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Opern-Kritik: Deutsches Nationaltheater Weimar – Salome

Ein finster faszinierender Karneval der Tiere

(Weimar, 14.9.2024) Mit einer „Salome“ der anderen Art gelingt in Weimar ein fulminanter Start in die neue Spielzeit der Oper. Götz-Friedrich-Preisträgerin Friederike Blum weicht von gängigen gesellschaftlichen Interpretationspfaden ab – und trifft ins abgründig Schwarze des Strauss-Schockers.

vonJoachim Lange,

Es war ein Volltreffer zum Spielzeitauftakt der Oper! Mit Ovationen für die Protagonisten im Graben und auf der Bühne. Und auch für das Regieteam! Dem Deutschen Nationaltheater Weimar ist das jetzt mit Richard Strauss’ „Salome“ gelungen. Musikalisch war dieser Triumph vorprogrammiert. Bei einem Orchester wie der Staatskapelle Weimar gehört Richard Strauss zum Selbstverständnis. Mit dem zum Bedauern seiner Weimarer Fans scheidenden Musikdirektor Dominik Beykirch läuft das Thüringer Spitzenorchester zur Hochform auf, macht klar, wieso dieses nach wie vor skandalöse Stück seit fast 120 Jahren nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat. Beykirch hat dafür ein untrügliches Gespür und hält durchweg die Balance zu den singenden Protagonisten auf der Bühne.

So wird alles hörbar: von der dunkel schwülen Dekadenz am Hofe des Herodes über dessen begehrliche Blicke auf seine Stieftochter Salome bis hin zum rigorosen Fundamentalismus des gefangenen Propheten Jochanaan. Als ein Höhepunkt für das Orchester (und Herausforderung für die Regie) schließlich Salomes berühmter Schleiertanz und der anschließend trotzig beharrende Wunsch, ihr in einer Silberschüssel den Kopf des Propheten, der sich ihr so vehement verweigert hat, zu servieren. Zur Schlussszene der blutjungen Frau mit dem blutigen Haupt des Jochanaan als Objekt ihrer Begierde gibt es nicht viel Vergleichbares auf der Opernbühne. Die Rezeptionsgeschichte dieses genialen Einakters wirkt da bislang zum Glück als verlässlicher Schutzschild.

 Szenenbild zu „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

In Zeiten eines stets auf Interpretation (und Überschreibung) bedachten Musiktheaters und entsprechend ambitionierter Regisseure lassen sich am Beispiel dieser Geschichte sowohl die Dialektik von Gewalt und Leidenschaft durchdeklinieren, in Salomes Vorleben nach traumatisierenden Erfahrungen mit Übergriffen forschen, aber auch der Rigorismus des Propheten (und der Juden) so oder so beleuchten.

Dekadenz als Opulenz der Fantasie

Von diesen gängigen, aufs gesellschaftlich Relevante zielenden Interpretationspfaden weichen die Götz-Friedrich-Preisträgerin des Jahres 2023, Friederike Blum, mit ihrer Regie, Heike Vollmer mit ihrer suggestiv wirkenden Bühne und Lauren Steel mit ihren Kostümen in überbordendem Fantasystil radikal und bewusst ab. Das verblüfft und fasziniert im ersten Moment, legitimiert sich aber im Laufe des Abends durch die innere Schlüssigkeit des Ansatzes. Diese „Salome“ projiziert die biblische Geschichte bewusst einmal nicht in eine nähere Vergangenheit, eine kaputte Gegenwart oder in eine dystopische Zukunft. Die Reise geht diesmal jenseits aller Erwartungen ins Innere. Das Inszenierungsteam (jede der Damen mit einem konstituierenden Anteil!) zelebriert die Dekadenz als eine Opulenz der Fantasie. Aus dem Hof des Herodes machen sie einen Unort seelischer Abgründe eigenen ästhetischen Rechts.

Szenenbild zu „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Ein metaphorisches schwarzes Loch

Die Bühne hat auf den ersten Blick etwas von einem aufgerissenen Rachen, der am liebsten auch die Zuschauer verschlingen würde. Eine dunkel ansteigende, von schwarzen Tüchern bedeckte Fläche. Sie ist links und rechts von zwei sich verjüngenden brutalistischen Mauern begrenzt. Die von hinten erleuchtete Lücke oben in der Höhe könnte eine Pforte sein, die vom Palast in einen Hof führt, in dem der Müll entsorgt wird. Auf halber Höhe und nur zu erahnen befindet sich der Zugang zur Zisterne, in der der Prophet gefangen ist und von wo er seine mächtige Stimme ertönen lässt. Es ist metaphorisches schwarzes Loch, in dem am Ende außer Herodes und Salome das gesamte Personal verschwindet. Nur Herodias taucht mit der Silberschüssel und dem abgeschlagenen Haupt darauf wieder auf und reckt es triumphierend in die Höhe. Sie ist hier ohnehin mehr ein Alter Ego ihrer Tochter als deren Mutter. Könnte gut sein, dass sie das Werk des Henkers in der Tiefe selbst vollbracht hat. Angefeuert von den ebenfalls abgetauchten Juden.

Szenenbild zu „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Auf der moralischen Müllhalde

Was sich unter dem in der Höhe wallenden dunklen Schleier auf dieser metaphorischen moralischen Müllhalde abspielt, ist ein provozierend opulentes Fest der Fantasie der Kostüme. Jeder trägt hier ein hinter der menschlichen Fassade verborgenes tierisches Inneres offen zu Markte. Der glitzernd herausgeputzte Jochanaan glotzt mit Maulwurfsaugen auf Salome, Herodias schwingt bedrohlich ihre Adlerflügel. Die fünf Juden treten in Löwen-, Fledermaus-, Hasen-, Huhn-, Schaf- oder Elefantengestalt auf. Der Cappadocier und der Sklave können sogar das Pfauenrad schlagen, wenn Herodes seine weißen Pfauen anpreist. Narraboth kommt – warum auch immer – als Hyäne. Dass Salome wie eine Schlange züngelt und Jochanaan das Geweih eines Opfertieres ziert, ist schon naheliegender. Aber wie singt sie, wenn sie zwar den Kopf des Propheten, aber nichts mehr von ihrem Verstand hat: Was tut´s?

 Szenenbild zu „Salome“
Szenenbild aus „Salome“

Sensationelle Besetzung der Titelpartie

Diese Opulenz des anderen Blicks funktioniert, weil alles in sich stimmig ist. Und, weil ein Ensemble beisammen ist, das sich darauf einlässt. Eine echte Sensation (Marke: den Namen muss man sich merken) ist Tamara Banješević als Salome. Mit einer noch leichten Stimme, aber schon mit betörender Intensität, fasziniert sie bis zum letzten Ton. Auch optisch ist sie die behauptete blutjunge Prinzessin, die der Welt so gründlich abhanden kommt. Als Herodias überzeugt Christel Loetzsch ebenso wie Alexander Günther als Herodes mit den gierigen Maulwurfsaugen. Von der Semperoper kehrt Oleksandr Pushniak als fulminant losdonnernder Jochanaan an sein früheres Haus zurück. Taejun Sun ist der erstklassige Narraboth hinter der Hyänenmaske, Sayaka Shigeshima der Page. Auch alle anderen tragen ihren Teil zu diesem besonderen Karneval der Tiere bei.

Deutsches Nationaltheater Weimar
R. Strauss: Salome

Dominik Beykirch (Leitung), Friederike Blum (Regie), Heike Vollmer (Bühne), Lauren Steel (Kostüme), Vendula Nováková (Mitarbeit Choreografie), Simon Berger (Dramaturgie), Christian Schirmer (Licht); Alexander Günther, Christel Loetzsch, Tamara Banješević, Oleksandr Pushniak, Taejun Sun, Sayaka Shigeshima, Eberhard Francesco Lorenz, Jörn Eichler, Gabriel Henrique Pereira, Narumi Hashioka, Nathaniel Kondrat, Oliver Luhn, Detlef Koball, Guido Jentjens, Andreas Koch, André Rabello, Pia Christina Jauernig, Staatskapelle Weimar



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