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Opern-Kritik: Grand Théâtre de Genève – Don Giovanni

Er weiß, was Frauen (hören) wollen

(Genf, 1.6.2018) Als Libertin der antispießigen 60er Jahre möchte der Don Giovanni des Regisseurs David Bösch keinesfalls zum Establishment gehören

vonPeter Krause,

Wie war dieser verdammte Don Giovanni eigentlich im Bett? Mozart gibt darauf keine Antwort, sein Librettist Da Ponte auch nicht. Über die Qualität seines Liebeslebens erfahren wir wenig, dafür aber umso mehr über dessen Quantität. Wie in einem Poesiealbum der Eroberungen wird in einem Büchlein jede Blonde und jede Brünette, jede Junge und jede Alte, jede Hübsche und jede weniger Hübsche festgehalten, die der legendäre Liebhaber so erobert hat.

In der Inszenierung von David Bösch in Genf werden in diesem Leporello der Liebe nicht nur Strich- oder Namenslisten geführt und nach Nationen aufsummiert (bis hinauf zum ewigen Spitzenreiter Spanien: Da waren es bekanntlich 1003 Damen), es sind stattdessen Polaroid-Fotos eingeklebt, die Giovannis Diener, der selbst den Namen des besagten Büchleins trägt, bei jeder passenden und weniger passenden Gelegenheit herzeigt. Das legendäre Image des Don Juan will schließlich verbreitet und gefestigt werden. Er selbst setzt die Kamera eher zu häufig denn zu selten ein, also auch in Fällen, in denen er gern gewollt hätte, es aber durch widrige Umstände doch nicht dazu kam.

Szenenbild aus "Don Giovanni"
Don Giovanni/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Einmal aber bekommen wir bei David Bösch eine Ahnung davon, was es denn nun mit des Sexualpraktiken des Don Giovanni so auf sich hat. Der Spieler der Liebe kommt im Laufe der Oper zwar zu keinem eindeutigen Stich, und der Regisseur bleibt im Land der Calvinisten auch artig auf dem Boden der nicht nackten Tatsachen. Als aber Leporello in der Szene des Kleidertauschs mit Giovanni letzteren in intimer Mission vertritt, ahnen wir immerhin, wie es sonst so abgegangen ist. Denn nachdem Elvira eine Nacht mit dem verkleideten Leporello verbracht hat, in der Annahme, sie habe Sex mit ihrem Ex gehabt, da kommt der dienstbare Geist derart totalerschöpft auf allen Vieren auf die Bühne zurück, dass uns klar wird: Kuschelsex gibt’s im Hause Giovanni nicht. Sondern vollen Einsatz, bis der Arzt kommt. Schön also, dass hier mal zur Gewissheit wird, was wir eh schon immer geahnt hatten.

Das Don Giovanni-Geheimis wird gelüftet: Es liegt im erfolgreichen Zusammenspiel von schamlosem Frauen-Verführer und sensiblem Frauen-Versteher

Doch die detailfreudig kluge, schnelle und dabei dennoch hoch sensible Inszenierung erschöpft sich keineswegs in solchen prallen Pointen. Bösch kommt der Figur des Don Giovanni vielmehr deutlich näher, als es in den meisten handelsüblichen Regiearbeiten der Fall ist, die immer wieder das Schillernde, Nicht-Greifbare des mythischen Lovers behaupten, sich aber kaum entscheiden wollen oder können, welche Facetten sie denn nun zeigen wollen. Gemeinsam mit dem großen Sängerdarsteller und immer noch traumhaften, edel timbrierten Bariton Simon Keenlyside gelingt David Bösch das Auffinden eines Giovanni-Geheimnisses, das sich – plakativ zugespitzt – als das erfolgreiche Zusammenspiel von schamlosem Frauen-Verführer und sensiblem Frauen-Versteher beschreiben lässt. Nicht zuletzt in der präzise differenzierten musikalischen Zeichnung der Figur wird das Prinzip deutlich: Keenlyside changiert so genialisch zwischen Flüstern, Säuseln, Einschmeicheln, Einschüchtern und Brüllen, nuanciert sein Singen so vielschichtig, dass er mitunter in einer Phrase mit drei Stimmen zu singen scheint.

Szenenbild aus "Don Giovanni"
Don Giovanni/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Das zeigt uns, etwa im Duett mit der fast eroberten Zerlina (Mary Feminear gibt sie als sehr selbstsichere Frau, die weiß, was und wen sie will, und singt sie mit so gar nicht soubrettenlieblichem Sopran) oder im Aufeinanderprallen mit der ihm schnell wieder verfallenen Donna Elvira, dass Giovanni sich blitzschnell auf seine multiplen Gegenüber einzustellen versteht. Wenn für die Frauen des Stücks die gendertechnisch unkorrekte Verdi-Erkenntnis „La donna è mobile“ gilt, dann weiß sie sich Giovanni ideal zu Nutze zu machen: Er wendet und windet sich noch aus der aussichtslosesten Situation blitzschnell heraus. Er weiß, was Frauen (hören) wollen.

Giovanni, der virile Alt-68er

Angemessen ironisch zeichnet David Bösch zumal die affektiert zickige Donna Elvira, der Myrtò Papatanasiu all ihr vulkanisches griechisches Temperament in Spiel und Stimme (welch singulärer Sopran-Aplomb!) leiht. Wenn diese Elvira ihren Giovanni als „Tradittore“, mithin als Verräter schilt, fällt sie ihm im selben Moment heillos entflammt um den Hals. War der Sex mit ihm einfach zu gut, um dem Ungetreuen mehr als zehn Sekunden böse zu sein? Die Dame kommt einfach nicht los von diesem wundersamen Scheusal.

Szenenbild aus "Don Giovanni"
Don Giovanni/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Die Wahl des Settings der Inszenierung ist, wie schon im letzten Jahr beim selben Team in „Così fan tutte“, überaus stimmig, um das Verhalten eines der freien Liebe frönenden Libertins glaubhaft erscheinen zu lassen. Wir befinden uns in den Sixties. Giovanni ist ein in die Jahre gekommener, aber immer noch viriler 68er, der alles daransetzt, nicht zum Establishment des spießig getreuen Liebespaars Donna Anna und Don Ottavio zu gehören. Er lebt die sexuelle Befreiung ohne Kompromisse, ohne Moral, ohne Zögern. Das „Viva la libertá“, mit dem Giovanni den ersten Akt beschließt, hat man einem Giovanni-Sänger selten so abgenommen wie jetzt Simon Keenlyside.

Das Leben, zumal die Liebe sind ein Spiel – behauptet auch Falko Herold, der, ganz schön wenig Anna Viebrock-artige, abgewrackte Theaterbühne auf die Bühne gestellt hat. Darin spielt Giovanni der Welt und den Frauen etwas vor. Was ihm bis zuletzt sehr wohl gelingt. Nur logisch, dass Bösch es mit der finalen Höllenfahrt nicht bewenden lässt. Sein Giovannni entzieht sich auch dieser finalen Bestrafung eines Bösewichts.

Wie Verdi-Sänger Mozart zu neuer Tiefe verhelfen

Das Prädikat „sensationell“ verdient der Abend in Genf indes nicht wegen der Inszenierung. Denn das Sängerensemble ist der große Glücksfall ohne Ausfall. Dessen Zusammenstellung mit durchweg erfahrenen, lange bei Verdi erfolgreichen Künstlern gibt dem Stück eine ganz neue Qualität. Der Don Ottavio gewinnnt dank Ramón Vargas, der die Figur in die Nähe eines Traviata-Alfredo rückt, großes Gewicht abseits des Warmduscher-Images. Auch Patrizia Ciofi bringt ihre Erfahrung als La Traviata in die zur großen Tragödin aufgewehrteten Donna Anna ein, die man selten mit so furios erregter „Vendetta“-Entschlossenheit erlebt hat.

Szenenbild aus "Don Giovanni"
Don Giovanni/Grand Théâtre de Genève © Carole Parodi

Eine Klasse für sich ist David Stout als Leporello-Naturereignis mit volltönend gerundetem Bass-Bariton. Da reift ein zukünftiger Wagner-Sänger. Stefan Soltesz vollbringt am Pult des Orchestre de la Suisse Romande das Mozart-Wunder, die beiden wichtigsten Parameter dieser Musik ideal auszupendeln. Während romantische Les- und Spielarten auf die blühende Phrasierung setzen, betont die Currentzis-Schule die knackige Artikulation. Soltesz verbindet nun beides. Nicht als falschen Kompromiss, sondern im Sinne eines in jeder Pore spannungsgeladenen Musikdramas.

Grand Théâtre de Genève
Mozart: Don Giovanni

Stefan Soltesz (Leitung), David Bösch (Regie), Falko Herold (Bühne), Bettina Walter (Kostüme), Simon Keenlyside, David Stout, Patrizia Ciofi, Myrtò Papatanasiu, Ramón Vargas, Thorsten Grümbel, Mary Feminear, Michael Adams, Orchestre de la Suisse Romande

Weitere Termine: 8., 11., 13., 15. & 17.6.2018

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