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Opern-Kritik: Deutsche Oper Berlin – Macbeth

Reale und fiktive Zukunftsängste

(Berlin, 23.11.2024) Die musikalische Prachtleistung von Maestro Enrique Mazzola, Orchester und Chor sowie Roman Burdenko und Felicia Moore in den Hauptpartien bleibt in „Macbeth“ ohne szenisch ebenbürtiges Gegengewicht. Regisseurin Marie-Ève Signeyrole reißt zu viele Genres an, verdichtet jedoch keines bis zum Finale so richtig.

vonRoland H. Dippel,

Mit Giuseppe Verdis „Macbeth“ machte die Deutsche Oper Berlin unter Giuseppe Sinopoli vor vierzig Jahren Aufführungs- und Schallplattengeschichte. Jetzt knüpfte Enrique Mazzola, derzeit erster Gastdirigent der DOB, nach einer mäßigen „Anna Bolena“ durchaus ebenbürtig und dabei individuell an diese Sternstunde an. In der wirklich vollständigen Pariser Fassung 1865 von Verdis Musikdrama – ergänzt mit Macbeths Sterbemonolog aus der Florentiner Erstfassung 1847 – gab es von Seite der Sängerinnen und Sänger, des Chors und des Orchesters eine faszinierende Leistung. Eine solche Qualität ist jeden Cent ihrer öffentlichen Subvention wert. Das Publikum in der fast ausverkauften Deutschen Oper jubelte.

Aus dem von Mazzola zu schlanken Linien getriebenen Orchester sprang auch das fahle Grauen für Verdis geniale Nebel- und Horror-Vertonung von Shakespeares kürzester Tragödie. Die irren Finali und Ensembles brandeten energisch wie durchdacht auf. Alle auf der Bühne fühlten sich getragen und beflügelt. Die orchestralen Details und Szenenmusiken hatten bis zum Gassenhauer des ländlichen Marschs und Sylphidenchor Intensität, Kraft und Spannung.

Großartiger Cast

Eine Traumkombination gab es für die beiden Hauptpartien, die zwei exponierten Nebenpartien und zwei kleine Aufgaben, die viel wichtiger sind, als man gemeinhin hört. Roman Burdenko ist der im Krieg traumatisierte Haudrauf Macbeth, der passend große Diktator mit unpassenden Potenzstörungen und am Ende der mit Größe sterbende Verlierer. Aber er ist auch der baritonale Prachtkerl für das ganz große Verdi-Fach und denkt stimmlich mit, dass es hinter dem Hauen und Stechen eine bessere Welt geben könnte. Wun-der-bar! Diesmal kommt, was ganz selten stattfindet, der Titelmann in Führung nach brillantem Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Lady von Felicia Moore.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin

Sie hatte die Extrempartie von der mit Hochspannung erwarteten Anastasia Bartoli übernommen. Moore ist das volle Gegenteil zur vor 40 Jahren die Lady genial zerfurchenden Mara Zampieri. Denn Moore hat nach langer Parforce-Schlacht und Präzisionssucht in den fast weichen Koloraturen noch immer imponierenden Reserven. Das helle Timbre steht nicht in Widerspruch zu einem Vulkan mit Höchstbrennwerten und entwickelt mit jeder der hier gezeigten Fehlgeburten eine sensiblere Ausdrucksskala. Marko Mimica gibt äußerst plausibel eine auszuschaltende, weil auch sängerisch viel zu sympathische Opposition. Macbeths Militärkamerad Banco ereilt der gewaltsame Tod hier auf dem Kindergeburtstag für seinen Sohn Fleance.

Der hünenhafte Attilio Glaser nutzt nach seinem bravourösen Entsetzen über den ersten Mord die berühmte Macduff-Arie nicht zum Austeilen einer Glanztenor-Visitenkarte, sondern entsendet ein von der Regie tumb ausgestelltes Kindertotenlied. Nina Solodovnikova als spionierende, später belanglose „Kammerfrau“ und der vor allem in Videogroßaufnahme präsente Malcolm von Thomas Ciluffo machen vorbildlich gute Jobs in den Flankenpartien, was man dank Mazzolas Dirigat auch hört.

Vier halbgare Kulturgenres

Die musikalische Prachtleistung bleibt leider ohne szenisch ebenbürtiges Gegengewicht. Hier und nach der durchwachsenen Produktion von Gounods „Roméo et Juliette“ unter Mariame Clément an der Lindenoper stellt man mit Bedauern fest, dass die Gegenwartschecks französischer Autorinnen wie Virginie Despentes und Delphine de Vigan weitaus klüger sind als die kruden Inhaltsschlachten der französischen Regisseurinnen-Elite an den Opernhäusern: Marie-Ève Signeyrole nahm sich schlichtweg zu viel vor und überfrachtete Verdis erste Shakespeare-Vertonung deshalb gründlichst.

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Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin

Stark war ihre Regie in den von Fabien Teigné üppig bebilderten Büro-, Fest- und anonymen Schlafzimmern, wenn es um die Schwangerschaftskalamitäten des Ehepaars Macbeth und dessen Entfremdung im Sog der Verbrechen geht. Beim Festbankett zieht der Chor auf bestem Netflix-Niveau mit.

KI und Supercallgirl

Die Katastrophenszenen geraten dank Katrin Krottenthalers Live-Video mit einem gewissen Format. Spannend sind auch die sich abzeichnenden Körperreliefs auf weißen Membranwänden bei den Geistererscheinungen. Sonst wirkten Signeyroles Einfälle in Yashis mit viel Theaterblut applizierten, aber phantasielosen Gegenwartskostümen wie Angstakkumulationen nach zu langem Onlineflow. Machiavelli- und Tocqueville-Zitate sollten die Textprojektionen stützen, welche einen sonst nicht ausgestalteten Krieg Norwegens und Schottlands um die letzten Erdölreserven behaupten. Shakespeares und Verdis Hexen sind Programmierinnen in Office-Massenhaltung mit schwarzen, deutlich vom Musical „Wicked“ inspirierten Hüten.

Eine menschliche Dämonien hochtreibende Macht materialisiert sich als KI und Supercallgirl (Dana Marie Esch) und sendet destruktive Informationspixel in die physische Welt zurück. Zu Beginn und zur Ballettmusik gurrt dieses Kryptowesen ins Auditorium. Das evoziert zu Recht genervte Zwischenrufe.

Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin
Szenenbild aus Verdis „Macbeth“ an der Deutschen Oper Berlin

Legendenspiel und Subventionskürzungen

Aufgelockert wird das Geschehen durch poetische und trotzdem schreckliche Alpträume: Mehrwert entwickelt Signeyrole mit ihrem homophilen Hubertus-Legendenspiel, wenn Macbeth in grüner Galauniform auf einen nackten Mann mit Hirschkopf und Geweih (Performer Pierre Emö) schießt. Immer wieder – das wiederholt sich in der nächsten Generation unter neuen politischen Vorzeichen. Legende, KI-Thriller, ökologische Dystopie und Psychodrama sind gleich vier Genres, die Signeyrole anreißt und doch keines bis zum Finale so richtig verdichtet. Dabei gibt Verdis Partitur mit einer Fuge als Schlachtmusik, einer porösen Apotheose, revolutionären Klangfarben und vielschichtigen Figurenporträts wirklich großen Stoff, der hier mehr durch Masse statt echte Substanz glänzt. Applaus-Kaskaden für Ensemble, Orchester und den von Jeremy Bines auf einem Atem mit Mazzola geleiteten Chor.

Prima und vollgültig dagegen gelang der Auftritt von Chortenor Thaisen Rusch, der das Premierenpublikum passioniert wie eloquent auf die für das Berliner Kulturleben bedrohlichen Subventionskürzungen hinweist und das Publikum um Beteiligung an den Gegenpetitionen bittet. Dem lässt sich schwerlich etwas entgegensetzen.

Deutsche Oper Berlin
Verdi: Macbeth

Enrique Mazzola (Leitung), Marie-Ève Signeyrole (Regie), Fabien Teigné (Bühne), Yashi (Kostüme), Jeremy Bines (Chor), Artis Dzerve (Video), Sascha Zauner (Licht), Louis Geisler, Konstantin Parnian (Dramaturgie), Roman Burdenko,), Marko Mimica, Felicia Moore, Nina Solodovnikova, Attilio Glaser, Thomas Cilluffo, Dean Murphy, Gerard Farreras, Dana Marie Esch, Hagen Henning, Emil Pyhrr, Pierre Emö, Chor der Deutschen Oper Berlin, Orchester der Deutschen Oper Berlin






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