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Operetten-Kritik: Gärtnerplatztheater – Waldmeister

Extrafeuchtes Intermezzo mit Bowle und Orgie

(München, 10.4.2025) Nicht nur Wien ist eine Operettenhochburg: Der regieführende Intendant Josef E. Köpplinger sorgt auch am Gärtnerplatztheater für spritzige Champagnerlaune und ein Walzerdelirium unter der Gürtellinie. Der Feuerwehreinsatz war zur Premiere von „Waldmeister“ indes nicht geplant.

vonRoland H. Dippel,

Klar, dass das Gärtnerplatztheater mit seinem aus Österreich stammenden Intendanten als eine der wichtigsten Operettenhochburgen Deutschlands beim Wiener Jubiläumsjahr „Johann Strauss 2025“ mitmischt. Die Neuproduktion von Strauss‘ vorletztem Bühnenwerk „Waldmeister“, das nach der Wiener Uraufführung 1895 und kurzer Erfolgsblüte schnell an den Rand der Repertoires gedrängt wurde, ist auch eine Münchner Angelegenheit. Am Gärtnerplatz lief es bereits 1896 und nochmals 1935, als man im Nationalsozialismus die jüdische Herkunft der Walzerkönige zur geheimen Reichssache erklärte. Der frischfrisierte „Waldmeister“-Relaunch kommt Ende des Monats in die Halle E des Wiener Museumsquartiers. Dort reiht er sich in die Reihe von Überschreibungen wie „Das Lied vom Rand der Welt oder Der ‚Zigeunerbaron‘“ und „Indigo und die 23 Räuber*innen“, einem Projekt für alle Wiener Stadtbezirke.

Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater

Wenn der regieführende Intendant hyperventiliert…

Bei Köpplinger gerät das „Waldmeister“-Finale durch die Bowle „ohne nur einen einzigen Tropfen Wasser“ in Nähe zum Champagner-Finale der „Fledermaus“. Sonst ist vieles anders als im Original und dabei um einiges näher am Regie-Œuvre des von Energie sprudelnden Intendanten. Obwohl der in München „La cage aux folles“ und „Waldmeister“ im pausenlosen Regie-Doppelstreich auf die Bühne gewuchtet hatte, hyperventilierte Köpplinger erst am Premierenabend in Herzinfarktnähe.

Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater

… herrscht eine Flutkatastrophe auf der Bühne

„Ob Cousin, ob Cousine – das ist doch egal!“ Dieser Satz kam zweimal – dazwischen herrschte 35 Minuten hochdramatischer Theaterstillstand. Urplötzlich prasselt ein fetter Regenvorhang vom Schnürboden. Bühne, Orchestergraben und Kostüme werden triefnass. Das Ensemble bricht ab: 35 Feuerwehrleute und das gesamte Technikteam ermöglichen im blitzschnellen Sondereinsatz, dass die 15 Zentimeter hohe Wasserfläche hinter dem Eisernen Vorhang entfernt wird und das Spiel befeuerter als vorher seine Fortsetzung finden kann. Kein Wunder, dass den Intendanten und alle anderen das große „Nachzittern“ überkommt.

Auch hier, wie in jeder Köpplinger-Produktion, wird dem fantastischen Ensemble an Präzision und frivolen Aktionen einiges abverlangt. Weil zu den blitzschnellen Umzügen keine Zeit für den Weg in die Garderoben bleibt, finden in „Waldmeister“ diese auf der Seitenbühne statt. Eine Solistin war in der Eile versehentlich an einen Alarmknopf geraten und löste damit den „Schutzschwall“ aus. Teamgeist verpflichtet: Das Orchester spielt wegen momentan unbrauchbarer Instrumente in kleinerer Besetzung weiter. Unter Leitung von Michael Brandstätter wurde das Ziehen, Drücken und Schweben dieser Musik sogar noch einen Kick bezirzender.

Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater

Eine pikante Spielschlacht für alle

Es wäre schade gewesen, hätte das Premierenpublikum die Kuschelorgie zum Walzer-Herzstück „Trau, schau, wem“ nicht erleben können. Wie bei Köpplinger zu erwarten, wurde der Abend eine pikante Spielschlacht für alle – das Ensemble, den Chor unter der versiert-raffinierten Leitung von Pietro Numico und die geforderten Kleindarsteller. Ein Quoten-Buh setzte es fast zwangsläufig. Da wollte mal wieder jemand nicht tolerieren, das Strauss‘ Walzerdelirium sehr wohl mit fallenden Kadettenhosen und ganz tiefen Damendekolletés zu tun hat.

Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater

Erotische Energien

Solche sittengeschichtlichen Details setzen bei Köpplinger noch größere Spiel- und Spaßenergien frei. Am Anfang kommt ein Abspann und rückt „Waldmeister“ in eine Heimatfilmvariante von „Waldrausch“ aus der Nachkriegszeit der 1950er. Gustav Davis‘ im Forstakademie-Paradies Tharandt bei Dresden angesiedelter Plot rutscht in den Wienerwald bei Mayerling und dort ins Hotel „Zur Waldmühle“. Passt alles. Köpplingers Texte sind fast so schüttelreimend, spießig und retro-banal wie die Urfassung – „verdrossen“ reimt sich „begossen“. Mit Hintergedanken: In dieser „Weißes-Rössl“-Transformation lauern hinter Sonnenbrillen und Glockenröcken emanzipierte Frauen mit Spaß-Offensiven und trocken artikulierter Neugier auf flotte Vergnügungen. Anstelle der in Strauss-Operetten sonst gültigen „Dui-Du“-plus „Chambre séparée“-Formel setzt Köpplinger eine zeitgemäß andere. Damit es nicht zu brachialen Übergriffen kommt, haben bei ihm die Männer nie nur das emanzipierte Frauen-Wild, sondern immer auch ein bisschen ihre durch die Bank dafür aufgeschlossenen Kompagnons in Visier. „Waldmeister hat’s verschuldet“. Im dritten Akt löst sich alles viel knapper auf als im fidelen Gefängnis der „Fledermaus“. Das Orchester spielt nach dem mit Begeisterungspfiffen durchsetzten Schlussapplaus die auffordernde Rausschmeißer-Reprise von „Trau, schau, wem“.

Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Szenenbild aus „Waldmeister“ am Münchner Gärtnerplatztheater

Menschen im Hotel

Im Falle dieser Besetzung haben die Menschen im Hotel, in dessen nüchterne Gesellschaftsräume Walter Vogelweider immer wieder üppige Pflanzenschaften hereinwuchern lässt, und in Uta Meenens adretten Urlaub-Coutures zahlreiche Amüsement- und Attraktivitätsboni. Im Grunde muss man die hier in Super-Verfassung aufmarschierenden Ensemble-Größen nur aufzählen und auf dem Goldmedaillen-Podest zusammendrängen. In der Gemengelage von Exkursionen und Eskalationen spielen alle so toll zusammen, dass die Grenzen zwischen Solopersonal, Chor und Statisterie verschwinden. Matteo Ivan Rašić und Ludwig Mittelhammer machen als Tenor-/Bariton-Duo, glänzend singende Operetten-Bonvivants und mit fulminanter Totalwirkung nur zu deutlich, warum die Försterei in Mitteleuropa zu den begehrtesten Berufsgruppen gehört. Selbst ein Experte wie Köpplinger gelingt allerdings nicht eine hinreichende Begründung dafür, wie es im Hotel „Waldmühle“ in Gestalt von Daniel Prohaska, Erwin Windegger und Anna-Katharina Tonauer zu einer derartigen Häufung aus den Botanik- und Verwaltungslobbys kommen kann. Mit dem Ensemble-Neuzuwachs Sophia Keiler, dazu Andreja Zidaric und Regina Schörg stehen drei Sängerinnen aus den Donaumonarchie-Kernregionen für das richtige Kolorit ein. Auch alle anderen bereichern den feinen, aber letztlich doch nicht ganz die Operetten-Gourmetspitzen von „Eine Nacht in Venedig“ oder „Z-Baron“ erreichenden Waldmeisterbowle-Äquator. Aber schön ist der doch!

Staatstheater am Gärtnerplatz München
J. Strauss (Sohn): Waldmeister

Michael Brandstätter (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie), Ricarda Regina Ludigkeit (Choreografie und Co-Regie), Walter Vogelweider (Bühne), Uta Meenen (Kostüme), Peter Hörtner & Josef E. Köpplinger (Licht), Karin Bohnert (Dramaturgie), Robert Meyer, Regina Schörg, Andreja Zidaric, Ludwig Mittelhammer, Matteo Ivan Rašić, Sophia Keiler, Daniel Prohaska, Anna-Katharina Tonauer, Caspar Krieger, Erwin Windegger, Alexander Findewirth, Riccarda Schönerstedt, Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz, Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz






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