Es war ein konsequenter und konzentrierter, aber wenig hoffnungsfroher Abend. Am Deutschen Nationaltheater Weimar kam Claudio Monteverdis zweite erhaltene Oper „Die Heimkehr des Odysseus“ („Il ritorno d’Ulisse in patria“) heraus. Wie bei mehreren Premieren in diesen Tagen liegt die Hauptprobenzeit wegen der Lockdowns schon geraume Zeit – in diesem Fall über ein Jahr – zurück. Für alle Beteiligten ist in einem solchen Fall die Entwicklung großer Bühnenintensität nach mehrfachen Schlussproben und kurzfristigen Vorstellungsabsagen schwer. Für Nina Gühlstorffs szenische Atmosphären und die musikalische Einrichtung von Gerd Amelung, dem künstlerischen Leiter des Thüringer Alte-Musik-Festivals Güldener Herbst, wurde Düsternis zum künstlerischen Multiplikator. Am Ende gab es lautstarke Ovationen für ein hartes Konversationsdrama, das ohne die sonst bei Barockopern gern gesetzten Farbakzente auskam.
Bohrender Pessimismus
Die heutige Skepsis gegenüber Heldenfiguren lässt auch Homers „listenreichen Odysseus“ in einem sehr zwiespältigen Licht erscheinen. Der strandet nach zehn Jahren im Trojanischen Krieg und nach weiteren zehn Jahren von den Göttern verhängten Irrfahrten endlich an der Heimatinsel Ithaka. Auch dort hinterlässt er, indem er die Freier-Schwärme um seine Gattin Penelope eliminiert, verbrannte Erde. Bei Homer endet das Blutvergießen nur durch einen Eingriff der olympischen Götter. Diesen poetischen Friedensappell haben Giacomo Badoaro und Monteverdi 1640 in ihre „Tragödie mit glücklichem Ende“ für das Teatro Santi Giovanni e Paolo nicht übernommen. In Weimar kommt es auch nicht zur glücklichen Wiedervereinigung zwischen der treuen Penelope unter angegrauter Haarpracht und dem charismatischen Militärstrategen Ulisse/Odysseus. Dabei hatte Monteverdi das so lange getrennte Paar mit innigen, starken Gesängen bedacht. Das Bühnenambiente bleibt bis zum Schluss kühl, kalt, fast kahl. Soeben hat Odysseus mit seinem Bogen – hier ein Holzstab – den Freiern den Garaus gemacht und den sich an einer Möhre festhaltenden Schlemmer Iro (Alexander Günther) mit einem gezielten Lanzenstich erledigt. Penelope blickt distanziert, ungläubig, müde. Verhärmung ist die undurchdringliche Mauer zu ihrem Selbst. Man weiß nicht, ob diese Frau noch Gefühle haben kann. Sayaka Shigeshima verdüstert mit dieser Resignation ihren gesunden Mezzo.
Skizzenhafte Grauzonen und kalte Kantilenen
Um Penelope herrscht emotionale Vereisung. Nur kurz dauern die wenigen Stichflammen von tänzerischer Bewegtheit, höfischem Wortgeplänkel und Exaltation. Walter Farmer Hart hält die Schwärmerei in Telemacos Bericht über die berüchtigte schöne Helena nicht und endet fast trocken. Einen vergleichbar ausgedörrten Gestus haben Hermann Heisigs Tanzarrangements für die balzenden Schmarotzer. Trotz seiner zweidreiviertel Stunden Spieldauer bleibt der Abend skizzenhaft. Marouscha Levy stellte Podeste und Vorhänge unter ungnädig gleißendes Licht. Das Set soll unfertig wirken und gilt damit für jede historische Epoche. Der Stoff stammt aus der Antike, die Kriegskritik aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, die klaustrophobische Lethargie aus der Gegenwart. Nach Penelopes Fluch auf die sinnliche Liebe darf das Publikum in die Pause. Kurz davor penetriert einer der Freier die allegorische Figur der „Menschlichen Hinfälligkeit“. Auch unter musiksymbolischen Aspekten ist es bedenklich, wenn Georg A. Borchev als einzige Counterstimme im Stück kein Hoffnungsträger oder Verführer sein kann.
Anleitung zum Unglücklichsein
Fast zum eigenen Nachteil lässt sich Gerd Amelung auf Nina Gühlstorffs bittere, schonungslose Spielvorgaben ein. Eine ganz kleine Besetzung aus Mitgliedern der Staatskapelle Weimar sitzt mit Alte-Musik-Spezialisten im Graben. Trotz weicher Phrasierungen wirkt Monteverdis Musik oft leer. Tänzerische Aufschwünge wirken wie Reminiszenzen aus einer besseren Zeit, die Begleitung der Kantilenen scheint fragmentiert. Es geht nicht um Schmelz, sondern um introvertierte Eindringlichkeit. Nur ganz wenige Szenen klingen mit wirklich runder, nicht hinterfragter Schönheit. Vor allem von Taejun Sun, der mit prächtigem Koloratur-Kavaliersbariton verbirgt, ob und wie viele seelische Narben Ulisse aus seinen Kriegstraumata und Bluttaten davonträgt. Erst spät erschließt sich der Sinn solcher Haltung: Die gebrochene Penelope und ihr Mann können nicht mehr zusammenkommen. Wie auch unter all diesen Göttergestalten, deren Gunstbeweise – etwa jene von Ulisses Gönnerin Minerva – in gnädige Worte gefasste Autorität ist? Heike Porsteins schöner Sopran fühlt sich in dieser Partie denn auch nicht ganz wohl. Besser geht es Andreas Koch als Nettuno mit Rauschebart, allerdings ohne Dreizack.
Wenig anzufangen wissen die Regie und Emma Moore mit der kupplerisch-lasziven Melanto. Ohne solche anzüglichen Lichtblicke wird der durchdachte Abend zur Gänze ein freudlos dahingleitendes Konversationsstück, bei dem jeder Satz und jede Bewegung die Destruktion noch mehr verdichtet. Nur Alik Abdukayumov als Hirt Eumete agiert mit gleicher sängerischer Vitalität wie sein Herr Ulisse. Die Starre dieses kräftig auf’s Gemüt drückenden Heimkehrerdramas kennt man aus Stücken Samuel Becketts und Wolfgang Borcherts. Es besticht die theatrale Konsequenz: Keine Spur von Verzauberung und suggestiver Gestaltung. Dafür Ernst, kammermusikalische Feinarbeit und geschärftes Singen. Stillschweigend hat man Ulisses Amme Ericlea gestrichen und damit auf die einzige Figur der Oper neben Eumete verzichtet, für die Loyalität keine Qual ist. So wird diese Weimarer Produktion eine Anleitung zum Unglücklichsein inklusive einiger antihumaner Voraussetzungen. Befreit von froh stimmenden Lichtpunkten.
Nationaltheater Weimar
Monteverdi: Die Heimkehr des Odysseus (Il ritorno d’Ulisse in patria)
Gerd Amelung (Leitung), Nina Gühlstorff (Regie), Ma-rouscha Levy (Bühne & Kostüme), Hermann Heisig (Choreografie), Lisa Astrid Mayer/ Hans-Georg Wegner (Dramaturgie), Jens Petereit (Chor), Heike Porstein (Fortuna / Minerva), Taejun Sun (Ulisse), Sayaka Shigeshima (Penelope), Emma Moore (Melanto / Amor), Jong-Kwueol Lee (Giove), Gevorg Aperánts (Eurimaco / Anfinomo), Andreas Koch (Nettuno), Oliver Luhn (Il Tempo / Antinoo), Alik Abdukayumov (Eumete), Walter FarmerHart (Telemaco), Georg A. Bochow (Pisandro / L’Humana Fragilità), Alexander Günther / Uwe Eikötter (Iro), Staatskapelle Weimar