Als Performerin ist Marina Abramović seit langem eine Marke. Ein Klasse für sich. Und auch schon mal ihr eigener Gegenstand – so vor acht Jahren in „The Life and Death of Marina Abramović“, das kein Geringerer als Robert Wilson in seine Bühnensprache über- und mit ihr in Szene gesetzt hat. Als Frau mit einem Händchen fürs Musiktheater hat die weltberühmte Serbin im Februar 2018 selbst die Latte ziemlich hochgelegt. Da hat sie zusammen mit dem belgisch-marokkanischen Starchoreographen Sidi Larbi Cherkaoui aus Debussys „Pelléas et Mélisande“ ein Gesamtkunstwerk der ganz eigenen und geradezu überwältigenden Art machte. Abramović steuerte eine kongeniale Bühne bei, die mit einem universellen Ausblick spielte und doch aufs Innere gerichtet blieb. Bei ihrer jetzt in den Positionen Regie und Bühne verantworteten Hommage an Maria Callas ist aus diesem Team der Videokünstler Marco Bramillia mit von der Partie.
Groß gedachtes Callas-Vorhaben – von München über Paris bis nach Athen
Die Faszination der Maria Callas hat es Marina Abramović von Jugend an angetan. Dass das früher oder später in einem Projekt für die Bühne münden würde, lag da wohl auf der Hand. Der (Noch-)Intendant der Bayerischen Staatsoper, Nikolaus Bachler, schließlich ermöglichte es ihr, dieses Herzensanliegen zu verwirklichen. Bei einer so weltweit präsenten Künstlerin bleibt das Vorhaben natürlich nicht auf München beschränkt. Neben der Deutschen Oper Berlin und dem Maggio Musicale Fiorentino sind auch die Nationalopern in Athen und Paris mit im Boot. So zumindest der Plan. Denn, ob es auch dort gelingt, dem Virus zumindest soweit Paroli zu bieten, dass die Sängerinnen singen, die Musiker spielen und wenigstens eine begrenzte Zahl Zuschauer dabei sein dürfen, kann heute wohl niemand mit letzter Sicherheit sagen.
Hoch-Kultur ist identitätsstiftend, systemrelevant, ja systemimmanent
Selbst im Falle des ja bestens durchorganisierten und mit treuem Publikum versehenen deutschen Spitzenopernhauses war diesmal lange Zeit vieles nicht klar. Zum Beispiel, wieviel von den 2100 (in München bei Premieren immer ausverkauften) Plätzen für mit Mund- und Nasenschutz ausgestattete Besucher auch freigegeben werden. Bis zum Abend vor der Premiere stand die bayernweite Obergrenze von 200 im Raum – und dies allen (ermutigenden) Erfahrungen der Salzburger Festspiele zum Trotz. Am Tag der Premiere selbst durften dann noch 300 weitere Karten freigegeben werden, sodass die nach ausgeklügelter Platzbelegung besetzten Plätze den Anschein eines gut besuchten Zuschauerraums vermittelte, an den man sich wird gewöhnen müssen. Erwartungsgemäß – und seinem Naturell entsprechend mit klarer Sprache – hatte sich Bachler für mehr Flexibilität ins Zeug gelegt. Das Orchester seines Hauses freilich hielt sich bei dem via offenen Brief vorgetragenen Unmut anderer Münchner Orchester seltsamerweise diskret zurück. In Sachen Musikantenmut vor demokratisch besetzten Thronen kann man derzeit wohl in Österreich etwas lernen, wo die (Hoch-)Kultur offensichtlich nicht nur identitätsstiftend ist, sondern auch noch als systemrelevant, wenn nicht gar systemimmanent betrachtet und behandelt wird.
Im Dämmerschein steht ein Bett, in dem Marina Abramović als Maria Callas die Todesszenen der Traumrollen ihres Lebens imaginiert
Sei’s drum. Die Musiker des Bayerischen Staatsorchesters saßen mit gebotenem Abstand beisammen und schwelgten sich unter der eifrigen Leitung von Yoel Gamzou von einem Arienschmankerl zum nächsten. Auf Parketthöhe vor der eigentlichen Bühne. Dort stand im Dämmerschein ein Bett, in dem Marina Abramović als zum Tode hin leidende Maria Callas die Todesszenen der Traumrollen ihres Lebens imaginierte. Sieben Sängerinnen mussten sich so dem eigentlich undankbaren Wettbewerb mit der Erinnerung an die ja gut auf Tonträgern dokumentierten Zeugnisse der Callas stellen. Hera Hyesang Park mit dem „Addio del passato“ der Violetta Valéry, Selene Zanetti mit dem „Vissi d’arte“ der Tosca, Leah Hawkins mit Desdemonas „Ave Maria“, Kiandra Howarth mit dem „Un bel dì vedremo“ der Cio-Cio-San, Nadezhda Karyazina mit Carmens „Habanera“ und Adela Zaharia mit Lucia Ashtons „Il dolce suono“. Lauren Fagan trifft es am härtesten – denn Normas „Casta Diva“ (geradezu das Markenzeichen der Callas) gab es in einer Aufnahme von 1954 als Schlusspunkt für den 90minütigen Abend im Original.
Callas live – zwischen „Best of“ und „Ach ja“
Für die Musiker mag es prickelnd gewesen sein, die Callas live zu begleiten. Dieser musikalische Hauptteil des Abends wurde mit der live produzierten Originalmusik von den Sängerinnen, die alle in ein unauffälliges Grau gekleidet waren, brav abgespult. Wie eine Nummernrevue. Ein „best of“ für Einsteiger. Oder ein „Ach ja“ für die Kenner. Der szenische Beitrag kam über die Videos, für die Nabil Elderkin die Regie übernommen hatte und bei denen in den assoziativen Annäherungen an die jeweiligen Bühnentode Hollywood-Legende Willem Defoe der Partner von Abramović war. Das hat seinen eigenen ästhetischen Reiz. Wenn Tosca etwa nicht von der Engelsburg, sondern von einem Wolkenkratzer springt und wir das in Zeitlupe miterleben. Oder wenn sie als Desdemona eine gewaltige Riesenschlange um den Hals gelegt bekommt. Oder wenn sie Hand in Hand mit dem als Frau geschminkten Defoe als Norma auf den lodernden Scheiterhaufen zuschreitet.
Gibt es einen gedanklichen Bogen?
Eindrucksvoll der Tod der Butterfly. Dieses Japan nach einem Vernichtungsschlag kann man nur noch im Schutzanzug betreten. Wenn sich Marina den aufreißt und ihre Brust entblößt, sinkt sie tot zu Boden. Mit den selbst sowie von Peter Skavlan beigesteuerten jeweils hinführenden Textfragmenten ausgerüstet und getragen von den von ihrem Landsmann Marko Nikodijević neu und gegen das italienische Pathos ankomponierten Intermezzi, kann man sich durchaus einen gedanklichen Bogen zu dem, was man so über die Callas und ihre Lebenstragik weiß, schlagen. Man muss es aber nicht.
Maria wird Marina wird Maria – der Rest sind Schweigen und Unsterblichkeit
Deren realen Callas Tod von 1977 in Paris performt Abramović dann selbst. Eher ruhig und rituell, fast banal. Sie raunt, dass sie gleich das Bett verlässt – und tut es dann. Sie sagt, dass sie im Zimmer Schritte machen wird – und macht es dann. Wenn sie das Fenster aufreißt, dringt das lebendige Paris in einem Klangschwall herein. Lautstark mit Überwältigungsabsicht. Dann geht sie ins Bad, ist einfach weg, und die Putzkolonne räumt auf. Der Rest von Maria ist dann Marina im goldenen Kleid an der Rampe vor geschlossenem Vorhang. Und die göttliche Stimme aus dem Off. Der Rest sind Schweigen und Unsterblichkeit.
Bayerische Staatsoper München
7 Deaths of Maria Callas
Yoel Gamzou (Leitung), Marina Abramović (Regie & Bühne), Lynsey Peisinger (Regie-Mitarbeit), Marko Nikodijević (Musik), Petter Skavlan & Marina Abramović (Autoren), Nabil Elderkin (Filmregie), Marco Brambilla (Video der Intermezzos), Luka Kozlovacki (Sound-Design), Riccardo Tisci (Kostüme), Anna Schöttl (Konzeption des Bühnenbildes), Urs Schönebaum (Licht), Benedikt Stampfli (Dramaturgie), Stellario Fagone (Chor), Marina Abramović (Filmdarstellerin und Performerin), Willem Dafoe (Filmdarsteller), Hera Hyesang Park (Violetta Valéry), Selene Zanetti (Floria Tosca), Leah Hawkins (Desdemona), Kiandra Howarth (Cio-Cio-San), Nadezhda Karyazina (Carmen), Adela Zaharia (Lucia Ashton), Lauren Fagan (Norma), Bayerisches Staatsorchester, Extra-Chor der Bayerischen Staatsoper
Am 5. September folgt die kostenlose Live-Übertragung der Vorstellung auf STAATSOPER.TV in Kooperation mit BR-Klassik und ARTE concert.