wird die Ehefrau des verbannten Hofnarren und stirbt dahin, woran nicht einmal Elis etwas zu ändern vermag. Bei Schreker redet der König im Alltagston wie in einem Stück von Gerhart Hauptmann. Danach beginnt der Dichterkomponist Schreker einen poetischen Schwall, der Wagner übertrifft. Schreker baute aus Märchenfantasien wie vom Sänger auf weißem Zelter den Tempel einer erotischen Magie im Schatten von Naturalismus und Expressionismus. Die „Schatzgräber“-Partitur geriet zum spätestromantischen Treibhaus und enthält bereits die drohenden Steinwürfe auf dieses. Die Exaltiertheit des orgiastischen und fast immer lauten Rauschens zelebrieren Marc Albrecht und das Orchester der Deutschen Oper Berlin in minimal angerauter Klangform, in der Laszivität und Gewalt, auch Verführung und Warnung ständig hörbar sind. Dieses akustische Kardiogramm muss man erlebt haben.

Szenenbild aus „Der Schatzgräber“
Szenenbild aus „Der Schatzgräber“

Märchen von der erotischen Entfesselung

Zum Glück liefert Christof Loy, was recht einfach gewesen wäre, keine kritische Dekonstruktion des Schrekerschen Musikfilets. Vegane Surrogate und moralische Invektiven auf die vormoderne Welt von gestern sind ihm fremd. Aber er hilft dem Publikum mit erlesenen Mitteln durch den Symboldschungel. Loy wertet die stumme Königin auf. Doke Pauwels im weißen Kleid mit Schärpe ähnelt der renitenten Kaiserin Elisabeth von Österreich. Loy poetisiert auch die dunkle Seite der symbolisch verbrämten Frauenhatz. Die als Konzertstücke einigermaßen bekannten Zwischenspiele zur Liebesnacht von Els und Elis steigert er mit dem Schauspielensemble zur erotischen Körperelegie in detailwütiger Zeitlupe. Wie in der Musik brechen an der langen Königstafel die Dämme zwischen Orientierungen, Phantasien und Hemmnissen. Mit nur wenigen Requisiten – die glitzernde Krone, die glutrote Narrenkappe, die kryptischen Geschmeide – verrücken die Gesellschaftsszenen mit den klassisch eleganten Kostümen Barbara Drosihns und Johannes Leiackers anthrazitener Salon aus dem frühen 20. Jahrhundert in Schrekers musikalische Anderswelt und zurück. Überdeutlich: In solchen Ambientes entstehen Phantasien von verbotener Sinnlichkeit und morbiden Ekstasen. Durch stetige Überdrehung beschleunigen sich repräsentative Disziplin und hysterischer Seelenhunger. Die Inszenierung setzt keine Bremsen gegen die Musik, steigert deren Wirkung mit sinnfälliger Noblesse.

Szenenbild aus „Der Schatzgräber“
Szenenbild aus „Der Schatzgräber“

Aufforderung zum Musikdrogen-Konsum

Der in seinen wenigen Szenen machtvolle Chor und erst recht das energetisch auftrumpfende Ensemble können sich bestens hörenlassen. Kleine Sterne im vokalen Schweif des Schreker-Kometen gibt es zuhauf – Seth Carico zum Beispiel als zu schnell gemeuchelter und im erotischen Pandämonium wiederkehrender Junker. Eine tolle Überraschung ist Michael Laurenz als Narr mit trockener Ausstrahlung und gerade deshalb intensiv artikulierter Leidenskraft. Tuomas Pursio gibt den attraktiv und handlungskorrekt die Fasson verlierenden, alsbald würdelosen König, Thomas Johannes Mayer verbrämt als Vogt die Lüsternheit des Intriganten mit baritonalem Wohllaut. Wie bei Schreker üblich, sind auch die Besetzungen der kleineren Partien kräftig gefordert. Nur Patrick Cook als der Els hörige Mörder Albi fällt heraus aus der Parade schöner Menschen und Figuren.

Die kühle und in ihren Männerphantasien wildheiße Els ist ein kaum darstellbares Fin-de-Siècle-Paradox aus psychischem Vampirismus, esoterischer Nymphomanie und emanzipierter Mordsucht. Elisabet Strid stellt sich dieser Zerreißprobe erst mit professioneller Psycho-Ökonomie, später voll sängerischer Inbrunst. Wahrscheinlich lässt sich diese Partie nur mit einem eisernen Wollen besiegen, bei der das Annehmen der Herausforderung schon Sieg bedeutet. Es liegt nur an Schrekers Orchesterheizkraftwerk, wenn sogar starke Strahletöne etwas weniger Glanz haben. Der sanfte Sanger-Hüne Elis aus dem Jugendstil-Bilderbuch ist Daniel Johansson – ein Clone aus Tannhäuser, Lohengrin und – unverkennbar —  Humperdincks Königssohn aus „Königskinder“, deren Hörnerjauchzen Schreker vernehmbar beeindruckten. Der Deutschen Oper Berlin gebührt eine Wahnsinnsachtung dafür, wie sie Schrekers ästhetisches Ungetüm zum pulsierenden Glühen bringt. „Der Schatzgräber“ bedeutete einen kühnen Griff ins Maßlose. Oper ist hier die antirationale Einladung zum Musikdrogen-Konsum.

Deutsche Oper Berlin
Schreker: Der Schatzgräber

Marc Albrecht (Leitung), Christof Loy (Regie), Johannes Leiacker (Bühne), Barbara Drosihn (Kostüme), Olaf Winter (Licht), Jeremy Bines (Chor), Dorothea Hartmann (Dramaturgie), Tuomas Pursio, Doke Pauwels, Clemens Bieber, Michael Adams, Joel Allison, Michael Laurenz, Thomas Johannes Mayer, Seth Carico, Daniel Johansson, Gideon Poppe, Stephen Bronk, Elisabet Strid,, Patrick Cook, Tyler Zimmermann, Chor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin

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