Kam erst der Klimawandel oder erst die Technisierung des Musiktheaters? Beim Kunstfest Weimar fügt die Irish National Opera kurzweilige Unterhaltung und thematische inhaltliche Prägnanz zu einem Musiktheater, das sich weniger ernst nimmt, als die den Anlass gebende Thematik vermuten lässt. Die deutsche Erstaufführung von „Trilogie der verbrannten Erde“ ereignete sich im Hof der Weimarer Universitätsbibliothek an einem jener brütend warmen September-Abende, zu dem man eigentlich weitaus kühlere Temperaturen erwartete. An die dreißig Zuschauer hatten sich eingefunden, Kopfhörer erhalten und hefteten ihre Blicke auf die Mauer zu den Videoclips der drei Zehn-Minuten-Opern des Iren Brian Irvine (Jahrgang 1965): Kleines Produktionsteam, ein aufgewecktes Ensemble und dramaturgisch sinnfällige Video-Effekte. Das verschlankte Personalaufkommen der Irish National Opera demonstrierte beim Kunstfest Weimar perfekte Musiktheater-Effizienz. Episch-dramatische Oper mutiert hier zu aphoristischer Kürze.
Ein musikalischer Multistilist
Brian Irvine ist ein musikalischer Multistilist und holt sich die passenden Klangsprachen aus allen ihm für seine Apokalypse angemessenen Musiknischen. Seine Komposition klingt immer wieder nach einer Mischung aus Mahlerscher Diatonik, Debussys Klangmagie und schlanker elektronischer Überhöhung. Die Vokalsätze haben durch kurz gefaserte Melodien ihren Biss. Extreme der Tongebung kommen nur punktuell vor. Irvine schätzt Ensemble-Sätze, welche Belustigung über sich selbst zeigen. Seine Partitur schmiegt sich den kurzen Sätzen John McIlduffs an. Der Autor und Regisseur hat eine Vorliebe für ungewöhnliche Theaterformen und kann deshalb trefflich elliptische Sätze schreiben, die eine Fülle von Informationen, Stimmungen, Haltungen beinhalten.
Das Kunstfest Weimar als Forum von politisch imprägnierter Kunst
Es ist kein Wunder, dass Kunstfest-Leiter Rolf C. Hemke sich für diese Form von Musiktheater interessierte. Das Kunstfest Weimar versteht sich als Forum von politisch imprägnierter Kunst, als Diskursmotor und streitbares Forum für den Erhalt demokratischer Werte. Die zwanzig Spätsommer-Tage stehen dieses Jahr unter dem Motto „Wofür wir kämpfen“. Nach den drei ohne Zäsuren ineinander übergehenden Miniopern gibt es kurzen heftigen Applaus. Das Publikum zerstreut sich schnell in der Sommernacht.
Aussagekräftige Miniopern
Wie in Puccinis „Il trittico“ handelt es sich bei „Trilogie der verbrannten Erde“ um drei durchkomponierte Opern unterschiedlicher Kategorien – hier besser Miniopern. „Won‘t bring Back the Snow“ ist ein dialektisches Zwei-Generationen-Stück. „Trickle Down Economics“ bringt einen satirischen Zeitraffer vom ökologischen Niedergang durch wirtschaftliche Wachstumsmotorik. Und „Revival“ ist ein total ironiefrei lyrisches, fast apotheotisches Hoffnungsfinale, bei dem der Hintergrundhimmel trotzdem glutvoll gefährlich leuchtet. „Scorched Earth Trilogy“ liefert Botschaften auf knappstem Raum. Die visuelle Seite zeigt mit Mülltonnen und einem Speiseeis-Icon in Rainbow-Colours alles Nötige. Am Ende blühen Blumen mit einer zu schönen Üppigkeit, um wahr zu sein. Die motorische Verspieltheit der Musik und das Videodesign geben der Erde gegen die Klimakatastrophe keine Chance. Das Ende gerinnt zu einer fast unglaubwürdigen Süßlichkeit.
Katastrophen-Splitter mit Versöhnungsschluss
Am Anfang von „Won‘t bring Back the Snow“ (‚wird den Schnee nicht zurückbringen) erinnert sich Vater Eisbär mit fast toxischen Intervallsprüngen und ein bisschen Sentiment in der Stimme an die Jagd auf Robbenbabys und das schöne wilde Raubtierdasein. Da gerät er allerdings mit seiner durch Social Media und Smartphone zahm gewordenen Tochter aneinander. Diese singt schöne, softe, sanfte Melodiebögen und fühlt sich in der Dekadenz-Periode ihrer Art, in der aus der Eisbärin eine Tanzeisbärin wird, spürbar wohl. Wenn die beiden Generationen von artgerechter Lebenshaltung sprechen, meinen sie nicht dasselbe. Ob die natürliche Lebensform oder die Umgangsformen der Digital Natives die Umwelt mehr belasten, steht als Frage im Hintergrund des fein gestaffelten Schlagabtausches.
Genderneutrale Wallstreet-Groteske
„Trickle Down Economics“ (Abwrackwirtschaft) ist eine genderneutrale Wallstreet-Groteske. Da verrichten Wirtschaftsfunktionäre ihr kleines amtliches und dann auch noch ihr physisches Geschäft. Die Pfütze mit den Papierunterlagen steigt und steigt. Dann bildet sich auf den immer größeren Abwassermassen eine Schlammoberfläche, die den sich Super-Rettungen und Super-Renditen versprechenden Businesshaien bis zum Hals steht und sie dann überspült. Erst kommen die großen Fische, dann die Riesenboote mit Klimaflüchtlingen. Super-Rendite, Super-Zahlen, Super-Katastrophe!
In „Revival“ wagen Heranwachsende dann, ihre Gasmasken abzulegen. Sie gießen dem sauren Boden, und erste Pflänzchen sprossen. Doch da werden das Ambiente und das Panorama nicht rosarot, sondern bleiben vorerst schwarz. Nur Irvines Musik wagt getragene Tröstungsakkorde, an die niemand so recht glauben will.
Verspielt und kurzweilig
Das gesamte Ensemble hat klare Stimmen, legt viele Facetten von Emphase, Spott und Ironie in die Texte. Im Grunde etabliert sich hier ein neues Musiktheater, das sich während der Pandemie stark entwickelte – die Minioper in filmischer und virtuoser digitaler Aufarbeitung. Die Zusammenkunft eines Musiktheaterpublikums wird zum Outdoor-Event, die Kürze der Stücke ließe auch eine Veranstaltung bei kälteren Temperaturen zu.
Zum Kunstfest-Motto „Wofür wir kämpfen“ bringt „Trilogie der verbrannten Erde“ eine burleske Farbe. Das Berliner Opernensemble Novoflot brachte vor wenigen Tagen die Uraufführung „Ein Ermordeter aus Warschau“, die Überschreibung des Melodrams von Arnold Schönberg, mit einer Neukomposition von Michael Wertmüller und Beiträgen von Max Czollek. Zwei polare Positionen von politisch engagiertem Musiktheater mit Neuschöpfungen: Das deutsche Team agiert mit viel Text, differenziert eindrucksvoll und gibt jeder Geste Gewicht. Die Iren holen zu ihren drei geschärften Themen nicht weit aus, setzen klare Worte, Akkorde und Bewegungen. Bei ihnen geraten kurzweilige Unterhaltung und thematische inhaltliche Prägnanz zu einem Musiktheater, das sich weniger ernst nimmt als die den Anlass gebende Thematik des Klimakollapses.
Kunstfest Weimar
Irvine: Trilogie der verbrannten Erde (Scorched Earth Trilogy)
Fergus Sheil (Leitung), John McIlduff (Regie), Enda O’Connor (Visuelle Effekte), Doreen Curran, Francesco Giusti, Eamonn Mulhall, Owen Gilhooly, Brendan Collins, Megan O’Neill, Nicole White, Maria Nilsson Waller, Mick O’Byrne, The Independent Theatre Workshop (Kinderchor), Irish National Opera Orchestra