Im sächsischen Dresden war Robert Wilson mit seinem „Dorian“ mit und um Christian Friedel, dem dortigen Publikumsliebling in der Hauptrolle, vor kurzem das erste Mal. In Weimar nicht. Neben Berlin ist die Thüringer Klassikerstadt sowas wie eine Basisstation für Wilson im Osten Deutschlands. 1996 faszinierte er in der zeitlichen und inhaltlichen Einlaufkurve aufs Weimarer Kulturhauptstadtjahr 1999 das erst Mal in der zwischenzeitlich leider abhanden gekommenen Hetzer-Halle ein verblüfftes Publikum mit seiner artifiziellen Art von Theater – irgendwo zwischen allen Genrestühlen. Ein Theater mit Textbasis und Musik.
Damals bei seinem T. S. E. Projekt nach T. S. Elliot mit Musik von Philip Glass. Diesmal bei einer wiederholten Rückkehr in die kleine, großartige Kultur(haupt-)stadt mit einer krachend zusammengemixten Musiktonspur, in der die mehrsprachigen Einsprengsel, die er selbst und seine Favoritin unter den Großen der Bühne, Angela Winkler, liefern, selbst Teil dieser Tonspur werden. Sie sind eh nicht auf großartige Sinn- oder artifizielle Un-Sinnzusammenhänge à la Jarrys Ubu-Wortschöpfungen aus. Aus dessen 1896 uraufgeführten schrägen Ubu-Stück machten ja Verballhornungen wie „Schreiße“ oder „Schoiße“ seinerzeit zuerst Skandal und dann Karriere.
Im Grunde gar kein Musiktheater und doch mit hochmusikalischer Ästhetik
Wie bei Ringelnatz am Sieb die Löcher die Hauptsache sind, gehören bei Wilson auch die zwischen Tonspur und Bilderfolge fahrenden, kreischenden Kracher beim Szenen-, Licht- oder Tempowechsel dazu. Sie verbinden durchs Trennen, was nicht (also hier doch) zusammengehört. Und davon gibt es an dem Fünfzigminutenabend reichlich.
Das, womit das Kunstfest Weimar in diesem Jahr sein ambitioniertes, umfangreiches Programm eröffnet, ist, was das Genre betrifft, schwer oder eigentlich gar nicht zu fassen. Trotz der lärmenden, dann wieder hippig ausflipppenden Musik aus den Schränken vieler Studios ist es zunächst mal kein Musiktheater. Gehört also im Grunde gar nicht hierher. (Den Soundtrack hat der Deutschlandfunk Kultur produziert – der Programmzettel verweist auf dessen Abrufbarkeit unter www.hoerspielundfeature.de). Ist es aber doch irgendwie, weil die Ästhetik von Robert Wilson allemal hochmusikalisch ist. Sie folgt ihren eigenen Gesetzen und findet zu ihrem eigenen Klang, auch wenn sie gerade nicht klingt. Sondern zum Beispiel raschelnd knistert. Wenn ein Fuß auf zusammengeknülltes Papier trifft etwa und dieses Geräusch per Lautsprecher verstärkt in den Raum gefeuert wird.
Knisterlaute Papierflut
Dieser Raum hat in Weimar seine ganz eigene Atmosphäre. Die Nebenspielstätte des Deutschen Nationaltheaters im alten e-werk ist eine Kulisse der Vergangenheit, die allein für sich genommen eine Gegenwart behauptet, die mit der Zukunft droht. Also wie gemacht für ein Theater zwischen allen Stühlen. Mit variabler Sitzordnung fürs Publikum. Was auch heißt: frontal und links und rechts neben einem Laufsteg, der ins Publikum ragt und zum Auftakt dieses eigenartigen Abends mit besagtem Papier überflutet ist. Nehmen wir an, es wäre Zeitungspapier, könnte man sich seinen Teil denken, wenn das knisterlaut ge- oder zertreten wird. Aber es ist vor allem ein faszinierendes Bild, wenn man den Saal betritt und diesen sonderbaren Weg sieht, der auf eine Gruppe von fantastischen Kunstfiguren zuläuft.
Hör- und sichtbar gemachter Wilson-Sound
Da man dem Titel der Veranstaltung „Ubu“ schwerlich entkommt, fängt man an zu rätseln, wer von den in ihren Papierkostümen so hübsch Rausgeputzten und Geschminkten wohl der Ubu, wer König Venceslas, wer die böse Frau Ubu, und wer die rechtmäßigen bzw. angemaßten Thronerben sein könnten. Beim Bären, der auch im Stück vorkommt, ist das nicht so schwierig. Dessen winkende Tatze ist unzweideutig. Mit der Selbstvorstellung des Personals hat es sich dann aber auch schon mit einer erkennbaren Nähe zur Vorlage. Wilson bleibt dann doch lieber bei seiner Aneignung des Raums, dem faszinierenden Spiel der perfekt wechselnden Farbe, dem Wechsel zwischen Einfrieren und plötzlichem Von-der-Leine-Lassen seiner Figuren. Er bleibt bei seinem hör- und sichtbar gemachten Wilson-Sound.
Das ist für diesen kurzen Abend im e-werk auch in Ordnung. Zudem haben das Kunstfest und sein prominenter Gast nie etwas anderes behauptet. Das Ubu-Schmankerl, das eine Koproduktion mit dem Festival Grec de Barcelone ist, im vorigen Jahr in Spanien Premiere hatte und zwischenzeitlich auch schon in Frankreich Station gemacht hat, nennt sich „Performative Installation von Robert Wilson nach Alfred Jarrys legendärer Antikriegs-Farce“. Das von und das nach stimmen aufs Wort. Dass die Fantasiefiguren, die auch ihren Auftritt haben (eine davon ziert den Vorraum, wie ein Altar), von Joan Mirò stammen, bleibt die einzige notwendige Ergänzung in dieser treffenden Selbstbeschreibung.
Kunstfest Weimar
Robert Wilson: Ubu – Performative Installation nach Alfred Jarrys legendärer Antikriegs-Farce
Robert Wilson (Buch, Regie, Bühnenbild & Licht), Charles Chemin (Co-Regie), Stephanie Engeln (Co-Bühnenbild), Aina Moroms (Kostüm), Biel Morro, Mona Belizán, Marina Nicolau, Alejandro Navarro, Joan Marie Pascual, Sandrine Penda, Joana, Peralta, Sienna Vila, Alba Vinton