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Opern-Kritik: Komische Oper Berlin – Don Giovanni / Requiem

Leben oder Tod – was tut‘s

(Berlin, 27.4.2025) Kirill Serebrennikov komplettiert mit Mozarts „Don Giovanni / Requiem“ seine Da Ponte-Trilogie an der Komischen Oper Berlin: Das Ernste serviert er darin mit Leichtigkeit und Witz – und so noch nicht dagewesenen Überraschungen.

vonJoachim Lange,

Dieser Don Giovanni gibt es zu: Am Ende des ersten Aktes verweist er auf sich selbst als den Übeltäter, der der hochschwangeren Zerlina zu nahekam, und nicht auf Leporello. Dem mutet er wie immer eh schon allerhand Hilfestellungen für sein ausschweifendes Liebesleben zu. Dazu gehört auch, dass er nach dem Kleidertausch mit dessen Ex-Liebhaber Don Elviro etwas anfangen soll, damit der freie Bahn bei dessen Freundin hat. Beim Regisseur und Ausstatter Kirill Serebrennikov ist an der Komischen Oper Berlin alles etwas anders, als man es bei der Oper der Opern gemeinhin erwartet. In den beweglichen Kistenräumen verschiedener Größen, die die Bühne beherrschen, gibt es auch Leuchtbuchstaben, die einmal ein SI und zum anderen ein NO aufleuchten lassen. Das eine ist mehr in Don Giovannis Sinn, das andere mehr Leporellos von diesem unerhörte Antwort.

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Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin
Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin

Donna Elvira ist erstmals ein Don Elviro

Es ist ein Clou, dass Donna Elvira zu einem Don Elviro wird. Das ist mal Geschlechtertausch, der andersrum geht als jener, der heute immer noch als irgendwie progressiv, weil feministisch etikettiert wird. Dieser Elviro hat zwar eine gute Freundin an seiner Seite (und bedient nicht nur da ein gängiges Klischee), erweitert aber vor allem als zwischenzeitlicher Auchmal-Liebhaber die Zielgruppe Don Giovannis. Wobei man sich das bei all dem Oberkörperfrei-Sexappeal, mit dem Hubert Zapiór als Don Giovanni und Tommaso Barea als Leporello ihre zupackende, höchst überzeugende vokale Jugendlichkeit komplettieren, auch in dieser Konstellation vorstellen könnte. Für diesen ersten Don Elviro in der Rezeptionsgeschichte der Oper der Opern steht mit dem Brasilianer Bruno de Sá ein Sopranist zur Verfügung, der das mit selbstbewusster, ganz eigener Verve nicht nur in den Spitzentönen, sondern auch darstellerisch überzeugend hinbekommt.

Penny Sofroniadouist die frische Zerlina, die als Krankenschwester am Krankenbett des eben doch noch nicht toten Don Giovanni ihren Dienst tut (und sich von ihm anmachen lässt), obwohl ihre Wehen jeden Moment loszugehen scheinen. In der Pause bekommt sie dann tatsächlich ihr Kind und kümmert sich gemeinsam mit ihrem beflissenen Masetto (Philipp Meierhöfer) um dessen Windeln. Sie kann sich zudem in einem temperamentgeladenen Duett mit Leporello profilieren, das man sonst nie zu hören bekommt. Anderes wiederum ist gestrichen. Wobei es für einen Lacher (der eigentlich nicht zum Lachen ist) sorgt, als in einer Einblendung darüber informiert wird, dass Don Ottavios Arie „Il mio tesoro“ wegen der Einsparungen im Berliner Kulturetat gestrichen werden musste.

Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin
Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin

Verdopplung der Figuren durch Seelen-Alter Egos

Für Serebrennikov geht es im Schlussteil seiner Da Ponte-Trilogie aber um die Nähe von Leben und Tod. Um das Leben mit dem Tod. Oder, wenn man so will, auch danach. Dafür hat er neben Don Elviros Freundin Donna Barbara den Commendatore und Don Giovanni durch ihre Seelen-Alter Egos verdoppelt. Während der profund tönende Tijl Faveyts in der kleinsten der sperrholznüchternen neongerahmten Bühnenkisten in fernöstlicher Aufmachung singend thront, hat die Seele des hier eher im Abwehrgetümmel unabsichtlich ermordeten Vaters von Donna Anna mit Norbert Stöß eine eigene Gestalt und Sprechstimme. Damit steuert er immer wieder Weisheiten aus dem Tibetanischen Totenbuch über das Sterben als Übergang vom Reich der Lebenden in das der Toten bei und ist damit quasi für den Überbau des Regieansatzes zuständig. Was er mit Routine ohne übertriebenes Pathos absolviert, um einmal auch die Leiche zu spielen. Der Tänzer Fernando Suels Mendoz performt den sterbenden, respektive toten Don Giovanni parallel zu dessen Bühnenpräsenz.

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Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin
Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin

Ein Spiel der Erinnerungen und Visionen Don Giovannis

Für Don Giovanni gibt es schon während der Ouvertüre eine Trauerfeier am offenen Sarg. Mit all dem Knatsch, der fällig wird, wenn die Zahl der trauernden Witwen (inklusive eines Witwers) überhandnimmt. Als sich herausstellt, dass der Tote noch gar nicht tot ist, beginnt ein Spiel der Erinnerungen und Visionen Don Giovannis. Das Programmheft gruppiert die Szenenfolge in verschiedene Bardos ,sprich Zwischenzustände. Es sind Bardos der Erinnerung, der Träume, Visionen schließlich der Schwelle zum Tod. Anstelle des Schlusssextetts folgt Mozarts „Requiem“. Die eher oratorische Formation, in der der von David Cuvelius einstudierte Chor aufmarschiert, wird durch drei Tänzer immer wieder aufgemischt. Wild und ausgelassen, aber auch als Ballett der Gerippe. Sie sind als „Geister und Gedankenformen“ von Anfang an dabei und dafür sorgen, dass ja keine szenische Leerstelle entsteht. Bis schließlich Don Giovannis Seelen-Alter ego am Bühnenturm in der Horizontalen nach oben, vermutlich gen Himmel schreitet.

Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin
Szenenbild aus „Don Giovanni / Requiem“ an der Komischen Oper Berlin

Hochambitioniert und höchst unterhaltsam

Das klingt verkopfter, als es auf der Bühne wirkt. Serebrennikov gelingt es nämlich, auch den Witz des Ganzen in fast jeder Szene herauszukitzeln, sozusagen die Bezeichnung der Oper als Dramma giocoso, als heiteres Drama, gekonnt ernst zu nehmen. Das Ernste also mit Leichtigkeit und Witz zu servieren. Dabei geraten Adela Zaharia ihre Auftritte als Donna Anna so großformatig, dass Agustín Gómezals Don Ottavio einfach in ihrem Schatten bleiben muss. James Gaffigan und das Orchester der Komischen Oper lassen sich durch die gesprochenen Unterbrechungen nicht von ihrem flotten zupackenden Tempo abbringen. Sie haben so einen erheblichen Anteil daran, dass die Komische Oper nicht nur einen hochambitionierten, sondern auch höchst unterhaltsamen „Don Giovanni“ zu bieten hat.

Komische Oper Berlin @Schillertheater
Mozart: Don Giovanni / Requiem

James Gaffigan (Leitung), Kirill Serebrennikov (Regie Bühne & Kostüme), Evgeny Kulagin (Choreografie), Sophie Jira & Daniil Orlov (Dramaturgie), David Cavelius (Chor), Olaf Freese (Licht), Ilya Shagalov (Video), Hubert Zapiór, Adela Zaharia, Agustín Gómez, Tijl Faveyts, Bruno de Sá, Tommaso Barea, Philipp Meierhöfer, Penny Sofroniadou, Virginie Verrez, Susanne Bredehöft, Varvara Shmykova, Norbert Stöß, Fernando Suels Mendoza, Georgy Kudrenko, Nikita Elenev, Mikhail Poliakov, Chorsolisten, Komparserie und Orchester der Komischen Oper Berlin

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