Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Mit dem Rücken zur Wand

Opern-Kritik: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – Cesare

Mit dem Rücken zur Wand

(Innsbruck, 7.8.2024) In Geminiano Giacomellis „Cesare“ bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik kann deren neuer musikalischer Leiter Ottavio Dantone reüssieren. Die Inszenierung von Leo Muscato gerät indes unbefriedigend.

vonJoachim Lange,

Vor zwölf Jahren begann Cecilia Bartoli ihre Intendanz bei den Salzburger Pfingstfestspielen mit „Giulio Cesare“. Sie startete damit durch wie eine Rakete. Das Stück, die Star-Besetzung und die Inszenierung stimmten, um im Salzburger Festspielbezirk auch noch ein Barockfestival zu etablieren, das zum großen Sommerfestival seinen Teil beiträgt. Dort erweitert seither die jeweilige Neuproduktion zu Pfingsten den Opern-Spielplan im Sommer.

Jetzt eröffnete das neue Leitungsteam der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit der künstlerischen Direktorin Eva-Maria Jens und dem musikalischen Leiter Ottavio Dantone den 48. Jahrgang dieses namhaften Spezialfestivals auch mit einem „Cesare“. Dabei stiegen Dantone und die 22 Instrumentalisten seines in Ravenna beheimateten Orchesters Accademia Bizantina für die musikalische Exkursion des berühmten Römers an den Nil im Tiroler Landestheater selbst in den Ring. Es war allerdings nicht der 1724 in London uraufgeführte „Giulio Cesare in Egitto“ von Georg Friedrich Händel, sondern unter dem Titel „Cesare in Egitto“ eine Variante der Geschichte des Italieners Geminiano Giacomelli (1692–1740), zu der Carlo Goldoni und Domenico Lilli das Libretto geschrieben haben und die 1735 in Venedig uraufgeführt wurde.

Szenenbild zu „Cesare“
Szenenbild zu „Cesare“

Musikalisch glanzvoll

Obwohl Dantone die Vorzüge seines Spezialorchesters glänzend zur Geltung brachte, und damit den einhelligen Jubel des Publikums redlich verdient hatte, war es dennoch ein mühevoller und wie ausgebremst wirkender Opern-Neustart. Und das lag nicht nur am Kontrast zur hiesigen, im Vorjahr fulminant gefeierten „Olympiade“ von Vivaldi, sondern vor allem am aktuell ausgewählten Stück. Für dessen Musik hat sich Giacomelli offenkundig vor allem in seinem Kompositionsbaukasten bedient. In der Pause schwirrte da schon mal das despektierliche Wort von der Nähmaschine durch den Raum. Wirkt das Vorspiel noch zügig und überrascht mit originell eingeflochtenen Bläsern, stellt sich bald ein gewisses Gleichmaß der emotionalen Dauererregung ein, die kaum eine differenzierte Charakterzeichnung der Figuren erlaubt. Es hat gute musikalische und dramaturgische Gründe, dass sich Händels „Cesare“ im Laufe der Renaissance seiner Opern im 20. Jahrhunderts einen Spitzenplatz gesichert hat und Giacomelli dem kollektiven Gedächtnis abhandengekommen ist.

Szenenbild zu „Cesare“
Szenenbild zu „Cesare“

Mit der nötigen Menge Eloquenz

Der erobernde Römer und wir landen mitten im Machtkampf zwischen Cleopatra und ihrem Bruder Tolomeo. Beide wollen den römischen Eroberer und der seinerseits die beiden ins jeweilige Machtkalkül einbeziehen. Tolomeo vergreift sich dabei in den Mitteln, als er dem Römer als Gastgeschenk den Kopf seines Gegners Pompeo überbringen lässt, was Cesare als barbarisch empfindet und mit Blick auf sein Bild in der Geschichte angewidert zurückweist. Dass Cleopatra mit ihrer Attraktivität (das heutige Publikum „kennt“ sie ja dank Hollywood und Elizabeth Taylor haargenau) bei Cesare mehr Erfolg als ihr Bruder hat, ist auch in dieser Oper glasklar (Liebe auf den ersten Blick). Die beiden Hauptkontrahenten Cesare und Cleopatra werden wohltimbriert und mit virtuoser Eloquenz von Arianna Venditelli und mit dem gebotenen Quantum zum Sexappeal von Emöke Baráth verkörpert.

Szenenbild zu „Cesare“
Szenenbild zu „Cesare“

Sehr persönlich und emotional strahlt Tolomeos Bluttat in den Verlauf der Handlung durch die Auftritte von Pompeos Witwe Cornelia. Wie eine dauererregte Furie geht sie auf jeden los. Ob Römer oder Ägypter, ob Verehrer oder Gegner. Sie sammelt fleißig Punkte für die unsympathischste Figur im Stück, schaltet nie ihren Kopf ein und würde am Ende sogar ihren Sohn opfern für den großen Auftritt als Rächerin, die keinerlei reale Chance hat, diese Rache auch zu vollziehen. Für die Altistin Margherita Maria Sala jede Menge Vorlagen für ein respektabel fundiertes emotionales Auftrumpfen, ohne sich von irgendwelchen rationalen Erwägungen hindern zu lassen. In der barocküblichen Melange aus Staatsaktion und Liebesintrigen wird Cornelia nicht nur vom Ägypter Tolomeo (mit fokussiertem Tenor: Valerio Contaldo) begehrt, sondern auch vom Römer Lepido. Den verkörpert der männliche Sopran Federico Fiorio mit technischer Virtuosität in seinem vokalen und körperlichen Habitus gleichwohl etwas jünglingshaft.

Szenenbild zu „Cesare“
Szenenbild zu „Cesare“

Fragwürdige Kostümierung

Der Counter Filippo Mineccia wechselt als Tolomeos General Achilla auch schon mal die Seiten, als er von seinem Herrn nicht die versprochene Hand der Schwester als Lohn für die Teilnahme am Anschlag auf Cesare bekommt. Dass auch der (erwiesenermaßen bei seinen Auftritten bei den Händelfestspielen in Halle) spielfreudige Sänger seine Arien hier nur gleichsam mit dem Rücken zur Wand abliefern darf, macht ein Hauptproblem dieser Produktion deutlich. Das ist eine Art von Regie, bei der man darüber staunt, dass es sie überhaupt noch gibt. Sie streckt vor jeder ernsthaften szenischen Befragung die Waffen, verlegt sich auf die Metaphorik der Bühne von Andrea Belli. Die Ruinenmauern voller ägyptischer Hieroglyphen in der Mitte der Drehbühne sind von fünf übergroßen stilisierten Legionärs-Statuen umstellt. Dazwischen bewegen sich die folkloristisch uniformierten Ägypter und die von Giovanna Fiorentini albern modern kostümierten Römer. Nur Cleopatra bleibt dabei einigermaßen attraktiv. Am Ende reicht die Kraft der Oper nicht mal zu einem „richtigen“ lieto fine; die der Regie von Leo Muscato schon gar nicht zu dessen eventueller Infragestellung.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass der neue musikalische Leiter der Festwochen für Alte Musik und sein Orchester die besten Voraussetzungen bieten, das Niveau dieses Festivals zu halten. Auch wenn diese musikalische Nil-Exkursion nicht die beste Wahl war, um das zu beweisen.

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik
Giacomelli: Cesare

Ottavio Dantone (Leitung), Leo Muscato (Regie), Andrea Belli (Bühne), Giovanna Fiorentini, (Kostüme), Alessandro Verazzi, (Licht), Arianna Vendittelli, Emőke Barath, Filippo Mineccia, Margherita Maria Sala, Valerio Contaldo, Federico Fiorio, Accademia Bizantina

Auch interessant

Rezensionen

  • Dirigierte 2000 zum ersten Mal die Sächsische Staatskapelle Dresden: Daniele Gatti
    Interview Daniele Gatti

    „Es gibt nichts Vergleichbares“

    Der italienische Dirigent Daniele Gatti übernimmt ab der nächsten Spielzeit den Chefposten bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!