Giacomo Puccinis „Il Trittico“ ist schon deshalb ein Unikum, weil eine Formalie für den Titel sorgt und nicht der Inhalt. Weder im Ganzen, noch Gedrittelt. Drei Geschichten von zwei Librettisten. Giuseppe Adamilieferte die Vorlage für „Il tabarro“ (Der Mantel) und Giovacchino Forzano jene für „Suor Angelica“ (Schwester Angelica) und „Gianni Schicchi“. Etwas Handfestes, dann etwas lyrisch Tragisches und zum Abschluss etwas Heiteres. Letzteres dann obendrein mit dem popularitätsfördernden Wunschkonzerthit „O mio babbino caro“, mit dem eine Tochter ihren Papa einwickelt und das Puccinipublikum gleich mit.
Regisseur Dirk Schmeding hatte in Weimar 2022 mit der Inszenierung von Detlev Glanerts „Caligula“ für Furore gesorgt. Bei ihm und bei dem vor Ort so erfolgreichen wie beliebten Musikdirektor der Weimarer Staatskapelle Dominik Beykirch bleiben die Teile nicht nur beieinander, sondern werden auch in der Reihenfolge, wie sie 1918 an der New Yorker MET uraufgeführt wurden, präsentiert. Was heutzutage nicht immer so gehalten wird, aber nicht nur der Tradition wegen Sinn macht.
Historie als Paris-Postkarte und Zusammenhänge ohne dramaturgische Brechtstange
Schmeding, Ralf Käselau (Bühne) und Julia Rösler (Kostüme) finden eine Form, die deren Eigenständigkeit bewahrt. Sie finden einen ästhetischen Zusammenhang, der in den Konflikten und Konstellationen nach dem Exemplarischen sucht und zwar so, dass das in die Gegenwart geblendet wird und zugleich an die Historie erinnert. Beim „Mantel“ eher über die Kostüme und eine alte Paris-Postkarte als Hintergrund.
Bei „Schwester Angelika“ sind es die stilisierten Trachten der Nonnen und ihr opulent kreierter Kopfputz und eine Marienstatue. Bei „Gianni Schicchi“ schließlich sehen wir ein paar Büromöbel vor einer Stadtansicht von Florenz mit einem „Applaus“-Schild wie in einer Fernsehshow. Was schon auf den Theaterabgang des letzten Titelhelden verweist. Der tritt nämlich aus der Rolle und verschwindet in der Versenkung. War er doch nur aus Dantes Hölle beurlaubt? Das wirkt wie eine augenzwinkernde Referenz an Verdis „Tutto nel mondo è burla“, mit dem dessen letzte Oper „Falstaff“ endet.
Im ersten Teil spielt sich die tödlich endende Eifersuchtstragödie in und vor einem Container ab, der Richtung Publikum vollverglast ist. Das Verschieben von Kulissenteilen und das Weiterreichen von Paketen genügt, um das Milieu der Lastenschiffer zu imaginieren. Dieser Container rückt dann immer weiter nach hinten. Im letzten Teil ist er als Hintergrund noch genauso erkennbar wie die Marienstatue aus dem Mittelteil.
Vom Balanceakt untergründiger Bezüge
So wird nicht eine gemeinsame Geschichte daraus, aber erkennbar, dass Puccini sie als einen einzigen Opernabend gedacht hat. Es ist immer ein Balanceakt, untergründige Bezüge aufzudecken, ohne gleichzeitig mit der Dramaturgenbrechstange eine Geschichte daraus zu machen. Für den Zusammenhang des Unterschiedlichen, der durch den szenischen Rahmen für alle drei Stücke präsent bleibt, sorgt, wenn man so will, Puccini auf der Metaebene der Musik. Da ist er ganz und gar bei sich. Es gibt Arienfutter und Gefühlsausbrüche, dass es nur so wogt, schäumt und kracht. Hier wird selbst ein Lastkahn, von dem auf der Bühne nicht die Spur zu sehen ist, zu einer metaphorischen Titanic. Dominik Beykirch freilich verliert dabei nie die Kontrolle, hat immer das Zusammenspiel mit den Protagonisten auf der Bühne im Blick, spielt sie nie an Wand, sondern erlaubt ihnen den großen vokalen Auftritt.
Die klassische Eifersuchtsgeschichte
Im ersten Stück, „Il tabarro“, erleben wir das tödliche Ende einer geradezu klassischen Eifersuchtsgeschichte. Die einstige Liebe des Schiffer-Ehepaares Michele (wuchtig: Alik Abdukayumov) und Giorgetta (Camila Ribero-Souza) hat den Tod des gemeinsamen Kindes nicht überstanden. Sie flieht in eine Affäre mit dem smarten Angestellten Luigi (mit dosiertem tenoralen Draufgängerhabitus: Gabriele Mangione).
Michele leidet an ihrer Zurückweisung und steigert sich (nicht ohne Grund) in seine Eifersucht. Auf engem Raum und in prekärer Lage ist die Katastrophe unausweichlich – Michele ermordet seinen Rivalen. Der titelgebende Mantel, der einst Giorgetta gewärmt hat, bedeckt jetzt den Ermordeten.
Feine Ironie im Rührstück
Nach der ersten Pause wird die melodramatische Gangart der Musik durch stilisierte Ironie der Kostüme, vor allem aber durch die vorgeführten kleinen Verhaltensausbrüche der Nonnen aus dem Regiment des Klosters unterhaltsam gebrochen, um dann beim großen Auftritt der Principessa und der anschließenden Verzweiflung Angelicas in den szenischen Ernst zu wechseln. Sichtbar wird das, wenn lauter Kinderbetten, die an das verstorbene Kind Angelicas erinnern, einschweben, oder wenn die Schwestern als Angelica-Doubles zu Boden gehen. Im Kern geht es in diesem Teil um die Sehnsucht der von der Familie ins Kloster verbannten Angelica (eindrucksvoll: Heike Porstein) nach ihrem Kind.
Die Tragik ihres Schicksals wird offenbar, wenn sie den jahrelang ersehnten Besuch von der Familie tatsächlich bekommt. Es ist jedoch die kaltherzige Tante (fulminant in jeder Hinsicht: Anna-Maria Dur), die nur gekommen ist, um sich den Erbschaftsverzicht Angelicas abzuholen. Als sie ihr mitteilt, dass ihr Sohn vor zwei Jahren verstorben ist, ist das für Angelica der Todesstoß.
Umbesetzung der Titelpartie fast in letzter Minute
Zu Beginn des dritten Teils überrascht die Todesart des Erblassers. Buoso Donati hat sich erhängt und baumelt mitten im Zimmer. Wenn der abgehängt und wortwörtlich unterm Teppich verstaut ist, nimmt der Klassiker vom Streit der gierigen Verwandtschaft um das Erbe eines geizigen Onkels seinen Lauf. Wenn der Satz fällt, „wer hätte gedacht, dass wir echte Tränen bei dieser Beerdigung vergießen werden“, wissen sie alle längst, dass der Onkel die Filetstücke der üppigen Erbmasse einem Kloster zugedacht hat.
Um diese Katastrophe abzuwenden, gibt sich das stadtbekannte Schlitzohr Gianni Schicchi als der Tote aus und diktiert dem herbeigerufenen Notar ein Testament in die Feder, in dem der Onkel seinen „guten Freund Gianni Schicchi“ mit den besten Teilen aus der Erbmasse bedenkt. Am Ende sind sie alle (die wunderbar komödiantisch auftrumpfende Anna-Maria Dur führt als Zita die Verwandtschaft an) die betrogenen Betrüger. Nur Tochter Lauretta (Ylva Stenberg, die mit dem Hit der Oper ihren Vater beschwatzt) und ihr Rinuccio (mit wunderbarem jugendlichen Schmelz: Taejun Sun) werden wohl am Ende den Ausblick auf Florenz genießen dürfen, nachdem Gianni die anderen verjagt hat.
Diese Rolle hat Uwe Schenker-Primus mit gewohnter Souveränität bis einschließlich zur Generalprobe einstudiert und charismatisch verkörpert. Zur Premiere schlug dann das wahre Leben zu. Der kurzfristig Erkrankte wurde szenisch vom Regisseur vertreten, und Heiko Trinsinger lieh ihm (quasi aus dem Stand) von der Seite seine Stimme. Das Premierenpublikum feierte also nicht nur einen gelungenen Abend, sondern auch die Flexibilität eines gut funktionierenden Opernhauses und des flugs herbeigeeilten Einspringers.
Klar, dass sie alle im dritten Teil allesamt ihrem Komödiantenaffen Zucker geben und dafür sorgen, dass das Publikum durch Witz getröstet das Theater verlassen kann.
Deutsches Nationaltheater Weimar
Puccini: Il Trittico
Dominik Beykirch (Leitung), Dirk Schmeding (Regie), Ralf Käselau (Bühne), Julia Rösler (Kostüme),
IL TABARRO: Alik Abdukayumov, Gabriele Mangione, Jörn Eichler, Edgars Ošleja, Camila Ribero-Souza, Anna-Maria Dur, Taejun Sun, Pia Jauernig, Gabriel Pereira, Natalie Image, Taejun Sun,
SUOR ANGELICA: Heike Porstein, Anna-Maria Dur, Sayaka Shigeshima, Sarah Mehnert, Tatjana Winn, Ylva Stenberg, Silvia Schneider. Franziska Löber,
GIANNI SCHICCHI: Uwe Schenker-Primus & Heiko Trinsinger, Ylva Stenberg, Anna-Maria Dur, Taejun Sun, Opernchor des DNT Weimar, Staatskapelle Weimar
Fr, 29. November 2024 19:00 Uhr
Musiktheater
Puccini: Il trittico
Alik Abdukayumov (Michele), Anna-Maria Dur (La Frugola, La Zia Principessa & Zita), Jörn Eichler (Il Tinca & Gherardo), Natalie Image (Nella, Suor Genovieffa & Voce di Sopranino), Guido Jentjens (Il Talpa & Simone), Andreas Koch (Betto di Signa), Gabriele Mangione (Luigi), Sarah Mehnert (La Suora Zelatrice & La Ciesca), Uwe Schenker-Primus (Gianni Schicchi), Sayaka Shigeshima (La Badessa), Ilya Silchuk (Marco), Ylva Sofia Stenberg (Suor Genovieffa & Lauretta), Dominik Beykirch/Andreas Wolf (Leitung), Dirk Schmeding (Regie)