Für das Regieteam hagelte es nach der Premiere des letzten Teils der Richard-Strauss-Trilogie von Sir Donald Runnicles und Tobias Kratzer auch Buhs. Kein Wunder: Es gab in „Die Frau ohne Schatten“ keine Brücke zum Eheglück, damit also keinen Ehekitt für das Färberpaar und kein klares Happyend für Kaiserin und Kaiser. Runnicles bescherte mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin sowie einer prachtvollen Besetzung bis zum Kinderchor und den kleinsten Partien einen großen Abend für die schwierigste Strauss-Partitur. Bittere Wahrheit an der Bismarckstraße: Die heteronormative Ehe hat keine Zukunft, glücklichere Perspektiven sind fraglich.
Opulente Durchhalteparole
Wichtig ist dieser Abend aus mehreren Gründen. In keiner Stadt der Welt sonst stand die extrem anspruchsvolle „Frau ohne Schatten“ in 15 Monaten mit gleich drei Produktionen auf dem Spielplan. Nur in Berlin! An der Neuköllner Oper riskierten Ulrike Schwab und Tobias Schwencke 2023 diesen Prüfstein für ganz große Häuser in einer spannenden Pocketfassung. Wenige Wochen vor der Premiere der Deutschen Oper Berlin gab es an der Staatsoper unter den Linden die Wiederaufnahme der tiefenpsychologisch lotenden Inszenierung Claus Guths.
„Die Frau ohne Schatten“ ist auch eine monumentale Durchhalteparole: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs mit dessen riesigen Verlusten hielt die Wiener Oper an dem Monsterprojekt fest und brachte die gigantische Kinderwunsch-Apotheose mit Aufforderung zur Nachwuchsproduktion am 10. Oktober 1919 trotz wirtschaftlicher Schwäche zur Uraufführung. DOB-Intendant Dietmar Schwarz signalisierte in seiner Begrüßung zur Premierenfeier mit deutlichem Blick auf die Berliner Einsparungen, dass Kultur gerade in Mangelzeiten essenziell ist.
Ehefrust überall
Es gab weitaus teurere Bühnenbilder als Rainer Sellmaiers Podest mit der schicken Wohnung des Kaiserpaars und dem Waschsalon des Färberpaars. Eine beachtliche Statisteriegruppe organisierte die schnellen Verwandlungen bei offenem Vorhang. Dazu sorgte die Bläsergruppe in den oberen Proszeniumslogen für noch größeren Klangrausch. Der Gegenwartsbezug stimmte akkurat vom Seidenpyjama der Kaiserin bis zur Kittelschürze der Färberin. Das fragile Thema der Leihmutterschaft als Erwerbsquelle ist der zwar provokative, aber keineswegs zentrale Überbau im Konzept von Tobias Kratzer. Vor allem liegt es am bewegenden Porträt der komplexen wie anstrengenden Färberin-Figur durch die vor ihrer Gesangskarriere als Hebamme tätigen Catherine Foster, dass der Film mit der Implantation der Zellen und das Scheitern der Ehe ein hochemotionaler Bühnenakt wurden. Nur zum Schluss setzt Kratzer einen Hoffnungsfunken, wenn Barak doch noch Vaterfreuden erlebt und seine kleine Tochter aus der KiTa abholt. Davor zeigt der Sekundenauftritt eines Männerpaares in der Babystation, dass Kinderglück eher in Patchworkfamilien möglich ist.
Perfide Parallelkrisen
Tote Hose im Ehetrott ist keine Frage von Vermögen und Bildung. Clinchs zermürben den Ehealltag in der Komfortzone, wo die Kaiserin dem Kaiser schon beim Aufwachen die kalte Schulter zeigt, wie im einkommensschwachen Waschsalon, wo der versöhnungsbereite Färber den Weg zur sich hinter paradoxer Kommunikation verbarrikadierenden Frau längst verloren hat. Ein Bruch zu Hugo von Hofmannsthals poetisch-prägnanter Dichtung und dem Instrumentationswunder von Strauss gibt es nicht. Denn Kratzer kehrt in seiner faszinierenden Regie immer wieder emotionale Details der in ihren Streitmauern befangenen Figuren heraus. Die Färberin zeigt über die ihr bislang nicht zugänglichen Luxusgüter weniger Konsumrausch als kindliches Staunen. Wenn Barak nach einer würgenden Streitspirale heulend kollabiert, dämmert der Kaiserin endlich, dass Männer mehr sind als Körper und Sex. Sogar die souveräne Amme erfährt subtilen Zugang in eigene befangene Seelenschichten. Geisterfürst Keikobad tritt am Ende auf als wohlmeinender Patriarch, der von der Kaiserin Mutterschaft mit Druck erzwingt. Wenn diese „Nein“ sagt, bringt das nach sexueller Entkrampfung einen sehr nüchternen Beziehungsrelaunch.
Konträr zu Strauss‘ und Hofmannsthals euphorischer Apotheose über erkämpftes Glück stehen hier die harmonische Scheidung des Färberpaars und der funktionale Partnertrip des Kaiserpaars in einer Gesellschaft, für die dralle Schwangerschaftsbäuche und bunte Babybäckchen zum guten Lifestyle-Ton gehören. Kratzer ergänzt diese Topographie mit der Erscheinung des Jünglings als leckerem Gigolo (Chance Jonas-O‘Toole) und den Brüdern des Färbers als vitalen Abgehängten (Philipp Jekal, Padraic Rowan, Thomas Cilluffo). Der Geisterbote (Patrick Guetti) wird zum steilen Lieferdienst und Geburtshelfer. Erbosung und Verstörung über diese Lesart sind gut verständlich. Aber der musikalische Strauss-Segen hängt nicht schief, ganz im Gegenteil!
Goldmedaille für Catherine Foster und Marina Prudenskaya
Aber einen wesentlichen Einwand gibt es: Der große Strich nach dem Erwachen des Kaisers aus seiner „nur“ psychischen Versteinerung betrügt das Publikum um einen rauschhaften Höhepunkt, ist bei der hohen Qualität dieser Einstudierung erst recht nicht vertretbar. Runnicles wählt die genau richtigen Tempi. In den Szenen von Kaiserin, Färberin und Amme gelingt Außerordentliches an Textverständlichkeit. Das Frauentrio meistert alle heiklen Spitzentöne, Intervallsprünge und das hochsportive Strauss-Parlando überragend. Dabei legt Runnicles die Strukturen der Musik, deren Entwicklung und Dynamik zwischen den musikalischen Welten frei, ohne Komplexes kleinzuhacken. Eine packende Leistung. Sonor und souverän hat Jordan Shanahan für Barak, den Einzigen im Stück mit Empathie-Gen, die volle Sympathie des Publikums. Clay Hilley beginnt den Kaiser mit tenoraler Stoßkraft, wird später sensibler. Bei aller Sopran-Fülle und Höhenkompetenz dominiert Daniela Köhler hier nicht wie vergangene Spielzeit in Köln, was auch an Kratzers Vorbehalten gegen die Figur der Kaiserin liegt. Erwartungsgemäß triumphieren also die beiden Kraftpartien durch seltene Tugenden: Catherine Foster als Färberin sowieso, weil für sie nicht das furiose Ausfahren der Krallen, sondern die versehrte Seele, die psychische Instabilität der Färberin und deren Liebreiz hinter der rauen Schale wichtiger sind. Bewegend. Genauso Marina Prudenskaja, welche die Amme mit intelligenter Sanglichkeit gestaltet und jedes Bellen der als „Hündin“ titulierten Figur unterlässt, wie man das in dieser Partie seit Brigitte Fassbaender nicht mehr erlebt hat. Wow!
Postpatriarchale Ehedämmerung
Unterm Strich zeigt die Strauss-Trilogie der Deutschen Oper Berlin durch sachliche Schärfe, wie es in den Zivilnationen derzeit aussieht. Kurzes Fazit: Die Paargemeinschaft von „Arabella“ und Mandryka könnte vielleicht klappen, wenn sich beide von den Mann-Frau-Schablonen der letzten 150 Jahre verabschieden. Da hat das zweite Paar Zdenka und Matteo durch vorsätzliche Reifung zur Nonbinärität bessere Chancen. Ganz und gar unmöglich wird das bürgerliche Eheideal in „Intermezzo“, wenn Storch an Christine das Verzeihen als Unterwerfungsakt exerziert und die Individualität seiner Frau vernichtet. In „Die Frau ohne Schatten“ ist der Kinderwunsch letzter Rettungsanker, wenn Ehen aus eigener Kraft nicht die Kurve von der Anfangseuphorie in zukunftsfähige Harmonie kriegen. Hier wird Oper also vom Kraftwerk der Leidenschaft zum kritischen Panoptikum und bestätigt dadurch die Relevanz von Kultur.
Deutsche Oper Berlin
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Sir Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie), Rainer Sellmaier (Bühne & Kostüme), Jeroen Verbruggen (Choreografie), Stefan Woinke (Licht), Jonas Dahl & Manuel Braun (Video), Jeremy Bines (Chor), Christian Lindhorst (Kinderchor), Jörg Königsdorf (Dramaturgie), Olaf Winter (Licht), Janic Bebi, Manuel Braun & Jonas Dahl (Video), Clay Hilley, Daniela Köhler, Marina Prudenskaya, Jordan Shanahan, Catherine Foster, Philipp Jekal, Padraic Rowan, Thomas Cilluffo, Harald Heinz, Patrick Guetti, Hye-Young Moon, Chance Jonas-O’Toole, Nina Solodovnikova, Stephanie Wake-Edwards, Chor und Kinderchor und Junge Chor Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin
Termintipp
Do., 30. Januar 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Jane Archibald (Die Kaiserin), David Butt Philip (Der Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Barak), Catherine Foster (Die Färberin), Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
So., 02. Februar 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Jane Archibald (Die Kaiserin), David Butt Philip (Der Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Barak), Catherine Foster (Die Färberin), Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Mi., 05. Februar 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Jane Archibald (Die Kaiserin), David Butt Philip (Der Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Barak), Catherine Foster (Die Färberin), Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Sa., 08. Februar 2025 17:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Jane Archibald (Die Kaiserin), David Butt Philip (Der Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Barak), Catherine Foster (Die Färberin), Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)
Termintipp
Di., 11. Februar 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Die Frau ohne Schatten
Jane Archibald (Die Kaiserin), David Butt Philip (Der Kaiser), Marina Prudenskaya (Amme), Jordan Shanahan (Barak), Catherine Foster (Die Färberin), Donald Runnicles (Leitung), Tobias Kratzer (Regie)