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Opern-Kritik: Glyndebourne Festival – Hamlet

To do or not to do?

(Glyndebourne, 11.6.2017) Der australische Komponist Brett Dean wagt sich an Shakespeares Drama um den Dänenprinzen – und triumphiert

vonKirsten Liese,

Giuseppe Verdi, der immerhin mit „Otello“, „Macbeth“ und „Falstaff“ mehrfach Shakespeare für die Oper adaptierte, ließ die Finger vom „Hamlet“. So auch Berlioz und Tschaikowsky, die sich mit einem Gedanken an diesen Stoff getragen haben sollen. Eher scheinen sich weniger bekannte und unter keinem so großen Erfolgsdruck stehende Komponisten auf ein solch kühnes Wagnis einlassen zu können. Auf den Franzosen Ambroise Thomas, dessen 1868 uraufgeführte Hamlet-Oper in den 1990er Jahren wiederentdeckt wurde, trifft das ebenso zu wie auf den Italiener Franco Faccio, dessen packenden „Amleto“ auf ein Libretto von Arrigo Boito die Bregenzer Festspiele im vergangenen Jahr erfolgreich ausgegraben haben.

Eine der besten Uraufführungen seit den Literaturopern von Aribert Reimann

Brett Dean
Komponist Brett Dean © Pawel Kopczynski

Aber wer hätte gedacht, dass sogar das zeitgenössische Musiktheater auf dieses Drama zurückkommen würde? Dem Australier Brett Dean ist jedenfalls mit seinem in diesem Sommer beim Glyndebourne Festival uraufgeführten grandiosen „Hamlet“ so ziemlich das Beste gelungen, was das zeitgenössische Musiktheater in den vergangenen zehn Jahren außer den Literaturopern Aribert Reimanns hervorgebracht hat. Was umso bemerkenswerter erscheint, als dass Dean auf dem Gebiet der Oper noch nicht allzu viele Erfahrungen sammeln konnte wie der deutlich ältere Reimann. „Hamlet“ ist nach „Bliss“ erst Deans zweite Oper.

Kluge Kürzungen und konzise Verdichtung des Stücks

Zusammen mit seinem Librettisten, dem vielseitigen Kanadier Matthew Jocelyn, der auch als Theaterproduzent und Übersetzer arbeitet, ist dem ehemaligen Berliner Philharmoniker Dean ein sehr beeindruckendes Stück Musiktheater gelungen. So wie es sich ganz auf die tragischen familiären Konflikte des Stücks konzentriert und diese unter großen Kürzungen klug verdichtet, überzeugt es bereits dramaturgisch. Der Nebenstrang um die politischen Spannungen zwischen Dänemark und Norwegen, Prinz Fortinbras und Claudius, fiel dabei als ebenso entbehrlich weg wie die Szenen, in denen Rosenkranz und Güldenstern Hamlet nach England bringen und schließlich an seiner Stelle am Galgen landen.

Shakespeare im Original, doch remixed

Szenenbild aus "Hamlet"
Hamlet/Glyndebourne Festival © Richard Hubert Smith

Alle Texte im Libretto stammen aus Shakespeares Feder, nur folgt es nicht der genauen Abfolge im Drama, Jocelyn hat sie dramaturgisch neu zusammengefügt. Dass von Hamlets berühmtem Monolog „To be or not to be“ bis auf den ersten Satz nicht allzu viel übrig geblieben ist, wiewohl dieser dafür mehrfach wiederkehrt, ist freilich schade, da Allan Clayton, sängerisch kaum zu überbieten, in Neil Armfields Inszenierung ohnehin schon weniger als ein nachdenklicher Prinz erscheint als ein etwas hyperaktiver, kindischer, fast ein bisschen clownesker Außenseiter.

Düster dramatische Musik in reizvoller Instrumentation

Und die Musik? Sie ist packend und je nach den Ereignissen düster, dramatisch, aufwühlend, jenseitig oder auch von zarter Schönheit. Brett Dean hat sehr abwechslungs- und farbenreich instrumentiert und hier und da reizvoll exotische Instrumente wie Akkordeon oder tibetische Klangkugeln eingesetzt. So kommt beispielsweise in der exponierten Szene, in der Hamlet mit einer Theatergruppe den Mord an seinem Vater nachspielen lässt, um seinem Onkel und seiner Mutter den Spiegel vorzuhalten, das Akkordeon mit melancholischen, entfernt an Piazzolla erinnernden Klängen zum Einsatz.

Szenenbild aus "Hamlet"
Hamlet/Glyndebourne Festival © Richard Hubert Smith

Bass-Veteran John Tomlinson in großartiger Altersrolle

Vladimir Jurowski war zudem gut beraten, den Glyndebourne Chorus und Musiker des London Philharmonic nicht allein aus dem Graben und von der Bühne singen und spielen zu lassen, sondern teils auch von den Rängen im Zuschauerraum. Dank dieser Anordnung wirkt die Musik oft sphärischer oder gespenstischer, besonders dann, wenn die Figuren halluzinieren und fremde Stimmen hören wie Ophelia in ihrer Wahnsinnsszene oder übersinnliche Erfahrungen machen wie Hamlet in der Begegnung mit dem Geist seines Vaters (großartige Altersrolle: John Tomlinson).

Zeitlose Inszenierung – traumhaftes Ensemble

Die Inszenierung ist zeitlos und besticht mit einer packenden, unaufwendigen Personenregie und einem grandiosen Ensemble. Allen voran faszinieren Barbara Hannigan und der genannte Bass-Veteran John Tomlinson, der auch aus der kleinen Rolle des Totengräbers eine ganz große macht, sowie Sarah Connolly als Gertrude mit einer umwerfenden Bühnenpräsenz. Aber auch alle übrigen Partien hätte Glyndebourne nicht besser besetzen können.

Szenenbild aus "Hamlet"
Hamlet/Glyndebourne Festival © Richard Hubert Smith

Eine Wucht schließlich auch das blutige, grausame Finale. Im Gegensatz zu vielen Theaterregisseuren, die so vermeintlich antiquierte Requisiten wie Degen und Florette lieber durch Pistolen ersetzen, hat Neil Armfield keine Scheu vor der alten, fast vergessenen Kunst des Bühnenfechtens. Zum Glück! Lange hat man nicht mehr so spannende Fechtszenen auf einer Bühne gesehen wie hier zwischen Hamlet und Laertes (David Butt Philip) und Hamlet und Claudius (Rod Gilfry). Und so organisch wie sich die moderne Tonsprache mit Shakespeareschem Kolorit in der Szene verbinden, zählt diese Uraufführung einer Literaturoper eben wirklich zu den größten Würfen, die das zeitgenössische Musiktheater zuletzt hervorgebracht hat.

Glyndebourne Festival
Dean: Hamlet

Vladimir Jurowski (Leitung), Neil Armfield (Regie), Ralph Myers (Bühne), Alice Babidge (Kostüme), Allan Clayton, Sarah Connolly, Barbara Hannigan, Rod Gilfry, Kim Begley, John Tomlinson, Jacques Imbrailo, David Butt Philip, Rupert Enticknap, Christopher Lowrey, London Philharmonic Orchestra, The Glyndebourne Chorus

Termine: 11. (Premiere), 13. & 27.6., 2., 5. & 8.7

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